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er. (Fortsetzung folgt.) ,Es ist alles zerbrochen — nicht wahr?" stöhnte Man wird das Bein amputieren müssen — sagen hatte Arenberg das besagte Glied von seinen Um hüllungen befreit. So behutsam und schonend und mit so viel unverkennbarer Sachkenntnis er dabei auch zu Werke ging, geberdete sich der Verletzte doch wie ein Mensch, dem die unerhörtesten Qualen bereitet werden. Nie hatte vor Margaretens Augen ein Mann ein so klägliches Schauspiel mangelnder Selbstbe herrschung gegeben wie dieser junge Stutzer, der sich noch vor kurzem so selbstbewußt gerühmt hatte, nicht ein Mann der leeren Worte, sondern ein Mann der entschlossenen Tat zu sein. Sie es nur gleich geradeheraus! O, ich wußte ja, daß ich daran sterben würde!" „Unsinn!" erklärte Arenberg ziemlich energisch. „Hier ist vom Sterben ebensowenig die Rede wie von einer Amputation. Gebrochen ist auch nichts. Es handelt sich lediglich um eine tüchtige Verstauchung und eine Sehnenzerrung oder -Zerreißung, die bei ge eigneter Behandlung ohne alle üblen Folgen heilt. Und die Schmerzen werden Sie doch wohl aushalten können. Denken Sie an die ungezählten Tausende, die draußen auf den Schlachtfeldern und in den Lazaretten unsäglich viel härtere Qualen erdulden, ohne zu murren und zu klagen." „Es ist sehr bequem, einem andern solche guten Lehren zu geben, wenn man selber heil und gesund ist", knurrte der Verletzte. „Wer warum hat man nocy nicht nach einem Arzt geschickt? Ich halte es nicht aus — ich halte es einfach nicht aus! Verwünscht sei die Stunde, die mich in dies unglückselige Haus geführt hat!" „Du solltest dich wirklich etwas mehr zusammen nehmen, Paul", mahnte nun auch Margarete, die ihren Unwillen über sein jämmerliches Verhalten nicht ganz zu verhehlen vermochte und die sich vor Robert Arenberg ihres Freundes schäyite. „Wir werden ja selbstverständlich alles tun, was in unsern Kräften steht, um dir Linderung und rasche Genesung zu schaffen." Arenberg beauftragte sie, eine Schüssel mit kaltem Wasser zu besorgen und ein Linnentuch in schmale Streifen zu reißen, die zur Herstellung eines festen Verbandes dienen könnten. Auch Frau Jürgensen und Betty, die sich halb neugierig, halb teilnehmend herzugedrängt hatten, wurden mit Aufträgen bedacht. Als alle weiblichen Wesen das Zimmer verlassen hatten, versuchte Doktor Paul Sommer, sich ein wenig aufzu richten. „Sagen Sie mir nur um des Himmels willen, was das eigentlich gewesen ist! Nie in meinem Leben habe ich etwas so unheimlich Gespenstisches gesehen l" „Was Sie für ein Gespenst gehalten haben, Ver ehrtester, war einfach der durch die untergehende Sonne erzeugte Reflex des gemalten Fensters. Sie können sich selbst davon überzeugen, sobald Sie wieder imstande sein werden, die Trepp« hinunterzugehen." „Sobald ich dazu imstande sein werde?" wieder holte der Verletzte mißtrauisch. „Wollen Sie damit vielleicht sagen, daß eine längere Zeit vergehen könnte, ehe ich es vermag?" „Nun — morgen und übermorgen werden Sie sich schon noch Ruhe gönnen müssen. So ungefährlich auch immer die Sache sein mag — im Handumdrehen läßt sich ein verstauchter Knöchel doch nicht wieder in Ordnung bringen. Sobald ich Ihnen einen ersten provisorischen Verband angelegt habe, werde ich nach einem Arzt schicken. Und aus seinem Munde werden Sie ja dann zuverlässige Antwort auf alle Ihre Frage« erhalten." ein hinuntergeworfenes Paket über die ganze Höbe der Treppe herabkam, um mit dumpfem Ausschlagen mitten auf der Diele liegenzubleiben. Margarete hatte vor Schrecken ebenfalls laut auf geschrien und war aus dem Speisezimmer herzugeeilt. Mit zwei langen Schritten hatte auch Robert Aren berg die Stätte des Unfalls erreicht und sich überzeugt, daß es wirklich — woran er von vornherein nicht gezweifelt hatte — Doktor Paul Sommer war, der auf diese ungewöhnliche und jedenfalls nicht ganz un bedenkliche Art seinen Abstieg aus dem ersten Stock werk bewirkt hatte. „Um Himmelswillen, Paul — was ist geschehen? — Du bist abgestürzt? Aber du hast dich doch hoffent lich nicht verletzt?" Ein dumpfes, schmerzliches Stöhnen des am Boden Liegenden war zunächst die einzige Antwort, die sie erhielt. Arenberg aber bewahrte seine gewöhnliche Ruhe. „Der Herr Doktor hat, wie es scheint, einen Fehl tritt getan", sagte er. „Aber ich denke, der Schreck hat ihm schlimmer mitgespielt als der Fall. — Wollen Sie nicht den Versuch machen, aufzu stehen. Ver ehrtester ?" Aeckzend leistete Doktor Sommer der Aufforderung Folge, auf die hilsteich dargebotene Hand Arenbergs gestützt. Aber als er sich eben mit großer Mühe auf die Füße gestellt hatte, brach er mit einem Wehelaut wieder zusammen und würde aufs neue der Länge nach hingestürzt sein, wenn ihn nicht der starke Arm des andern davor bewahrt hätte. > „Oho, das scheint doch ärger zu sein als ich ver mutet hatte", sagte Arenberg. „Nun, wir werden uns sogleich von der Größe des Schadens überzeugen. Gehen Sie hinauf, Frau Jürgensen und öffnen Sie die Tür von Doktor Sommers Zimmer! Es ist jeden falls das Zweckmäßigste, daß ich ihn gleich da Hinauf trage, weil wir hier unten ja doch kein Bett zur Ver fügung haben." Als hätte er einen sechsjährigen Knaben vor sich, hob er den Wimmernden mit seinem rechten Arm empor. „Legen Sie Ihren Arm um meine Schultern, Herr Doktor — dann machen Sie es mir etwas bequemer, obwohl die Last wirklich keine allzu große ist. Ich wette. Sie haben nicht mehr als hundertundzehn Pfund." Die geringe Einschätzung seines Körpergewichts würde den jungen Mann unter anderen Umständen wahrscheinlich empfindlich gekränkt haben; jetzt aber schien er nicht in der Verfassung, auf derartige Kleinig keiten zu achten. Mit stierem Blick waren seine wett geöffneten Augen auf den Wandfleck neben der hohen Standuhr gerichtet, und seine ganz farblos gewordenen Lippen murmelten: „Was war das? — Haben Sie es mast auch ge sehen ? Von oben sah es aus, als hinge da jemand an der Wand." „Ah, das Gespenst!"- lachte Arenberg. „Na, wie Sie sehen, hat es sich inzwischen jedenfalls wieder verflüchtigt, vermutlich in der Bestürzung über Ihren Fall." „Sie haben es leicht, sich darüber lustig zu machen. — Ah, diese Schmerzen — diese höllischen Schmerzen! — Ich kann sie einfach nicht mehr ertragen." Ohne weiter ein Wort zu verlieren, trug Arenberg seine wehklagende menschliche Bürde die Treppe hin auf und legte sie auf das Bett nieder, dessen Decke die voraufgeeilte Margarete bereits zurückgeschlagen hatte. Nun erst fragte er, wo der unerträgliche Schmerz denn eigermich säße. „Zn meinem rechten Fuße. Der Knöchel ist ohne jeden Zweifel vollständig zersplittert." Mit einigen raschen und geschickten Bewegungen