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hiesige Klima seine Gesundheit ernstlich gefährde. Und da war denn natürlich auch ich nach Kräften bemüht, ihn zur Befolgung dieses ärztlichen Rates zu über reden. Offen gestanden, war ich dabei ein bißchen selbstsüchtig. Denn so hübsch und gemütlich auch immer es hier im Heidehaus war, etwas eintönig und lang-, weilig war es doch schließlich auch. Wir hatten so gut wie gar keinen Verkehr, und namentlich am Umgang mit gleichaltrigen jungen Mädchen fehlte es mir nahezu völlig. Darum habe ich mich auch während dieser zwei Jahre niemals im eigentlichen Sinne des Wortes hier her zurückgesehnt. Und ich denke, daß es der Mama in dieser Hinsicht ungefähr ebenso ergangen ist wie mir." Robert Arenberg blieb wieder für eine kurze Zeit stumm, dann sagte er: „Nach allem, was Sie mir eben mit so dankens werter Offenheit erzählt haben, möchte ich Ihnen noch einmal vorschlagen, dahin zu wirken, daß Ihre Frau Mutter jetzt hierher kommt. Unsere Bemühungen wür den durch sie vielleicht mehr Richtung und Ziel erhal ten als jetzt, wo wir sozusagen aufs Geratewohl ins Dunkle hineintappen müssen. Ich bin überzeugt, daß sie alles weiß und uns vor manchem, vielleicht ver hängnisvollen, Mißgriff bewahren könnte." Erregt sprang Margarete auf. Mit sicherem In stinkt hatte sie erraten, was sich hinter seinen Worten verbarg. „Warum nur meine Mutter? — Warum schlagen Sie mir nicht vor, meinen Vater hierher zu rufen? — O, ich weiß sehr gut, warum Sie es nicht tun! Ich errate alles, was Sie denken und nur deshalb nicht aussprechen, weil Sie den ÄZunsch haben, mich zu scho nen! — Sie glauben, daß irgendein schlimmer Zusam menhang besteht zwischen den damaligen Maßnahmen meines Vaters und den geheimnisvollen Dingen, die sich hier ereignet haben. — Vielleicht — vielleicht halten Sie ihn sogar für einen Mörder?" „Sind Sie da nicht ein wenig ungerecht gegen mich, liebe Margarete?" „Ach, ich weiß nicht, ob ich gerecht oder ungerecht bin! Ich weiß nur, daß ich einen so gräßlichen Ver dacht nicht aufkommen lassen darf! Daß ich meinen lieben, armen Papa gegen jeden verteidigen muß, der ihn eines Unrechts oder gar eines abscheulichen Ver brechens fähig glaubt!" In ihrer hochgradigen Erregung begann sie zu schluchzen und verbarg das Gesicht in den Händen. Beruhigend legte Robert Arenberg seine rechte Hand auf ihre Schulter. „Wenn ich eben sagte, daß Sie ungerecht seien, so meinte ich damit, daß Sie mir die Verantwortung zu wälzen für einen Gedanken, der doch in Wahrheit Ihnen zu derselben Zett gekommen ist wie mir — für einen Gedanken, der zu nahe liegt und sich bei ruhiger Betrachtung der Dinge zu gebieterisch aufdrängen muß, als daß wir uns seiner zu schämen hätten. Warum sollen wir nicht auch die Möglichkeit ins Auge fassen, daß Ihr Vater einen Anteil gehabt haben könnte an dem Tode des Mannes, der doch ohne jeden Zweifel hier aufgefunden und unter dem Namen Stephan Gotter in Mildenburg begraben worden ist? Nein, unterbrechen Sie mich nicht — und regen Sie sich nicht von neuem auf! Ich bin vielleicht eher als mancher andere, berechtigt, mit einiger Gelassenheit von solchen Möglichkeiten zu sprechen. Auch ich habe getötet, Fräulein Margarete, und doch spricht mich mein Ge wissen von jeder Blutschuld frei! Ehe man einen Men schen einen Mörder nennen darf, muß man wissen, wen er getötet hat, und unter welchem sittlichen oder natürlichen Zwange er es getan." Mit einer gewissen Scheu sah sie zu ihm auf. Sie glauben, daß es Umstände geben könnte, die einen Menschen berechtigen, einen anderen zu töten?" „Ohne Zweifel! Erhalten wir nicht gerade jetzt Tag für Tag dafür die überzeugendsten Beweise?" „Im Kriege ? Ja, das ist etwas ganz anderes. Und das meinten Sie wohl auch nur, als Sie sagten, daß Sie ebenfalls getötet hätten? Sie waren draußen im Felde — nicht wahr? „Allerdings. — Aber vielleicht war es nicht bloß das, was ich meinte! Doch wir dürfen meine eigene Person wohl aus dem Spiel lassen. Denn wahrschein lich ist die Schuld Ihres Vaters geringer als die meine. Aber Sie dürfen sich nicht darüber aufregen, daß ich überhaupt von einer solchen Schuld zu sprechen wage. Es ist doch, wie ich denke, unsere Pflicht, die Sachlage so kühl und ruhig als möglich ins Auge zu fassen. Und da ergibt sich das Folgende: Vor zwei Jahren starb hier im Heidehause ein Mann, während sich Ihr Vater allein in diesem Hause befand. Es wäre offen bare Verblendung, wenn man annehmen wollte, daß er nichts von diesem Todesfall gewußt und nichts mit ihm zu schaffen gehabt habe. Der Tote trug die Kleider Ihres Vaters, wie mir Frau Jürgensen auf meine Frage versichert hat. Und er war ihm in seinem Aus sehen so ähnlich, daß selbst Leute, die Ihren Vater genau gekannt und ihm ein halbes Menschenleben hin durch nahe gestanden hatten, den Verstorbenen mit ihm verwechseln konnten. Außerdem aber wurde ein Brief gefunden, der mit dem Namen Ihres Vaters unter zeichnet war, und von dem ich sicher bin, daß er auch die Züge seiner Handschrift trug. Wie sollte man unter solchen Umständen noch daran glauben können, daß Lwrr Stephan Gotter nichts mit jenem Todesfall zu schaffen habe? Wenn man jetzt erfährt, daß er noch am Leben ist, so scheint es ganz unausbleiblich, daß man Erklärungen von ihm fordert. Und mau wird sie von ihm fordern als von einem Manne, der ver dächtig ist, an einer absichtlichen Irreführung der Be hörden, wenn nicht an einem Kapitalverbrechen, be teiligt zu sein. Ich selbst, wenn ich das Amt eines Staatsanwalts oder eines Polizeidirektors in Milden burg bekleidete, würde unbedenklich seine Verhaftung verfügen in demselben Augenblick, wo er hier er schiene. Deshalb habe ich Ihnen geraten, nicht ihn, sondern Ihre Mutter hierher kommen zu lassen. Sie weiß nach meiner Ueberzeugung so viel von den damaligen Geschehnissen, daß sie imstande ist, Aufklärung zu geben, und sie hat andererseits ernstliche Unannehmlichkeiten vonseiten der Behörden kaum zu fürchten, da sie ja leicht wird nachweisen können, daß sie sich wett von hier im Auslande besand, als jene Dinge geschahen. — Daß ich mich mit solchem Eifer in diese Dinge mische, darf Sie nicht befremden. Es geschieht nicht Ihrem Vater zuliebe, den ich nicht kenne und über dessen Schuld oder Nichtschuld ich mir darum auch kein Urteil bilden kann, sondern es geschieht um Ihretwillen, liebe Margarete! Denn ich fühle Ihnen gegenüber die Last einer schweren Verantwortlichkeit aus meiner Seele." „Einer Verantwortlichkeit? — Inwiefern?" „Insofern, als ich mich nach wie vor als den eigentlichen — wenn auch vielleicht unschuldigen —Ur heber all dieser Verwirrungen betrachte. Ich hätte tausend Möglichkeiten gehabt, ihnen vorzubeugen. Ich hätte der armen Betty am ersten Tage meines Hier seins leicht genug die Möglichkeit gewähren können. Sie aus dem Hause herauszuschmuggeln. Denn ich hätte ja blind sein müssen, wenn ich nicht durchschaut hätte, worauf ihr wunderliches Benehmen hinausging. Ich hätte darauf bestehen können, daß Sie das Haus und Langenhagen in aller Morgenfrühe verließen, noch ehe die Begegnung mit dem alten Christian und mit dem unseligen Philipp Welcker erfolgt war. Das alles habe ich versäumt, und demzufolge ist es nun auch meine Pflicht, Sie vor den Folgen meiner Handlungs weise zu schützen, so gut ich es nach Lage der Dinge noch vermag." (Fortsetzung folgt.)