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Ge ¬ antwortete das geschafft haben, du jetzt, Grete, kann, ohne in mir lieber scho- volle Wahrheit! mir Das darf scheinlich hast du deiner Schwester erzählt, daß ich deinen Anzug ausgeliehen habe — nicht wahr? ist für Herrn Arenberg nichts Neues mehr. Er es also ruhig hören." Der abermalige Seitenblick, mit dem er den „Ganz zuletzt — mir ist, als müßte es schon vor Jahren gewesen sein — stieß ich wieder auf etwas Lebendiges — auf ein altes Weib, wenn ich mich recht besinne. Mit dem letzten Rest meiner Kraft hauchte ich ihr die Frage entgegen, wie weit es noch bis Lan genhagen sein könnte. — Und was Scheusal? ,O, Sie werden es bald Herr!' — Bald — bald! Begreifst daß ich das Wort nicht mehr hören Zuckungen zu verfallen? Nein, sage nungslos und rund heraus die nackte, während der letzten Stunden die schauerlichsten Er fahrungen gemacht. Also wie weit sind wir von diesem angeblich .in der Nähe' gelegenen Langenhagen in Wirklichkeit noch entfernt?" „Ungefähr drei Kilometer nach meiner Schätzung, armer Paul!" „Ah, ich verdiene kein Mitleid — ich verdiene, aus gelacht zu werden — weiter nichts. — Siehst du dieses Handköfferchen, Grete?" Und er deutete dabei auf eine lederne Tasche, die neben ihm im Grase lag. „Zu un gezählten Malen schon habe ich sie mit der Bahn und der Post voraufgeschickt, wenn ich mich auf Reisen be fand. Und es war stets ungesähr dasselbe darin, was sie jetzt enthält. Aber es kann nie mit rechten Dingen zugegangen sein; denn ich brauche immer nur für ein Gewicht von zwölf bis fünfzehn Pfund zu bezahlen. Heute aber — auf dieser Wanderung über die Heide — habe ich feftgestellt, daß sie mindestens anderthalb Zentner wiegt. Und diese Riesenlast habe ich ungezählte Meilen weit schleppen müssen— ick, dem es Uebelkeiten verursacht, auch nur das kleinste Paketchen zu tragen. Wieviel Stunden schon vergangen sind, seitdem ich von Breitbrück aufgebrochen bin, ahne ich nicht! Ich weiß nur, daß es eine Ewigkeit sein muß. Ick fragte auf dem Bahnhof einen Eingebornen: ,Wie weit ist es bis Langenhagen ? Kann man das zu Fuß machen ?' — Und er sagte: Jawohl, sehr gut — es'ist ja ganz in Ler Nähe. Und den Weg tonnen Sie nicht verfehlen. Es führt nur eine einzige Landstraße über die Heide.— Wahrhaftig, er nannte es eine Landstraße — der Idiot! Wenn man das eine Landstraße heißen darf, so möchte ich wohl wissen, wie ein Knüppeldamm aussieht. Und wenn das die berühmten landschaftlichen Schönheiten der Langenhagener Heide sind, von denen du uns so diel vorgeschwärmt hast, so muß die Wüste Sahara ja geradezu ein Paradies sein." Immer wieder trocknete er sich Stirn und Hals. Es war, als ob er sich völlig in Schweiß auslösen wolle. Und wenn die bewegliche Schilderung seiner Leiden in ihrer grotesken Uebertreibung auch ohne Zweifel humo ristisch sein sollte, so war es doch dem galligen Unter ton anzuhören, daß er diese Leiden durchaus nicht mit Humor ertragen hatte. „Nun ist cs ja auch bald überstanden", tröstete ihn Margarete, die sich Gewalt antun mußte, um bei seinem Anblick nicht immer wieder hell aufzulachen. Aber da hatte sie es wieder nichr recht gemacht. „Bald! — bald! — Wenn ich das Wort höre, habe ich schon genug. — Als ich im Verlauf meiner Wanderung einen Berg erklommen hatte, gegen den der Chimborasso ein Maulwurfshügel sein muß, be gegnete mir ein Mensch. Er sah aus wie ein Schaf hirt, aber ich glaube, es muß der verkleidete Gottsei beiuns gewesen sein. Denn jetzt erst verstehe ich das höbniiche Lächeln, mit dem er aus meine Frage: ,Wie weit noch nach Langenhagen? Und wo hinaus?' ant wortete: .Gehen Sie nur den Hügel — er nannte den Berg wahrhaftig einen Hügel! — hinunter und immer geradeaus! Dann werden Sie bald da sein.' Na, den Hügel bin ich ja hinuntergegangen und meinte, ich müßte oas Nest nun endlich vor mir liegen sehen. Aber Prosit Mahlzeit! Wüste und Steppe — soweit das Auge reichte! Ein Weg, so bequem, wie der Weg zum Himmelreich — und ein Sonnenbrand wie unter dem Aequatwr. Wenn du nur vor der Abreise dein Haus bestellt hättest! das war der einzige Gedanke, dessen mein ausgebranntes Gehirn noch fähig war. Daneben malte ich mir allenfalls noch aps, welche Empfindungen das Herz eines späteren Wanderers be wegen möchten, wenn er meine von der Sanne ge dörrten und gebleichten Gebeine am Wegrand fände." „Pfust Paul! Wie unästhetisch!" lachte Mar garete. Aber er ließ sich in seiner «Schilderung nicht stören. Du siehst ja, daß ich bereit bin, mich hier niederzulegen und zu sterben. Vorher aber möchte ich doch gerne noch wissen, wie weit es nun in Wirklichkeit noch bis zu diesem Langenhagen ist, das meine Augen nie mehr sehen werden." „Es ist nicht weiter als eine halbe Stunde — mein Wort darauf. — Und dann sei ein Mann, Paul! — Herr Arenberg wird, wenn ich ihn recht schön darum bitte, die Liebenswürdigkeit haben, deine Handtasche zu tragen, und ich reiche dir als Stütze meinen Arm. Dann schleppen wir dich schon bis zum Heidehause." „Herr Arenberg?" fragte Dr. Sommer, indem er sich den Anschein gab, als ob er den abseits Stehenden erst jetzt wahrgenommen hätte. „Jawohl, der neue Bewohner des Heidehauses — mein gütiger Gastfreund. „So? — Hat das Heidehaus wieder einen Be wohner? — Das ist ja das erste, was ich höre!" „Nun, immerhin weißt du es jetzt. — Aber wenn du dich durchaus nicht aufraffen kannst, wollen wir eine Tragbahre und eine Matratze herbeischaffen lassen. Es wird jedenfalls bei den Langenhagenern Sensation machen, wenn sie dich auf solche Art dtinen feierlichen Einzug halten sehen." Der junge Mann erhob sich. Und er war wenigstens ehrlich genug, um nicht mit Rücksicht auf die Anwesen heit des Fremden eine Elastizität zu heucheln, von der er in Wahrheit sehr weit entfernt war. „Guten Tag, mein Herr! — Or. Paul Sommer." „Robert Arenberg", erwiderte der andere die Vor stellung. „Ich hoffe, Sie fühlen fick nicht ernstlich un unwohl. Für jemanden, der des Wanderns nicht ge wöhnt ist, kann ein Marsch über die Heide während der heißesten Tageszeit immerhin bedenklich werden." „O, ich denke es zu überstehen. Zum zweitenmal allerdings könnte es mir nicht passieren! Das habe ich mir hoch und heilig geschworen!" Margarete fing nnn doch an» etwas ungeduldig zu werden. „Mein Gott, wieviel Aufhebens du von diesem kleinen Nachmittagsspaziergang machst! Wenn er ein so großes Opfer für dich bedenket, hättest du doch ruhig daheimbleiben können! Am Ende bin ich ja kein kleines Kind mehr, von dem man fürchten muß, daß die Zigeuner es gestohlen haben, wenn es einmal ein paar Stunden über die Zeit ausbleibt." „Ja, das habe ich auch gesagt. Aber Sidonie bestand darauf, daß ich führe, nachdem ich die Dumm heit begangen hatte, ihr zu erzählen " Er unterbrach sich mit einem Seitenblick auf Arenberg. Margarete aber kam ihm zu Hilfe. „Du brauchst dich nicht zu genieren: Wahr ¬ nannten streifte, war mehr argwöhnisch als freundlich. (Fortsetzung solgt.)