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Stufen der Romantik Wir sehen heute unter dem Stilbegriff Romantik einseitig eine in sich abgeschlossene Epoche, das 19. Jahrhundert im weitesten Sinne. Richtig, Schumann, Mendelssohn, Weber und Schubert haben in dieser Zeit gelebt, doch damit ist die Romantik noch lange nicht in ihrer Gesamtheit umspannt. Der Komplex ist in Wirklichkeit viel größer und in sich vielfältig gestuft. Bereits bei Friedemann und Philipp Emanuel Bach werden romantische Empfin dungen in der Musik spürbar, desgleichen bei Haydn und Mozart, und Beethoven steht mit seinen späten Klaviersonaten und den letzten Streichquartetten unmittel bar vor dem Tor der Romantik, er stößt es auf und nimmt vieles vorweg, das nicht mehr mit dem Begriff „Wiener Klassik“ zu vereinen ist. Volksempfinden, Heimatliebe, Natur- und Landschaftsschilderungen sind untrenn bar mit dem „Freischütz“ verwoben. Typisch romantisch ist Webers Bevorzugung konträrer Klangfarben, ausgeprägt in der Dämonie und Dunkelheit der Wolfs schlucht und der lichten Welt reiner Mädchenliebe bei Agathe. „Romantik ist Wanderlust und Heimatliebe gleichzeitig“ lesen wir bei Thomas Mann. Und zur Wanderlust, zum unbändigen Sehnen in die Ferne, gehört auch das unstillbare Heimweh nach der Heimat. In Dvoräks „Konzert für Violoncello und Orchester“ finden wir diese romantischen Empfindungen als musikalische Wider spieglung. Sowohl Dvofäk als auch Richard Strauss machten aus ihrer Liebe zu Richard Wagner, dem Magier des spätromantischen Orchesters, kein Geheimnis. Der 76jährige Richard Strauss erinnerte sich 1940: „Das Orchester im ,Tristan 1 und in den .Meistersingern* sagt mir immer wieder Neues; .Parsifal* und , Nibelungen - Ring* habe ich vielleicht fünfzigmal gehört (größtenteils selbst dirigiert), und ich kann mich an den Offenbarungen dieses Orchesters nicht satt hören und entdecke immer wieder neue Schönheiten und verdanke ihm jedesmal neue Erkenntnisse“. Richard Strauss hat von Richard Wagner nicht nur gelernt, er hat den Klangreiz des Wagnerschen Instrumentariums weiterentwickelt und in unwahrscheinlicher Weise vervollkommnet. Doch nicht nur darin war Richard Strauss Romantiker. Auch im Inhalt seiner sinfonischen Dichtungen finden wir romantische Widerklänge. Don Quixote wird von Sehnsucht bewegt und getrieben, er nimmt Gefahren auf sich, um sein ersehntes, erträumtes Ziel zu erreichen, er läßt sich auslachen und narren, er bleibt sich und seiner Sehnsucht treu. Ob nicht auch in uns modernen Menschen dos 20. Jahrhunderts, die das Sehnen noch nicht verlernt haben, ein Stück Romantik verborgen liegt? Auch wenn wir Meier, Müller und Schulze heißen, sind wir Don Quixote oft näher als wir glauben. Der Name Ouvertüre bedeutete im 17. und 18. Jahrhundert nicht nur Opern vorspiel, auch Suitensätze und vollständige Suiten wurden mit dem gleichen Namen bezeichnet. Selbst für Sinfonien wurde um 1750 noch der Begriff Ouvertüre ver wendet. Damals unterschied man die Form der französischen Ouvertüre (mit der Folge „langsam—schnell—langsam“) von der italienischen Ouvertüre (mit der Folge „schnell — langsam — schnell“). Später — bei Gluck, Mozart, Beethoven, Weber und Wagner — erklangen dann oft innerhalb der Ouvertüren die wesentlichsten Opernthemen, die im allgemeinen einer