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(Fortsetzung folgt.) welchen Vorwänden die Möglichkeit längeren Verweilens im Hause zu verschaffen. Ste erkundigte sich nur, um welche Zeit sie am folgenden Morgen kommen solle, und nachdem Arenberg sie auf etwa acht Uhr beschicken hatte, zögerte sie nicht, sich mit höflichem Gutenachtgruß zu empfehlen. „Ich hoffe, mein liebes Kind, daß du nicht allzu fest mit der Tiefe meines gesunden Schlafes rechnest", dachte der Zurückbleibende, der irgendwelche ganz be stimmten Erwartungen hinsichtlich der kommenden Dinge zu hegen schien. Daß diese Erwartungen ihn in keiner Weise beunruhigten, bewiesen jedoch die Gemächlichkeit, mit der er sich in der Küche sein einfaches Abendessen bereitete, und der gute Appetit, mit dem er es verzehrte. Es zeigte sich übrigens bei dieser Gelegenheit, daß sein linker Arm keineswegs ganz unbeweglich war. Nur schienen diese Bewegungen mit einigen Schwierigkeiten verbunden und hatten etwas eigentümlich Automaten- haftes. Die noch immer in dem ledernen Handschuh steckenden Finger der linken Hand aber waren ersicht lich keiner selbständigen Bewegung fähig und ver mochten sich nur dann zu spreizen oder behufs Erfassen eines Gegenstandes zu einem festen Griff zusammen zuschließen, wenn ihr Besitzer zuvor mit der Rechten auf eine bestimmte Stelle des durch den Nockärmel ver borgenen Unterarmes gedrückt hatte. Es konnte also kein Zweifel obwalten, daß dieser linke Arm in seiner natürlichen Gestalt nicht mehr vorhanden, sondern ganz oder teilweise durch ein künstliches Glied ersetzt worden war. Als die späte Dunkelheit des Sommerabends herein gebrochen war, entzündete Arenberg eine im Bibliothek- zimmer vorgefundene, wohlgespeiste Lampe, zog ein Büchlein aus der Brusttasche, das nach der Titelauf- schrift nichts anderes war als eine Miniaturausgabe von Goethes „Faust", und vertiefte sich rauchend wohl noch eine Stunde lang in die Lektüre, bis die zuneh mende Schwere seiner Augenlider ihn daran mahnte, daß es nunmehr an der Zeit sei, sich zur Ruhe zu be geben. Ehe er jedoch in das obere Stockwerk Hinauf stieg, machte er sich noch eine Weile mit dem chinesischen Gong zu schaffen, den er in Verbindung mit einigen anderen Gegenständen zu einem sehr rätselhaften und künstlichen, fallenartigen Aufbau unmittelbar an der Eingangstür des Hauses benutzte. Dann erst suchte er sein Schlafzimmer auf, schlüpfte in einen Nachtanzug und legte sich nieder, um innerhalb weniger Minuten so sanft und fest zu entschlummern, wie es nach der vorhin abgegebenen Versicherung zu seinen ständigen Gewohnheiten gehörte. Nur was er von der Tiefe seines Schlafes gesagt hatte, schien nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen. - Denn als gegen Mitternacht unten ein sonderbares Gepolter und ein paar metallische Töne laut wurden, war er nicbt nur mit erstaunlicher Schnelligkeit munter, sondern auch fast schon im nämlichen Augenblick mit beiden Füßen aus dem Bett. „Aha! Ist das Mäuschen richtig in die Falle ge gangen ?" sagte er halblaut, griff nach der Mauserpistole, die er beim Schlafengehen auf das Nachtkästchen gelegt hatte, und eilte zum Fenster. Da man sich eben in der Zeit der Hellen Mitt sommernächte befand, konnte er die nächste Umgebung des Landhauses ziemlich deutlich übersehen, und es gab für ihn nicht die geringste Ungewißheit, daß die weibliche Gestalt, die eben in wilder Flucht durch den Garten enteilte und ihren Weg nach dem Dorfe nahm, diejenige von Betty Jürgensen war. „Es tut mir leid, wenn ich dir einen Schrecken verursacht habe, meine Kleine", murmelte er lächelnd. „Aber du hast es nicht anders haben wollen. — Und nun werde ich hoffentlich für den Rest der Nacht Ruhe behalten." Aber in dieser Hoffnung sollte er auf das gründ» > lichste getäuscht werden. Denn noch ehe er sich wieder hatte auf sein Lager niederstrecken können, drang ein eigentümliches Geräusch an sein Ohr, über dessen Natur und Ursprungsort er mit sich selber nicht sogleich ins reine kommen konnte. Es klang, als ob jemand in regelmäßigen Zwischenräumen gegen eine Wand oder eine Tür klopfe. Und als sich die sonderbaren Töne nach einer kleinen Pause wiederholten, glaubte Robert Arenberg auch mit ziemlicher Sicherheit feststellen zu können, daß sie aus den obersten Regionen des Hauses kamen. „Da habe ich ja, wie es scheint, einen ungebeten Gast bereits im eigentlichen Sinne des Wortes unter meinem Dache", sagte er bei sich selbst. „Nun, wir wollen hoffen, daß seine Bekanntschaft wenigstens eine gestörte Nachtruhe wert ist." Er schob die Pistole in die äußere Brusttasche seines Schlafjackets, schlüpfte mit den bloßen Füßen in die bereitstehenden Lederpantoffeln und versah sich mit der elektrischen Taschenlaterne, die sich unter den von ihm mitgebrachten Gegenständen befunden hatte. Aber er setzte den Kontakt nicht in Tätigkeit, sondern zog es vor, im Dunkeln die in das Dachgeschoß emporführende Treppe hinaufzutasten, mit größter Behutsamkeit auf die Vermeidung jedes unnötigen Geräusches bedacht. Die sonderbaren Töne, die sich jetzt mit vollster Be stimmtheit als ein recht energisches Klopfen erkennen ließen, wurden während seines Aufstiegs von neuem vernehmlich. Und es bedurfte keines besonderen Scharf sinns, um festzustellen, daß die Schläge von oben her gegen die Falltür geführt wurden, die Philipp Welcker junior am Nachmittag so fürsorglich verriegelt hatte. 3. Kapitel. Eine m i t t e r n ä ch ti g e B e ka n n tsch a ft. Zu den furchtsamen Leuten gehörte Robert Arenberg allein Anschein nach keineswegs. Die Tatsache, daß er hier mutterseelenallein und ziemlich weit von aller menschlichen Hilfe entfernt einem nächtlichen Abenteuer entgegenging, für dessen größere oder geringere Ge fährlichkeit er vorläufig auch nicht den allergeringsten Anhalt hatte, brachte ihn ersichtlich nicht im mindesten aus der Fassung. Unter der Falltür stehend, wartete er, bis sich das Klopfen abermals wiederholt hatte, um dann in mehr humoristisch als bedrohlich klingendem Tone zu rufen: „Darf ich Sie ersuchen, mit dieser nächtlichen Ruhe störung nun gefälligst ein Ende zu machen und mir mitzuteilen, mit wem ich da oben eigentlich das Ver gnügen habe?" - Ein kleines Schweigen folgte, dann aber ertönte eine recht wohllautende, anscheinend noch jugendliche Stimme aus der unsichtbaren Höhe: „Bitte — lassen Sie mich heraus. Ich werde Ihnen dann alles erklären." Die Art der Erwiderung wirkte auf Arenberg ' einigermaßen überraschend. Denn wenn er auch keineswegs auf ein Zusammentreffen mit mordgierigen Räubern gefaßt war, so hatte er doch kaum damit ge rechnet, daß der Gefangene auf dem Dachboden ein Mensch mit so angenehmem Organ und von so ge sitteter Ausdrucksweise lein würde. Es schien beinahe selbstverständlich, daß man mit diesem ungebetenen Gast nur in den höflichsten Formen verkehren konnte. „Sehr wohl — ich habe ja selber ein lebhaftes Verlangen nach Ihrer persönlichen Bekanntschaft. Ge dulden Sie sich nur einen Augenblick, denn ich muß erst einen Stuhl holen, um den Riegel entfernen zu können."