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Die Fabel von den Krebshäusern. Immer wieder ist in den letzten Jahren die Oeffentlichkeit mit Berichten be unruhigt worden, die von sogen. „Krebshäusern" Kunde gaben, von gewissen einzelnen Häusern, in denen sich bei Betantschaften gestimmt gewesen. Noch keine Frau hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Nun auf ein mal zeigt sich ihm das Weib in seiner schlichten Größe, selbstlos, aufopfernd, gütig. Schwester Marias Art be rührt sein Herz. Ihm kommt die Hochachtung vor dem Weib, das stille Beglücktsein durch Las Weib. Aber nichts von seinen Empfindungen.darf Schwester Maria merken. Sic darf ihm nichts sein, als die Pflegende Schwester. Hat sie ihm doch doch selbst schon gesagt, daß ihr Herz ihrem Beruf gehört, der zum Friedenshafen ihres Lebens geworden ist. Wie dürfte er ihre friedliche Ruhe stören, er, der nichts hat als seine junge, frohe Kraft, der von der Zukunft alles erwartet! — Nur, daß er ihr manchmal in heißem Dank stumm die Hände drückt, nur, daß in seinen Augen ein tiefes Leuchten steht, wenn sie Lei ihm ist. Schwester Maria merkt es wohl, welche Empfindungen den Kranken beseelen, aber sic verrät mit keiner Miene die Wirkung solchen Wahr nehmens. Ihr scheinen alle Kranken gleich wert zu sein. Sic ist ffür jeden die freundliche, hilfsbereite Schwe ster, der von allen Verehrung gezollt wird. Langsam schreitet die Genesung des jungen Offiziers' vdrwärts, bald darf er als geheilt das Lazarett ver lassen. Einen lahmen Fuß wird er freilich behalten, doch das stört ihn nicht. Er ist Schriftsteller. „Wie gut, daß ich zu meiner Arbeit nur die Hand und gute Gedanken brauche", sagt er lachend zu Schwester Maria, als sie mit ihm Gehversuche macht. „Ich sehne mich schon so nach meiner frohen, freien Tätigkeit, und doch wird mir das Scheiden von hier schwer. — Schwester Maria, ich danke Ihnen so viel! Wie kann ich je meine Schuld bei Ihnen abtragen?" — „Sie dürfen gar nicht von Schuld reden, Herr Leutnant. Sic litten für das Vaterland, ich Pflegte sie, um dem Vaterland einen tüchtigen Mann zu erhalten, deren es jetzt so nötig bedarf." .„Und wollen Sie mir ein freundliches Gedenken bewahren, Schwester Maria?" — ,F)on Herzen gern! Tünkbarc Kranke sind der Sonnenschein in Unserem oft so schweren Beruf", erwidert Schwester Maria. Einige Tage später hält der Wagen vor dem Laza rett, den Genesenen zur Bahn zu fahren. Er nimmt von allen Abschied, zuletzt von Schwester Maria. Tief ernst schaut er sie an, neigt sich und küßt ihr^die Hände. „Dank, Maria!" ist alles, was er sagen kann, und geht. Nach Wochen erhält Schwester Maria einen Brief von ihm. Sein Bild liegt dabei und eine Widmung in Versen: „Maria! Tiefer, reiner Klang, Wie hoher Glocken ernstes Rufen. Ick) lausche einem Sphärensang, 'Ich schau' ein Bild auf Altarstufen. Und meine Seele sinnt und träumt, Ein Feuer läuternd sie durchlohe, ,-Wic Wolken, die ein Glühen säumt — Maria! Edle! Reine! Hohe! — , Schwester Maria liest. Tränen füllen ihre Augen. Sie ist beglückt. Froh denkt sie des Fernen, dessen herzgewinnende Art ihr ernstes Pflegerinnenamt durch- fonnte. Fast scheint es, als ob sic nun noch gütiger, noch hilfsbereiter zu den Kranken sei, die so oft rufen: „Schwester Maria!" —. den Bewohnern Erkrankungen am Krebse so häufig folgten, daß der Gedanke an eine ansteckungsweise erfolgte lieber- tragung des Leidens nahezuliegen schien. Der Leiter eines Krebserforschungs-Jnstituts in Amerika erwirbt sich nun das Verdienst, die Gerüchte und Angaben über die am häufigsten angeführten Fälle von dortigen >lrebshäusern einer genauen Untersuchung und Nachprüfung unterzogen zu haben, deren Ergebnisse in der endgültigen Zerstörung dieser modernen medizinischen Fabel gipfeln. Die Ermitt lungen und Forschungen des Gelehrten erstreckten sich in erster Linie auf die sogen. „Krebsstraße" einer Stadt; in den 41 Häusern dieser Straße sollen in der. Zeit von 1893 bis 1908 nicht weniger als 19 Personen und ein Hund an Krebs gestorben sein; in einzelnen Häusern waren zwei, ja drei tödliche Krebsfälle verzeichnet worden. Die Nach forschungen des Arztes ergaben, daß zwei Krebsfälle über sehen worden waren, daß dafür aber in elf Fällen die Be hauptung, Krebs sei die Todesursache geivesen, nicht ausrcchi- zuerhalten ist. Die Straße ist fast ausschließlich von Rentiers bewohnt, also von Leuten höheren Alters, bei denen natur gemäß die Möglichkeit einer Krebserkrankung ungleich größer ist als bei jugendlichen Personen. Es wohnen durchschnittlich sechs Personen in einem Hause, die Gesamtbcvölkerung der Straße beträgt 246 Köpfe. Das gibt, auf 21 Jahre ver rechnet, eine Bevölkerung von 5166 mit 13 Todesfällen an Krebs. Die Krcbssterbeziffer erreicht also in der berühmten Krebsstraße 2,5 von 1000, während für die übrige Stadt die Krebssterbezisfer 1,3 von 1000 ist. Die höhere Ziffer wird durch das unverhältnismäßig hohe Durchschnittsalter der Bewohner dieser Villenstraßc vollkommen erklärt. Auf Grund eingehender Tabellen zerstört dann der Arzt auch die Fabel von einzelnen Krebshäusern und fährt dann fort: „Die Krebshäuser erweisen sich somit als'eine Fabel. Das Inter esse, dem sie sowohl bei Laien wie bei Medizinern begegnen, erklärt sich aus dem Geheimnis, mit den: man sie zu um geben liebt: die meisten Häuser werden überhaupt nicht näher angegeben. Da wir endgültige Klarheit über die Ur sachen des Krebses noch nicht erlangt haben, ist es nur natürlich, daß die gewagtesten Hypothesen in Kurs kommen können. Wir dürfen jetzt hoffen, daß die vermeintlichen Gefahren der „Krebshäuser" die Oeffentlichkeit nicht mehr beunruhigen und die Tatkraft der Forscher nicht länger von fruchtbareren Wegen ablenken wird." Daß man Tausende von Häusern zählt, in denen ein, zwei, drei oder mehr Krebsfälle vorgekommen sind, erklärt sich durch die Häufigkeit der Krankheit. Nach den amtlichen Berichten starben 1911 z. B. in England 145703 Personen männ lichen Geschlechtes im Mter von über 35 Jahren; und < unter ihnen starben 14963 an Krebs. Bei den Frauen von über 35 Jahren bezeichnete man 145 270 Todesfälle und darunter 19 583 am Krebs. Somit stellt sich für einen Mann von über 35 Jahren die Möglichkeit, am Krebs zu sterben, auf 1:9,7, für eine Frau Über 35 auf 1:7,4. Welchen Scha den und welche Beunruhigung die oft phantastischen Hypo thesen über Entstehung und Ursache des Krebses anrichten können, zeigt der berichtende Arzt an einem bezeichnenden Beispiel. Man hat behauptet, die p^orrdoea alvsolaris (schlechte Zähne mit Entzündung des Zahnfleisches und Mundfäulnis) sollen den betreffenden Menschen für Krebs erkrankungen in anderen Teilen des Körpers besonders empfänglich machen. Die Folge dieser Behauptung war, daß ängstliche Leute sich derart zu fürchten begannen, daß sie sich als Borbeugungsmittel gegen eine später vielleicht einmal mögliche Krebserkrankung alle Zähne sofort ausziehen lassen wollten. Es bedurfte langer Ueberredungskünste, um die Leute von der Ausführung dieses Vorhabens abzubringen.