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s» „Wenn es ist, wie du vermutest," sagte der Baron, „so werden wir ein amklärendes Schreiben vorfinden. Fritz hatte sich in letzter Zeit auch noch in eine Speku lation eingelassen, möglich, daß er dadurch gleichfalls Verluste gehabt, gesprochen hat er nicht zu mir dar über." Man war vor dem Schlosse angelangt. Der Baron veranlaßte die Damen, sich in ihre Gemächer zurückzu ziehen, ihn dort zu erwarten. Er selbst ließ sich zu dem Toten geleiten. Fritz Wellnitz lag auf seinem Bette, das nur aus einer Matratze mit darüber gebreitetem Laken bestand. Es sah aus, als schlafe er in tiefer Erschöpfung. Ein müder Zug lag wie ein Schatten auf seinem schönen, jungen Gesicht, in welchem noch keines jener furchtbaren Zeichen verriet, daß das Leben entflohen. Der Arzt war hiergeblieben. Er kam aus dem Nebenzimmer herein, als der Baron noch in der ersten tiefen Erschütterung vor dem Lager stand. „Ich kann es nicht glauben, daß er hinüber ist", sagte er heiser, „ist denn wirklich keine Hilfe möglich, Doktor?" „Der Herr Ingenieur wußte mit der Waffe gut umzugehen, seine Kugel bat mitten ins Herz getroffen. Es liegt kein Unglückssall vor, Herr Baron, der Tote hat ebenso wie sein Vater seinem Leben selbst ein Ziel gesetzt. Hier auf dem Tisch lagen zwei Briefe, die ich in Ihrem Interesse an mich genommen habe." Hochfeld nahm die beiden Schreiben wie betäubt in Empfang, eins derselben war an ihn selbst, das andere an Edith gerichtet. Er konnte nicht sprechen. Immer wieder lenkten sich seine Blicke auf den stillen Schläfer, der, allem Erdsnleid entrückt, so friedlich vor ihm lag. Etwas wie Neid bewegte ihn. Wie wohl mußte es sich ruhen nach all den Bitternissen, die Fritz durchlebt. Hochfeld hatte ihn ja wie einen Sohn geliebt, doch mit all seiner lreuen Fürsorge, seinen reichen Geld mitteln nichts an dem Geschick des jungen Menschen ändern können. Der Arzl stellte auf besondere Bitte des Barons den Totenschein aus, indem er als Todesursache Unfall angab, und empfahl sich dann. Der Baron nahm Abschied von seinem Pflegesohn, breitete betmtsam wieder das Tuch, mit welchem man den Entseelten zugedeckt, über das stille Gesicht und begab sich in sein eigenes Zimmer. Hier las er den an ihn gerichteten Brief, der mit Klagen und Selbstvorwürfen angefüllt war. Wellnitz hatte eine Fabrik mit der Anfertigung seiner letzten Erfindung betraut und dafür seine ge samten Ersparnisse hingegeben. Doch eine feiner Berechnungen hatte wieder ein mal nicht gestimmt, der Fabrikant hatte eine höhere Summe bei der ^ache zugesetzt und Entschädigung dafür von Wellnitz verlangt. Der aber hotte den Glauben an sich und sein Können und die Lust zum Weiterstreben verloren. Er dankte seinem „gütigen Wohltäter" in herzbewegenden Worten für all die Hoch herzigkeit, die er an ihn, den Ruhelosen, verschwendet, und bat um Verzeihung für den letzten Kummer, den er ihm nun bereite. Schmerzerfüllt senkte Hochfeld das ergraute Haupt. Vor wenigen Wochen noch hätte ihm der Tod seines Pflegesohnes willkommen sein müssen. Aber mit keinem Gedanken hatte er ein solches Ende herbeigesehnt oder auch nur i» Betracht gezogen. Er brachte seiner Tochter das für sie bestimmte Schreiben und blieb im Zimmer, während sie es las. Worte der Liebe quollen Edith aus den wenigen hinterlassenen Zeilen entgegen. Sicher wa. die zwischen > ihnen bestehende Entfremdung Wellnitz nicht mehr zum Bewußtsein gekommen. Er glaubte sich geliebt wie früher, fürchtete jedoch, die Geliebte durch seinen ruhe losen Geist unglücklich zu machen. „Du sollst nicht um mich trauern, Lieb," schrieb er, „denn ich war in deinem Besitz, unter der Fürsorge und dem Schutz deiner Eltern so glücklich, wie es wenigen beschicken ist. Aber auch deine Frohnatur kann sich nur im Glanz des Glückes entfalten. Du wirst den Mann finden, mein Liebling, welcher Glück und Frieden in dein Herz senkt. Ich segne dieses Glück im voraus, cs ist mein letzter Ge danke, meine letzte Bitte an den Himmel. An meiner Seite hättest du gedarbt, wärst unrettbar zugrunde- gegangen. Es ist besser, wenn ich gehe. Lebe wohl und vergiß mich! Gott schenke dir alle Seligkeit, welche die Erde zu vergeben hat!" Mit diesem Briefe in der Hand ging Edith zu dem Toten. „Du zürnst mir nicht," flüsterte sie, „das ist schon des Glückes genug für mich. Du warst besser, treuer als ich. Aber ich will dir nachstreben, und in dem Ringen nach Vervollkommnung will ich dich ehren, du mein bester Freund!" In stiller Einkehr kniete sie lange vor dem Toten lager. 21. Kapitel. Ein paar Tage später schifften Vater Vollmer und sein Sohn sich in Hamburg ein, um nach Amerika zurückzukehren. Vergeblich hatte Magnus seinen Vater um die Er laubnis gebeten, noch einmal nach Schloß Hochfeld zu- rückkehrcn zu dürfen. Wehmutsvoll sah Magnus die Küste schwinden, weiter und weiter zurückweichen, bis sie nur noch als grauer Nebelstreisen sichtbar blieb. In der Abend dämmerung verschwand dann auch dieser. Sein Liebstes hatte Magnus dort zurückgelassen, das Mädchen, welchen, Herz und Sinne gehörten, und die niemals die Seine werden konnte, weil sie sich einem anderen angelobt. Ernst war sein Gesicht, schärfer traten die Züge hervor, es gelang seinem Vater nicht, ihn zu zerstreuen und abzulenken. Er war freundlich und ehrerbietig, doch seine Gedanken blieben in dem deutschen Buchen walde, wo Ediths leichte Gestalt zwischen den alten Baumriesen leichtfüßig dahinschritt. Stundenlang konnte er von ihr träunien. Keine Ahnung verriet ihm, daß sie ihre zartrosigen und lichtblauen Toiletten mit dem schwarzen Trauer- gewan.de vertauscht. Als Wellnitz die Verzweiflungstat beging, befand der Dampfer sich bereits auf hoher See. Keine Kunde von dem Geschehenen drang zu Magnus. Auch als die neuesten deutschen Zeitungen an Bord gelangten, erfuhr man von jenen Vorgängen nichts. Größere Blätter brachten die Notiz von dem Selbst mord des jungen Ingenieurs nicht. Die Ueberfahrt geschah bei herrlich ruhigen,, klarem Wetter. Ohne Zwischenfall landete das Schiff in Neu- york, von dort aus reisten Vater und Sohn in mehr tägiger Bahnfahrt landeinwärts. Wohlbehalten langten sie endlich — sie waren nahezu vier Wochen unter wegs gewesen — auf ihrer Farm an. Absichtlich hatte Herr Vollmer einen Briefwechsel mit Trinöves nicht angeregt. Er wollte von seiner Heimat ferner nichts mehr sehen und hören, sie und die Menschen dort sollten für ihn und seinen Sohn verschollen sein. Aber der Mensch denkt, und das Schicksal lenkt. (Fortsetzung folgt.)