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1857 Mittwoch, den 25. November. Redigin und verlegt von E. M Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. Gold-Perle. (Fortsetzung.) Als Auguste das Bett zu verlassen anfing, gingen Pht- lipp'S Ferien nach wenigen Tagen zu Ende, und er mußte in das Lyceum Napoleon zurücktehren. Bet diesen Gedanken verlor die arme Krankt fast den Verstand. Philipp mochte ihr vorreden so viel er wollte, daß er wie früher sie ost be suchen werde und seinen Ausgehtag nach wie vor alle vier zehn Tage habe; Auguste beruhigte sich bei diesen Verficht- rungrn keineswegs, sondern antwortete ihm nur durch Thränen. Endlich, bei Beginn der Vorlesungen in dem Lyceum deutete sie ihrem Sohne den Wunsch an, mit ihm zum ersten Male die Messe erst wieder zu besuchen. Auf den Arm ihres Neffen gestützt, wandten sie sich nach Notre-Dame, warf sich da vor einem Altar« nieder, betete inbrünstig und weinte während der ganzen Dauer dieser Feierlichkeit. Als fi« sich wieder erhob, schien sie einen großen Entschluß gefaßt zu haben und bat Philipp, einen Wagen zu holen, da fie einen wichtigen Besuch zu machen habe. Jedoch als Phi lipp einen Wagen geholt, verlor fie den Muth, warf sich in die Arme des jungen Mannes, und der Wagen wurde nur dazu gebraucht, fie in ihre Wohnung zurückzubringen. Diese Aufregung hatte, Gott sei Dank, am Ende keine Übeln Fol gen. Goldperle erhielt nun bald ihren vollen Verstand und zeigte, wenn gleich fie fortwährend in tiefen Gedanken ver sunken zu sein schien, doch Geistesgegenwart, wie fie solche seit langer Zeit nicht gezeigt hatte. Sie schickte sich nun an, Philipp s Ausstattung zu besorgen, wobei fie mit dem jungen Manne eigenthümliche Gespräche führte. „Nicht wahr, Du liebst nur mich, Philipp?" sagte fie. „Du würdest Dich wohl keiner anderen Neigung überlassen? Ich bin Deine Mutter, Deine wahre aufrichtige Mutter, denn die andere ist todj. Ein Vater liebt seine Kinder nicht so wie eine Mutter. Und eben so lieben die Kinder die Mut- ter auch mehr als den Vater. Ich bin überzeugt, daß wenn Dein Vater da wäre, Du mich seinetwegen nicht ver lassen würdest." „Mein Vater! Lebt er denn noch, liebe Taute?" „Nenne mich nicht Tante, ich bin Deine Mutter," un- trrbrach fie ihn mit Heftigkeit. Dann fügte fie sanft hinzu: „Dein Vater? was thut das, ob Dein Vater noch lebt oder todt ist? bin ich nicht Deine ganze Familie? Würdest Du ohne mich nicht todt sein? WaS hat Dein Vater für ein Recht auf Dich? Du gehörst mir, Du bist mein Eigenthum! Wäre selbst Dein Vater hier, so würd» er mich eher tödten, als daß ich ihm den Sohn, den ich ihm erhalten, überlassen würde! Würdest Du außer mir noch eine andere Person lieben, stehst Du, Philipp, dann würde ich mir den Tod geben, denn ich würde ja doch sterben, und der gute Gott würde uns dann im Pa- radiese wieder vereinigen." „O! mein Gott! sähe ich Dich einen Anderen so wie mich umarmen," sagte fie, und warf dabet da- in der Hand habende Pack Wäsche zur Erde, „ich würde wahnfinntg «er den! wahnsinnig, ein Verbrechen begehen zu können. Sev- zeihe. mir, mein Gott, was ich sagte, aber ich bin nicht mehr bet Verstand." 3. Ja oder Rei«. Als Philipp in da« Lyceum gebracht war, kehrte August« aus ihre alt« Stelle am Pont-Neuf, die fie seit zwei Mona- ' ten nicht tnnegehabt, zurück. An der Stell« des alten leine nen Wetterdaches war eine nette, kleine Krambude an eine« der kleinen Thürmchen der Brücke errichtet, auf der der Nam« „Auguste" zu lesen war. Man hatte weder ihr Wahrzeichen, noch ihren Beinamen „zur Goldperle' darauf vergessen. Ein Nachbar übergab ihr den Schlüssel zu diesem Häuschen, fit dem fie nun nicht mehr den Einflüssen der Witterung bl«S- geftellt war. An diesem Schlüssel befand sich ein Bries ve« Herrn Grafen von Baum«e, worin er ihr den leben-länglicht« freien Besitz dieser Bude anzeigte. Als ihr nun thregtMedie die Vortheile eines solchen.Geschenke- auSeinandeksetztr« ustd ihr hinter dem VerkausSorte noch ein kleine«, behUeM-S^Mni- mer zeigten, in d«m fie die Nacht wohnen könne, ohne ge zwungen zu sein, wie früher, den wetten Weg zu ihrer sech- Treppen hohen Bodenkammer Abends zurückzulegen, brach die alte Frau in Thränen au- und war vor FreNde üb«r ihr Glück wie versteinert. „Ich will von ihm nicht-!" sagte fie unter Schluchzen. „Nein, mein Gott, ich will nichts von ihm." ' - i Dann erschrocken über die Worte, die fit so eben ge sagt, blickte fie ängstlich um sich und fügte Mit zitttrkder, von innerer Aufregung gebrochener Stimm« hinzu: ? „Er ist doch ein guter, gnädiger Herr! ich wrrde ihtr in mein Gebet etnschließen!" In der That warf fie sich, als fie allein war, vor ! «in Crucifix, welche- in dem kleinen Ztmmerchen hing und I wollte für ihren Wohlthäter beten, aber ein grausamer ! Schmerz, ein Lippenbiß hielt ihre Lippen geschloffen und ver- ! hinderte ihren Kopf zu denken. „Kann Gott," so sagte fie ! fich, „die Gebete für einen Menschen erhören, dem man sein Kind gestohlen hat? Dieser ist dein Wohlthäter; er über häuft dich mit seinen Geschenken, auf die du keinen Anspruch hast, und du läßt ihn allein, verlassen, und ohne seinen Sohn! seinen Sohn, der sein Alter mit Freude erfüllen würd?! Niederträchtige gib ihm sein Kind zurück, und erbitte kein Glück von Gott für ihn, da- du ihm mit einem einzigen Worte geben kannst." Plötzlich sprang fie heftig auf, warf den in Her Hgnd haltenden Rosenkranz von fich, setzte fich in ihren Laden und versuchte über ihren Beschäftigungen fich'zu zerstreuen. Bald verfiel fie in wüste Träumereien. Da- Messer, mit dem fie die Kartoffeln schälte, entglitt ihrer Hand, die e» nicht fest hielt, und fiel.zu ihren Füßen. Endlich verbrannt«» die Fletschstück«, welche in der Pfanne gebraten wurden, da fie fie nicht sorgfältig umwandt«, und verbreiteten auf der Brüste dicke, sttnkeirde Rauchwolken. Goldperlt sah und hörte nichts! der Hundescheerer mußte fie erst btt d«r Hand ergreifen, um fie auf dies« Verwüstung ausmtrksa« zu mähen. (Fortsetzung folgt.) '