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Da blühten Feuerlilien, Rosen, Jasmin und Tausend schön, auch rote Nelken und weiße Sternblumen. Aepfel und Birnen reiften in der Sonne, und an einem kleinen Bache, der sich im Walde unter düsteren Tannen verlor, schimmerten himmelblaue Vergißmeinnicht. Fast andächtig schaute Magnus auf die farbenbunte Herrlichkeit, lauschte dem Summen der Bienen, dem heimlichen Zwitschern schlaftrunkener Vögel. Das Herz war ihm so voll und schwer, so frohbe wegt. Er dachte an die große Farm, die weiten Land strecken und unabsehbaren Forstgebiete, welche ihm im fernen Westen gehörten. Er war nicht der Verwalter seines väterlichen Besitzes, das hätte sein reger Geist nicht zugelassen. Er war absolut selbständig, hatte mit dem von der Mutter ererbten Kapital Land und Leute erworben. Stolz war er auf seinen Besitz, und Befriedigung schwellte sein Herz, wenn er das schier endlose Terrain besichtigte, wo er Herr und Gebieter war; aber so ein heimlich-trautes Empfinden und eine so süße Freude, wie in diesem kleinen Blumengarten, hatte er früher nicht gefühlt. „Herzlich willkommen, Herr Vollmer," begrüßte ihn nun erst der Forstmeister, „und nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich Sie zuerst mit einem Iugendgenossen von mir verwechselt habe, mit dem Bruder unseres verehrten Schloßherrn " Magnus hatte den Aeußerungen des Forstmannes keine Beachtung geschenkt; als man aber gemütlich plaudernd an dem blumengefchmückten Tisch saß und den ersten Kaffeedurft gelöscht halte, kam Edith auf dieses Thema zurück. „Sie haben ganz recht, Herr Forstmeister, mein Oheim kann möglicherweise noch unter den Lebenden weilen, aber warum mag er dann nichts von sich hören lassen?" „Es werden den Verschollenen iriftige Gründe zwingen, der Heimat fernzubleiben," meinte Vollmer, „ebenso gut kann er auch drüben, wo den Fremden auf Schritt und Tritt Gefahren umlauern, längst zu grunde gegangen sein." Der alte Herr nickte. Ich tat nicht recht daran, einen Toten zu wecken, doch da es einmal geschehen, so halte ich es für meine Pflicht, den Andeutungen eine offene Erklärung folgen zu lassen. Man könnte Ihnen, Herr Vollmer, stark eine entstellte Geschichte von Schuld uyd Pflichtoergessenheit erzählen, ich hörte im Laufe der Jahre oft derlei empörende Uebertrei- bungen, an denen nicht viel Wahres ist. Unser Herr Baron wird es mir" vielleicht sogar danken, wenn ich die Sache einmal klarstelle." „Papa spricht nie von seinem verschollenen Bruder" sagte Edith, „aber auch mich interessiert es, von diesem Verwandten zu hören. Ich muß sagen, daß ich nach seinen Schicksalen nie gefragt habe, er ging, lange be vor Papa heiratete." „Gewiß, und damals lebte noch Ihre Großmutter, Fräulein Edith, die alte Baronin Hochfeld; sie war immer nur Ihrem Papa, dem jüngsten Sohn, zugetan ; Wolfgang, der Majoratserbe, war ihr, ,so absurd es klingt, ein Dorn im Auge. Als die beiden Söhne noch .Knaben waren, äußerte sich bereits diese Abneigung. Für jede Unart wurde Wolfgang hart bestraft, er war geradezu der Sündenbock der Familie, wogegen Botho so ziemlich tun und lassen konnte, was ihm beliebte, ohne eine Rüge fürchten zu müssen. Er war und blieb der verwöhnte Liebling seiner Mutter." „Da hat die Baronin ihren beiden Kindern unrecht getan," sagte Vollmer ernst, „den älteren durch über mäßige Strenge zu einem scheuen, vielleicht auch miß trauischen, unliebenswürdigen Menschen erzogen, in dem jüngeren die Lust an der Lüge, am Leichtsinn geweckt; aus solchen verwöhnten Muttersöhnchen gehen gewöhn lich die unerträglichsten Egoisten hervor." Er hatte im Moment ganz vergessen, daß der als unerträglicher Egoist Bezeichnete Ediths Vater war. Sie wurde rot vor Unwillen. „Wenn Papa der Liebling seiner Mutter war, so hat die Verzärtlichung keine üblen Folgen für ihn gehabt; Papa ist einer der besten, edelsten Männer, welcher an seine Person stets zuletzt denkt. Er ist ein erklärter Feind des Leichtsinns und der Lüge; einen, der es mit jeder Pflicht so ernst und genau nimmt, gib« es nicht ost." Ehe Vollmer etwas erwidern konnte, fuhr Hübner fort: „Mir liegt daran, Tatsachen festzustellen, und die verhielten sich genau so, wie ich sie erzähle. Der junge Herr Wolfgang litt schwer unter der Lieblosigkeit seiner Mutter, er wurde seines Lebens nicht froh. Schon als Knabe hatte er Sehnsucht nach fernen, fremden Ländern. Dieses Verlangen, die Heimat zu verlassen, mit der Familie zu brechen, wuchs von Jahr zu Jahr in ihm. Nach dem Tode seines Vaters begann ein bestimmter Plan in ihm zu reifen, da war es beschlossene Sache, daß er auswandern, alle Rechte an den zurückbleiben- üen jüngeren Bruder abtreten wollte. Als sich das Verhältnis zwischen ihm und seinen nächsten Ver wandten immer unfreundlicher gestaltete, traf er in der Stille alle Vorbereitungen zu seiner Uebersiedlung ins Ausland. Und eines Tages ging er, ohne persönlich Abschied genommen zu haben. In einem hinterlassenen, rechtskräftigen Schreiben leistete er zugunsten seines jüngeren Bruders Verzicht auf das Majorat und er klärte, nie wieder in die Heimat zurückkehren zu wollen. Wolfgang hat Wort gehalten, er ist nicht wieder gekommen." Der alte Herr schöpfte Atem, strich mit bebender Hand über seinen wohlgepflegten, langen Silberbart. Die jungen Menschen, welche ihm zuhörten, standen ganz im Banne der alten tragischen Geschichte. Edith wagte nichts mehr zur Verteidigung ihres Vaters zu sagen, den sie so innig liebte und verebrte, Vollmer aber sann vielem nach, was ihm oft seltsam im Ver halten seines Vaters oorgekommen war. Er schalt sich einen Phantasten, als ihm der Gedanke kam, sein eigener Vater könne identisch sein mit dem verschollenen Baron Hochfeld. Nein, wie kam ihm nur eine solche Ideenver bindung, das war doch gar zu sehr herbeigezogen. Der alte Herr hatte mit abwesendem Blick dage sessen. „Wolfgangs intimster Freund war Leo von Wellnitz," fuhr er bedächtig fort, „denn Wellnitz ver traute er seine besten Gedanken, dock auch Schmerz und Seelenkonflikte an. Ich war der Dritte in diesem Bunde, doch fühlte ich mich mehr als loses Anhängsel, zurückgesetzt, nicht für voll genommen. Ich war stets neidisch auf die beiden andern, die unzertrennlich schienen und sich mit Blicken verstanden- wenn sie nicht sprechen wollten. In dem, was die beiden mir anver- trauten, war doch so manche Lücke, und die letzten Be weggründe ihrer Handlungen sind mir bis auf den heutigen Tag ein Geheimnis geblieben." Wieder machte Hübner eine Pause. Eine tiefe Falte stand zwischen seinen buschigen, weißen Brauen. „Eines Tages war Wolfgang auf und davon," berichtete er mit heiserer Stimme, hastig und erregt, „und in der nächsten Nacht machte Wellnitz durch einen wohlgezielten Schuß seinem Leben ein Ende." „O Gott," sagte Edith erschauernd, „wie furchtbar ist das alles!" Sie dachte an ihren Verlobten, dessen Jugend durch den Selbstmord des Vaters alle Fröh lichkeit genommen worden war; nur selten hatte man ihn so ausgelassen und übermütig gesehen wie andere Knaben. Zögernd war sein Gang gewesen, bedachtsam jedes Wort, welches er gesprochen, denn es fanden sich auch Altersgenossen, die ihn das unehrenhafte Ende, welches sein Vater genommen, entgelten ließen. (Fortsetzung folgt.)