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70»' Sonnabend, »len 12. September. 1857. Redigier und verlegt von E. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. Die Raben. (Fortsetzung.) Herr von Greoulx sah unruhig nach dem Bette, und be- deutete der Alten durch Zeichen, leiser zu reden. „Wenn sie e- hörte," sagte er, „so könnte es sie betrüben, daß ein Frem» der von ihrer traurigen Lage in Kenntniß gesetzt wurde." „Sie schläft," antwortete Susanne, „wenn dies nicht der Fall wäre, so hätte sie uns gewiß schon gefragt, wer bet uns sei." ES trat nun für einen Augenblick Stille ein, während deren die beiden Raben ihre schielenden Blicke nicht von dem juM Manne verwandten, der ganz in düstere Träumerei veDickn schien. Hätte er an die Macht des bösen AugrS geglaubt, so müßte er sich in diesem Augenblicke ohne Zwei- Mfftr bezaubert gehalten haben. Demungeachtet lag aber ist den GefichtSz-gen der beiden Alten nichts Bedrohliche-, sie drückten im Gegenthetle einen gewissen Grad von Wohl wollen au«. ' »Mein Herr,- sagte Veronika plötzlich, »wohnt Ihr für gewöhnlich aus dem Schlosse Greoulx?" »Ja, bet meinem Großvater, dem Baron von Greoulx." »Ach! er lebt also noch!" murmelte Susanne, „ich glaubte, er wäre schon längst gestorben." »Kanntet Ihr ihn denn?" fragte KaSpar nicht ohne Staunen. »Ja; doch mögen eS wohl schon fünfzig Jahre her sein, seit ich ihn zum letzten Male sah," erwiderte sie kalt; „er war ein schöner Mann, und sein Sohn, der Chevalier, wie man ihn schon damals nannte, war rin hübscher Junge, blond, wie seine Mutter, der ost seinem Lehrer, dem Abbe Jöllivet davon lief, um mit den Dörfjungen herumzuspringcn." „Das war mein Vater, der leider fast seit zwanzig Jah ren schon todt ist, so daß ich mich seiner kaum mehr erinnern kann! auch meine Mutter ist gestorben, und ich bin eine Waise ohne jeden andern Schutz, al- den meine-Großvater-." „Ihr seid demnach der einzige Erbe de- Namens und Vermögens der Barone von Greoulx?" „Ja, ich bin der einzige Sohn, wie es auch mein Va ter war," erwiderte der junge Edelmann in fast schmerzlichem Tone; „ich habe keinen andern nahen Angehörigen, außer meinem Großvater." „So wftd er auch nicht versäumt Haben, all' seinen Ehr geiz aus EuLzu übertragen und sich darin gefallen, Euch mit Allem zuHersorgen, was der Eitelkeit eines Edelmanne- zu schmeicheln vermag?" „Ja, bi» Patzer habe ich da- Leben eine» großen Herrn geführt; mein Großvater verläßt zwar sein Schloß nie, aber er empfängt den ganzen Adel der Provence auf Greoulx. .Im verflossenen Jahre habe ich, seinem Befehle gemäß, Part- besucht und er hat wich mit Allem versorgt, um dort eine Rolle zu spielen. Einer meiner Verwandten, der Herr Her zog von M„ stellte mich dem Hose zu Versailles vor, und -ich habe dort zwei Monate zugebracht, um, wie man zu sagen pstegt, die Hoflust einzuathmen. Erst seit wenigen Wochen bi» ich von da zurückgekehrt und habe mich nur acht Tag» auf dem Schlosse Greoulx verweilt." „Ah! ich merke wohl, Eure Reise hat Euch den Retz der Freiheit kosten lernen, und als Ihr wieder unter das Joch zurückkehren solltet, wolltet Ihr Euch nimmer schmiegen?" „Ihr habt eS fast erratheu," erwiderte der junge Mann- mit einer Mischung von Stolz und Niedergeschlagenheit, „ich thue vielleicht Unrecht, allein ein solches Leben ist mir uner träglich. Mein Großvater hat mir Vorschläge gemacht,! die mit meinen Ansichten nicht übereinftimmen; sein fester oder vielleicht eigensinniger Charakter ist auch auf mich übergega»^' gen und somit habe ich mich ! seinem Willen nicht gefilzte Hierauf hat er mich wie einen ungehorsamen Knabem behaa-) delt und mich mit Vorwürfen, ja selbst: mit Drohungen über häuft. Um nun die Achtung, die ich ihm schulde, nicht! ganz zu verletzen, bin ich lieber ganz sortgegangen. und Hit- Her gezogen —" „Ohne Geld?" unterbrach ihn Veronika. „Ich hatte noch etwa fünfzig Louisd ors und diese reich ten hin, um ohne Equipage, obne Bedienten, al« einfach«: Bürger zu leben. Ueberdies hatte ich vor, Dienste zu neh< men, allein ich bin plötzlich krank geworden —" „Vor Kummer wahrscheinlich?" unterbrach ihn die Alt« abermals. »Ja, auch das ist wahr," erwiderte der Edelmann seuf zend. „Ich bin jung, von Stande, der einzige Erbe «ine- großen Vermögens, und sah mich plötzlich genöthigt, «in har-. teS, elendes Leben zu führen." „So ist es noch Allen ergangen, die von dem Baron von Greoulx abhängig waren," sagte Susanne in mitleidigem, aber bitterm Tone; „Ihr könnt Euch uns ganz anvertrauen, lieber Herr, denn wir kennen Eure Familie von lange her." „So habt Ihr wohl sonst selbst auf dem Schlöffe Greoulx gelebt?" „Ja," antwortete Susanne trocken, „doch eS ist unnö- thig, daß ich Euch Alles erzähle. Erfahret allein so viel, daß wir in der Umgebung Eurer Familie gelebt haben, und daß uns alle ihre Mitglieder, die noch Lebenden sowohl, als die bereits Verstorbenen bekannt sind; Ihr braucht daher u»S. nichts zu verhehlen." !>r Der junge Mann war der Meinung, die beiden Frauen müßten wohl bet der verstorbenen Frau Baronin von Greoulx, seiner Großmutter, die bereits seit einem halben Jahrhundert todt war, in Diensten gestanden sein, und obgleich sie dM» nach in seinen Augen so wett unter ihm standen, so ver schmähte er es doch nicht, die Theilnabme, welche sie ihm be wiesen, durch volles Vertrauen zu erwidern. „Wenn Ihr meinen Großvater kennet, so werdet Ihr leicht begreifen, was ich zu dulden hatte, so lange, ich unter seiner Aufsicht lebte. Er ist ein Mann, dessen unbeugsamer, unumschränkter Wille durchaus keinen Widerstund ertragen kann. Er besitzt alle Eigenschaften, welch« im Stände find, in der Welt Rus zu verschaffen; er ist freigebig, prachtliebcnd und voll Liebenswürdigkeit in seinen Manieren; wer zu ihm zum Besuche kommt, wird Mit fürstlicher! Gastfreundschaft be» wirthet und verläßt sei» Schloß nicht, ohne von seiner Höf-