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Allerlei Plauderstunden. Erzählung von Otto Schmitz. 2. Oer braune Mantelsack. (Nachdruck verbalen.) Seit einer Stunde hatte sich der Stammtisch über die tragische Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand von Oesterreich und seiner Gemahlin unterhalten. Tie Zeitungen hatten ausführlich über die Scheußlichkeiten berichtet. Eine lebhafte Debatte hatte sich entspannen, wobei schließlich die Ansichten ziemlich heftig aufein ander geplatzt waren. Wenn auch alle Mitglieder der Tafelrunde in der Verurteilung der von den serbischen Mordbuben verübten Bluttat übereinstimmten, so be- fanden sich unter ihnen doch einige geschichtsphilosophisch veranlagte Köpfe, die sich über die möglichen Folgen der Tat nicht einigen konnten. Darüber war es zu hitzigen Erörterungen gekommen, und die Stimmung war zeit weise eine ziemlich gereizte gewesen. Jetzt war sie ab geflaut, die Unterhaltung war allmählich ins Stocken geraten und schließlich an jenem Punkte angelangt, wo „ein Leutnant seine Schulden bezahlt". Ter Maler Werner unterbrach die Stille. „Meine Herren," begann er, „ich denke, wir lassen diese Balkantragödie jetzt ruhen und schlagen ein anderes Thema an. Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen eine kleine Familientragödie erzählen, die sich vor einigen Tagen bei einem Freunde von mir abgespielt hat." „Bitte!" antworteten mehrere Stammgäste. „Mein Freund, Erwin Knietschke —" „Wie heißt der Mann?" fragte Trommler. „Entschuldigen Sie, Herr Professor, aber er heißt wirklich so: Knietschke, Erwin Knietschke, wenn Sie nichts dagegen haben. Er ist Vertreter mehrerer Hamburger und Bremer Exporthäuser uud abgesehen von seinem unglücklichen Namen ein netter, bescheidener und liebens würdiger Mensch, der vor ungefähr zwei Monaten den Einfall gehabt hat, mit einer entfernten Cousine von mir dem Standesbeamten einen kurzen Besuch abzu- statten. Meine Cousine, jetzige Frau Knietschke, ist ein hübsches, reizendes, junges Frauchen, die in meinen Augen allerdings einen Keinen Fehler hat: sie ist etwas herrschsüchtig und fühlt den Beruf in sich, alle Welt, namentlich aber ihren jungen Eheherrn, ein wenig zu bemuttern. Kurz und gut, sie arbeitet darauf hin, ihn unter ihren sanften Pantoffel zu bringen." „Wir verstehen schon," brummte Amtsrichter Regen wurm ärgerlich. „Wozu diese langatmigen Er klärungen?" „Entschuldigen Sie, Herr Amtsrichter, es sollte keine Anspielung sein." „Würde ich mir auch verbeten haben." „Ich bitte, den Redner nicht zu unterbrechen," rief Major Engelbert, an sein Glas schlagend. „Erzählen Sie weiter, Herr Werner." Tiefer nahm einen Schluck Spaten und fuhr fort: ,Diese weiblichen Herrschastsgclüste meiner Cousine hatten indessen der Glückseligkeit der Flitterwochen keinen Abbruch getan. Mein Freund Knietschle: hat eben ein weiches, nachgiebiges Gemüt, ist in seine Frau rasend verliebt, und so füllt es ihm nicht nur nicht schwer, sondern er findet sogar einen besonderen Reiz darin, alle ihre Wünsche und Launen zu erfüllen. Vor unge fähr acht Tagen senkte sich der erste Schatten auf ihr bis dahin ungetrübtes junges Eheglück. Wichtige Ge schäfte nötigten meinen Freund Kuietschke, eine drei tägige Reise nach Hamburg zu machen. Es war die erste Trennung nach ihrer Verheiratung. Das junge Frauchen war untröstlich, Knietschke ebenfalls; aber die Pflicht rief, und er suchte sich zu fassen. Der Abschied war herzzerreißend. Um so schöner war bei seiner Rückkehr das Wiedersehen. Die drei Tage seiner Wwesenheit waren beiden wie drei endlose Jahre vorgekommen. Aber jetzt war er zurück, und sie lag selig an seiner Brust. Unzählige Küsse wurden ausgetauscht, ein Schwur nach dem andern geleistet und hundertmal das Versprechen ewiger Treue wiederholt. Tann schmiegte sie sich noch inniger an ihn, schlang ihre weichen, runden Arme um seinen Hals und flüsterte ihm zärtlich ins Ohr: „Und mcht wahr, mein Lerzensschatz, getrunken hast du doch nicht unterwegs? W meine über den Durst getrunken!" „Aber Kindchen!" — „Und du versprichst mir auch, lieber Erwin, daß du niemals trinken wirst?" „Aber liebe Else, du weißt doch, ich habe in meinem ganzen Leben nicht getrunken!" erwiderte Knietschle in einem beinahe entrüsteten Tone. „Und spielen wirst du auch nie, Männchen, das schwörst du mir?" „Aber, Mäuschen, ich habe doch noch nie gespielt. Ich kann nicht einmal die Karten voneinander unter scheiden." Sie drückte ihn noch fester an sich und fuhr fort: „Und du wirst auch nicht mehr rauchen, niemals wieder, lieber Erwin. Das hast du mir versprochen, und du wirst auch Wort halten." „Selbstverständlich, mein Herzblatt! Ich habe keine Zigarre und keine Pfeife mehr angerührt seit der Stunde, wo du den Wunsch geäußert hast, daß ich dem Nikotin entsagen solle." „Ta küßte sie ihn zärtlich erst auf beide Wangen und dann auf den Mund, und sie glaubte ihm, sie ver traute ihm, wie eben nur ein junges liebendes Weib glauben und vertrauen kann. Ter Engel deS Friedens und der Eintracht schwebte über der glücklichen jungen Häuslichkeit, und Erwin Kuietschke gestand sich in: stillen, daß der einzige Sohn seines verstorbenen Vaters einer der beneidenswertesten Sterblichen sei. Doch mit des Geschickes Mächten, sagt schon Goethe —" „Schiller!" unterbrach Professor Trommler hier den Erzähler, ihn mit einem strafenden Blick messend. ^.Pardon! sagt schyn Schiller," verbesserte sich Maler Werner, und fuhr fort: „Kuietschke, sich plötzlich er innernd, sah sich im Zimmer um und stellte fest, daß der Portier, der 'ihm den Wagenschlag geöffnet und sein Reisegepäck an sich genommen hatte, den Mantel sack noch nicht heranfgcbracht habe. ,Hch will doch mal gleich nachsehen, da sind verschiedene wichtige Geschäfts papiere drin," meinte er. Aber das wollte seine Frau unter keinen Umständen dulden, und es entspann sich ein kleines, harmloses Wortgeplänkel. „Nein, nein, bleib sitzen," bat sie, „du bist müde. Er wird ihn in den Flur gestellt haben. Ich werde hinausgehen und nachsehen." „Nein, nein!" wehrte er. „Aber ja!" entschied sie. „Glaubst du denn, ich werde dich wegen des dummen Mantelsackes aufstehen lassen, wo du von der langen Reise so abgehetzt bist? Wie kannst du so was nur denken? Nein, wirklich! Tu bleibst sitzen! Ich werde ihn selbst holen, ansschnallen und auspacken. Und nun kein Wort mehr!" Er wußte schon, wenn sie einmal gesagt hatte „uud nun kein Wort mehr", dann blieb ihm nichts übrig, als sich zu fügen. Und er fügte sich. Aber, aber, Kuietschke, was harrte deiner? Tas hatte er sich nicht träumen lassen. Sic kam gleich dar auf nnt dem Manttisack ans braunem Segeltuche her-