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74 das Ei, aus welchem die Raupe — der Kandidat — her. § vorkriecht, der als Rennthier, vulgo Stundcnläufer, seinem Broterwerbe nachtrachtet. Erlangt er eine Hauslehrerstelle, so wird er, wenn er seine Zöglinge an die Luft führt, zuin Bärenführer, daheim aber zur Puppe, mit welcher ein Jedes — von der gnädigen Prinzipaltn an bis zum Küchenmädchen und Schuhputzer herab, nach Belieben sein Spiel treibt. Erst nachdem er diesen leidenden Zustgnd eine geraume Zeit ge. duldig ertragen hat, darf er als Pfarrer seine bisher zusam- mengeschnürten Schwingen entfalten und al- freier Hirte seine Schäflein weiden. Auch ich sollte keine Ausnahme von dieser Naturregel eines Kandidaten machen, sondern alle Verwandlungen über stehen. Da das Rennthierleben, wie ich schon früher be schrieben habe, von sehr vielen Zufälligkeiten und SchicksalS- oder vielmehr Menschenlaunen abhängt — da dessen Ein nahmen der Ebbe und Fluth, "absonderlich der ersteren glei chen — da ich zugleich am sichersten jeder ferneren derartigen Versuchung, wie die Erkrankung meiner alten Aufwärterin hcrbeigeführt hatte, zu entgehen hoffte — da ich endlich eine große, sehr große Schuld abzutragen habe,, die ich durch eine gesichertere Stellung eher befriedigen zu können glaubte, so entschloß ich mich rasch, da mir eine Hauslehrerstelle angetra gen wurde, und — verpuppte mich. Freie Station und jährlich einhundert Thaler — et da hoffte ich doch wenigsten- die Hälfte davon für Abtragung meiner Schuld erübrigen zu können. Mein Prinzipal war ein ehemaliger Offizier, Edel mann und Rittergutsbesitzer, dessen Gattin die^Tochtcr eines sehr reichen Kaufmanns aus Leipzig, zwei Junkers und eben so viele Fräuleins von dreizehn bis fünf Jahren, waren meine Zöglinge und endlich lebte noch die hochbejahrte Mut ter meines Prinzipals bei ihrem Sohne hier im Schlosse, das nur eine Stunde weit von der Residenz entfernt liegt. Vor Vieser alten Dame, welche große Stücke auf ihren Stamm baum und Stand hält, fürchteten sich alle im ganzen Schlosse und Dorfe wie vor dem leibhaftigen Teufel, ja mehr noch, indem ja jetzt fast Niemand, selbst nicht einmal das gemeine Volk, an einen Teufel glaubt. Ich für meine Person konnte mich bis jetzt nicht über die alte gnädige Frau Oberst bekla gen, da ich ihr stets die gebührende Ehrfurcht bezeigte, ihren alten Mops schön sand und denselben fleißig mit Knochen (die mir als Hauslehrer in reichlichem Maße mit etwas Fleisch daran zugetheilt werden) beschenkte und erfreute. Was meine Zöglinge und deren Lerneifer anlangt, so gehe ich über diese hinweg. Sie sind nicht besser und nicht schlechter wie die meisten ihres Gleichen. Auch hatte ich gleich von vorn herein meine Erwartungen nicht hochgestellt und daran sehr wohl gethan. (Fortsetzung folgt.) Tayesgeschichte. Hierauf dieser Welt ist nun einmal kein dauernder Friede zu erreichen. Für jegliches Ohr hat das Wort „Friede" einen so zauberreichen Klang; Jeder wünscht auf richtig „in Frieden" leben zu können: und doch will unter dieser Sonne kein wahrer, dauernder Friede gedeihen. Der Mensch in seinen Leidenschaften und Bestrebungen hindert selbst, daß die Menschheit dieses edlen, köstlichen Gutes in vollem Maße theilhaftig werde. Der kalte Philosoph sagt freilich: Kampf nur stählt die Kraft; steter Friede aber erschlafft Körper und Geist, darum muß überall Kampf sein, wo der strebende, ringende Mensch waltet. Wohl! Aber muß der Kampf'der Geister mit Lei denschaft, mit gegenseitiger Anfeindung und Verkctzc- rung geführt werden; muß der beglückende, beseligende Friede dem Kampfe der Geister zum Opfer fallen? — Und nun vollend- der Kampf mit physischer Gewalt, in dem die bru- dermördertsche Waffe und ihre geschickte Führung und An wendung den Ausschlag gibt, ist er wirklich vereinbar mit den hohen, göttlichen Lehren unserer erhabenen christlichen Re ligion? Wird Nicht einst eine Zeit aufgehen über die Mensch heit, hehr und erhaben, in der Krieg und Krieg-geschrei ver stummt sein werden, eine Zett, in der alle Völker der Erde glücklich leben werden unter dem verklärten Strahlenkränze eines steten Friedens? — Tief einschneidende Fragen, die hier nur berührt sein mögen. Doch, so weit die Geschichte der Menschheit zurück reicht, so weit hin sehen wir auch steten Kamps: Kamps der Geister, ausartend in die blindeste Ver folgungssucht, Kamps mit ehernen Waffen, getaucht in das Blut der Brüder. Aber die Menschheit stand in den frühe- ren Jahrtausenden noch in ihrer Kindhett-epoche. Sie schrei- tet aber stetiglich sort in ihrer geistigen Vervollkommnung und von Jahrhundert zu Jahrhundert- erstarkt sie an Huma, nität und wahrhaft männlichen Sinn. In unserem Zeitalter behauptet aber der Satz: „Unter dieser Sonne kein wahrer Friede" noch seine volle Geltung und wird sie ohne Zweifel noch auf Jahrhunderte wo nicht Jahrtausende hin behaupten. So, um nur beim nächsten in unserer TageSgeschtchte stehen zu bleiben: Kaum ist die Neuenburger Angelegen heit etwas in den Hintergrund getreten und die vollständig gerechtfertigte Aussicht'vorhanden, daß sie friedlich geschlich tet und ein Kampf mit ehernen Waffen unterbleiben wird, so steht in Preußens Hauptstadt schon wieder ein heftiger Kampf der Geister in gewisser Aussicht;, denn täuschen nicht alle Anzeichen, so wird in den preußischen Kammern (dem Heerenhause und dem Hause der Abgeordneten) in den nach- sten Wochen ein heißer, parlamentarischer Kampf ausgesochten werden. Grund dazu sind die Ftnanzvorlag en Setten der Regierung, die die Erhöhung einiger alter Steuern und Schaffung einer neuen enthalten. Die neue Steuer ist die sogenannte „Häuser- oder Gebäudesteuer" für die ganze Monarchie nach verschiedenen Grundsätzen für Stadt und Land; auf dem Lande nach verschieden.-» Abstufungen von mindestens 10 bis 25 Sgr., in den Städten je nach dem Zwecke des Gebäudes mit 2—5 Procent des WertheS; und unter der Erhöhung einiger alten Steuern zählt namentlich die Erhöhung der Salzsteuer von 12 aus 15 Thlr. per Tonne von 500 Pfund. Wie es den Anschein hat, werden diese Finanzvorlagen nicht nur im Hause der Abgeordneten, sondern mehr noch im Herrenhause (von woher es sicher die Regierung am mindesten erwartete) auf heftige Opposition stoßen, und es sind dem- nack, wie wir schon oben erwähnten, in den nächsten Wochen heiße Debatten in den preußischen Kammern zu erwarten. Es ist sicher nicht zu viel behauptet, wenn wir sagen, daß die Augen von ganz Deutschland jetzt erwartungsvoll auf Berlin gerichtet sind. Wollen wir hoffen, daß der Kampf ein weniger heißer werde, als man befürchtet und daß ein gegenseitiges Nachge ben ein erfreuliches Ende der Debatten herbeiführe. Der Volksfreund wird seiner Zeit den Verlauf dieser Finanzsrage getreulich resexiren. Für heute genüge eS, darauf hingewtesen zu haben. Deutschland. Oesterreich. Wien, 29. Januar. In der Triester Ztg. finden wir den Wortlaut des kaiserl. Handschreibens, durch welches die allgemeine Amnestie ange ordnet wird. Es lautet: „Lieber Feldmarschall Graf Radetzky! Ich finde im Gnadenweg allen dem lombardisch-venetianischen Königreich angehörenden Individuen,