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WMssi-Eö rWArgWer Redigi« und verlegt von C. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. Sonnabend, den 13 Junk. Anna Musen. (Fortsetzung.) Anna hatte nun diese Nacht genug zu thun, und so ging es ost; mitten in ihren Geschäften befiel Valitka ihre Krankheit, meine Schwester mußte dann das Angekangene vollenden, und daneben die Leidende pflegen. Sie that es mit großer Geduld, ohne zu ermüden; viel schwerer ertrug sie ihre Unterhaltung, und den ungewodnten Müßiggang. Nach acht Tagen endlich brachte ihr der Offizier die Erlaub- niß, ihr Arbeitsgeräth auszuzeichnen, indem er ibr sagte: es sei durch die Gnade der Kaiserin Catharina, daß man ihr Alle-, wessen sie bedürfe, einhändigen werde. Sie erhielt nun einige französische und deutsche Bücher, eine Spindel und Malergeräth. Welche Freude! nun war der Tag nickt mehr zu lang, und vertieft in ihre Malerei, hörte sie Valitkas Ge schwätz nur, wie man das Klappern einer Mühle hört, ohne davon gestört zn werden. Wenn sie laS, fühlte die Zwergin sich gekränkt, und schmollte; sie begriff nicht, wie ein Mensch, so lange er mit seines Gleichen sprechen könnte, über todten Büchern hängen möchte, und erklärte Schreiben und Drucken für ein völlig nutzloses Wirken. Malte Anna aber, so fand sie daran großes Behagen, daß sie ihre Augen an die arbei tende Hand heftete, s» nahe und unverwandt, daß es eine neue Geduldprobe für meine arme Schwester ward. — So waren fast drei Wochen vergangen; da kündigte mir die Czaarin eines Abends, als ich mit einer Botschaft ihres Gemahls bet ihr erschien, die Erlaubniß an, meine Schwester zu besuchen. Mein Dank war so feurig wie meine Freude, knieend empfing ich das Schreiben, das mir Einlaß in die Festung verschaffen sollte, und benetzte die wohlthätige Hand, die es mir reichte, mit Thränen. Kei» größeres Glück konnte für mich gedacht werden, nur kränkte mich der Gedanke: wie selig Jerislaw sein, wie wohl auch Anna es mir danken würde, wenn ich ihn statt meiner gehen ließe. Seit ihrer Gefangenschaft war er einsam, schwermüthiz, fast menschen scheu, sah Niemand als mich und seinen langsam hinscheiden- M Bater, und verschmähte jede Erholung. Ein gelähmter Dlrm, der ihm von seinen Wunden blieb, entfernte ihn vom Dienste; so schien er in stiller Trauer zu vergehen, und der Greis klagte oft bitter, daß sein letzter Blick auf die welkende Blüthe dieser schönen Jugend fallen müßte. Bei solchen Be trachtungen wäre mir das große Opfer nicht zu schwer ge worden, aber, wie ich das Papier untersuchte, fand ich eine genaue Beschreibung meiner Gestalt und meines jugendlichen Gesichts, die für Jerislaw nicht passen konnte. Ich mußte mich also begnügen, der Bote seiner Liebe und seine» Grams zu werden. — Mit welchen Gefühlen sah ich die Veste vor mir, die Wohnung der lieben unglücklichen Schwester! wie schlug mein Herz, während man mir die Thore öffnete, und kalt und langsam Anstalten traf, mich zu ihr zu führen. Sie saß bet einem großen Bilde, und malte eifrig, die wunderlich geschmückte Zwerggestalt stand an ihrer Seite, und drängte den Kops dicht an ihre Hand. Anna sprang mit einem Freudenschrei auf, wir lagen UN» sprachlos in den Armen; Valitka staunte mich neugierig an. Bei dem heiligen Nikolaus, sagte sie, solche Freude ist hier noch nicht erlebt worden. Ich hatte auch einen Bruder, er diente unter dem General Lefort, und war dreimal so groß als ich. Marta und Joseph, er könnte noch leben, wäre er nicht so kühn gewesen. Aber da ritt er in finsterer Nacht — ich war noch nicht lange bei der Prinzessin Sophia, und «S klang grausig, wie der Sturm tobte, und eine Eule klack- merte sich ans Fenster, daß ich gleich wußte, was geschehen würde. Denn ebenso ereignete es sich, da der alte Krako- witsch, der Prinzessin Kammerdiener, starb — der hatte Euch ein Gesicht zum Grauen; sein Bart hing — denn damals trug noch jeder Russe seinen Bart, und einen langen Mantel, wie es sich gebührte, ja Niemand sage mir etwas gegen die langen Mäntel. — Hier unterbrach sie Anna, indem sie ihr einen Auftrag gab; gerettet von ihrer Gesellschaft saßen wir nun einander gegenüber, und tauschten unsere Erfahrungen, unsere Gefühlt, unsere Klagen aus. Anna war es, die mich tröstete. Sie fühlte sich nicht unglücklich, sie war ja entschlossen gewesen, in ein Kloster zu gehen, und hatte den Muth, ihren Kerker wie ein sclbstgcwählteS Asyl anzusehen. Was ich ihr von Jerislaw erzählte, betrübte sie mehr als ihr eigenes Schicksal. Bringe ihm den Gruß meiner Liebe, sagte sie, und beschwöre ihn, ein Mann zu sein! Wenn der schöne Muth seiner Seele unterginge, wäre ich unglücklich; das ist mein Stolz, daß ich für eine Liebe leide, die mich veredelt, und daß nichts uns trennen kann, wenn wir fest aneinander halten. Nur gar zu bald trat Valitka wieder zu lins ein, wir konnten nun nur sprechen, was sie hören durste. Aber schon unser Beisammensein war ja Glück. In der Folge durfte ich meinen Paß ost benutzen, der Czaar ließ eS schweigend k zu, obgleich er meine Schwester niemals erwähnte. Die Czaarin blieb dagegen unsere warme Freundin; sie nahm ein Geschenk Anna'S, das große Bild, das sie im Kerker gemalt hatte, huldvoll an, und ließ ihr durch mich Muth und Hoff nung empfehlen. Kaum-bedurfte cs aber bet ihr solcher Auf munterung. Standhaft und heiter, als ob ihr Gefängniß eine Wohnung der Freude wäre, bewies sie durch eine Hoheit j im Unglück, die selten ihrem Geschlechte eigen ist, sie sei des ! Thrones werth gewesen, den sie verschmäht hatte. Und so ! glückliche Augenblicke lebten wir in dem vergitterten, verschlos- s senen Raume, wenn es uns einmal gelungen war, die Schwätzerin durch eine unschuldige List zu verbannen, daß noch spät, im Schooße der Ruhe, die Erinnerung an jene Zett uns werth blieb. — O Erinnerung des versunkenen Lebens, welch eine Zauberin bist du! Nicht das Schöne allein umfließt dein Nosenschimmcr, er verklärt auch die trübe Stunde, und gibt selbst dem einen Reiz, wa» einst die Gegenwart mit Nacht umdunkelte. Wie oft, wenn meine Schwester uns von ihrem ersten Eintritt in Schlüsselburg erzählte, und Valitka'» wun derliche Reden Wort für Wort zu wiederholen wußte, ward die Zwergmutter für uns Alle der Quell der Unterhaltung und des herzlichen Lachens, so lästig fie^ehemal- der armen Anna schien. Indessen erlosch die schwache LebenSflamme meine- zwei ten Vaters so sanft, als ob er, wie gewöhnlich, bet unftre»