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23, ^Mtwoch, den 22. Apiil.' 18)7, rMSiUifcher "MMsst-Etz. Redigitt und verlegt von C. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. Anna Musen. Ich bin die Rose nicht, aber ich habe neben ihr geblüht, Ich bin nicht di« Sonne, aber ihr Glanz hat mich umstrahlt I Was ich hier niederschretben will, find weniger meine eignen einfachen Begebenheiten, als di« seltenen Schicksale meiner schönen Schwester. In Niedrigkeit geboren, bot die Laune des Zufalls ihr einen Thron, und nur durch sie ward meine Jugend in den schimmernden Lichtkreis eine- der grüß. 1en Menschen meiner Zett gestellt. Längst ist diese verron nen, der jugendliche Paul Musen ist ein Greis geworden, und blickt aus ruhiger Stille in «in« fremde Welt hinaus. Aber Ihr meine Erinnerungen mögt aus dieser Abgeschieden heit hervortreten, gleich einem Strom, den die einsame Felsen- klust geboren hat, und in dessen Gchooß sich, während er freier fließt, Stadt und Schooß, Baum und Pflanze, und des Menschen bewegliches Angesicht spiegelt. Meine Eltern waren deutscher Abkunft, und hatten sich vor vielen Jahren in der deutschen Borstadt von Moskau niedergelassen. Die Mutter hatte ich kaum gekannt, der Va ter verfiel in eine unheilbare Krankheit, als meine Schwester siebzehn, ich dreizehn Jahre zählte. Während meiner ersten Kinderjahre umgab mich Wohlstand und Ruhe, später ver sanken wir in Mangel, von dem ich zwar nur wenig em- psand, der aber des Vaters gramvolles Gesicht immer mehr bleichte, bis seine Körperkräste sich verzehrten, und selbst der Geist unterlag. Durch einen ungerechten UrtheilSspruch, durch Meineid und Ränke hatten wir Alle- verloren; der Gegner meines Vaters war ein gefürchteter hoher Mann, und mein armer Vater schwach und muthloS. Ich verstand nichts von diesen Dingen, aber ich hörte ost meine kluge Schwester da von sprechen, und wenn sie den Vater mit Thränen bat, eine höhere Hülfe zu suchen, bat ich kindisch gerührt mit, bis der zaghafte Mann uns Beide sckweigen hieß. Meine Schwester liebte ich mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit, sie war mir Alles! denn je mehr der Vater in Sorge und Menschenhaß hinstarb, je mehr sah ich in ihr meine Versorgerin, meine Lehrerin, meinen Schutzgeist. Ihre Schönheit, die schon früh von allen Umgebungen unsers beschränkten Kreises bewundert ward, that meinen Augen wohl, und ihre Festigkeit und Klugheit stellte sie wett höher über mich, als die wenigen Jahre^ die sie vor mir voraus hatte. Ich glaube, daß ihre Neigung sie vorzüg lich zu einer höheren Ausbildung des Geiste- hinzog, denn sie wandte oft die Stunden der Nacht an, um deutsche Bücher, besonders die Geschichte früherer Zetten zu lesen, auch wußte sie mit großer Einficht den verwickelten Gang unserer Rechts sachen zu beurtheilen, doch entzog sie sich den Geschäften de- Hauses nicht, und arbeitete außerdem für un- Alle, indem fie Heiligenbilder malte,. die ich zum Verkauf auSbot. — Nicht ander- entfernte Anna sich au« dem Hause, al» um zur Kirche zu gehen, und auf diesem Wege pflegte ich fie ost zu begleiten. Hier fiel mir bald ein junger Mann auf, der es nie versäumte, de? dichtverschleierten Gestalt meiner Schwester auf dem Fuße zu folgen, bi- fie den Schleier vor dem Bilde der,Mutter Gotte- hob, wo er dann mit gänz, ltcher Vergessenheit ihre Züge anstaunte, aber nur au- ehrer bietiger Ferne. Eben so ging er un« nach, und ließ un» ntcht au- den Augen, al- an der Schwelle unserer Wohnung» Ich forderte über diese Seltsamkeit Anna'« Belehrung, den« die schwarzen finstern Locken, da- schwermüthige Auge de« Fremden, und seine geisterähnliche Allgegenwart, weckten aber gläubige Furcht in meinem kindischen Gemüth. Warum folgt uns der fremde Mann immer? fragte ich fie, ich fürchte mich vor ihm. Denke nicht an ihn, sagte fie sehr ernst, und sprich nie mals von der Erscheinung. Hörst Du Paul, gegen Niemand. Bei der Liebe sür Deine Schwester. Ist es ein Geist? fragte ich mit angenehmen Schauern; und kannst Du eS lassen, an ihn zu denken? Ich hoffe eS, erwiderte fie seufzend, ohne «eine erste Frage zu beantworten. Ihr ernster Blick gebot mir Still schweigen, aber desto lebhafter beschäftigte sich mein« Phantasie mit ihrek bunten Bildern. Da- Licht der Aufklärung, ob gleich eS überall schon hell gläitzte, weilt« noch fern von un-, und die Erzählungen meiner Base, di« d«t un« wohnt«, hat- ten mich mit Hexen und Kobolden, mit G«ist«rn aller Art und Gestalt, so vertraut gemacht, daß ich sie nur ei« klein wenig mehr fürchtete, als die wilden Strelttzen und andere bärtigen Krieger. Kindische Neugier machte mich nun noch begieriger nach dem Kirchgänge, aber ich durste meine Schwe ster bald nicht mehr begleiten, da der Vater schwerer erkrankt« und nicht einen Augenblick allein bleiben konnte. Langt schon batte sein Gemüth unter dem Druck de- Körper» und der Sorge gelitten, jetzt nahm die finstere Schwrrmuth völlig den Charakter der Geisteskrankheit an: nur wenig lichte Standen zeigten ihn noch, wie er vormals war. Die Base liebte er nicht, es befiel ihn große Angst, wenn er uns Beide vermißte, und Anna setzte mich deshalb zum Wächter an seinen Stuhl, wenn fie einmal zur Kirche ging. Mein heitere- Geschwätz unterhielt ihn ost, und wenn er tausend seltsame Besorgnisse sür die abwesende Tochter ersann, wußte ich ihn immer zu trösten. Ich begriff unser Unglück bei weitem nicht ganz; der Frohsinn der Kindheit hüllte mir den Zustand de-Vater- in wohlthätige Schleier, und so war ich der beste Gesellschafter sür seinen umdüsterten Geist. — Solche Stunden de-Zwan ge- wurden mir durch die Freiheit versüßt mich mit andern Knaben meines Alters vor der Thür unserer Wohnung um- herzutummcln, selbst die erstarrendste Kälte setzte, diesen Der- gnügungcn selten ein Ziel. Hier sah ich bald genug drn Gegenstand meiner Neugier wieder, und ich ward nu« «1t mir selbst über seine Natur uneinig. In pfeilschnell daher- gleitenden Schlitten, mit vier kleinen muntern Pferd«« be spannt, fuhr er täglich bet uns vorüber, der alte Mann mit dem langen grauen Barte, der die Thtere lenkte, ließ sie Im mer langsamer gehen, wenn unser Hau- eben erreicht «ar, recht,, al- sollte ich den jungen schönen Mann im prächtigen Pelz genauer betrachten, und mich überzeugen, er sei «in We sen wie ich, und weder Geist noch Kobold. Er lächelte mich mit großer Freundlichkeit an, wollte sogar einmal mit mir sprechen, aber so weit war meine Scheu noch nicht besiegt, und ich floh ins Hau« und in- Zimmer, während meine Ka meraden die Spende ausfingen, die mir zugcdacht war. Anna