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1857. Sonnabend, den 4. April. Redigier und verleg! von C. M. Gartner in Schneeberg und Schwarzenberg. Liebe nnd Treue bis zum Grabe. (Sortsetzung.) Seraphim sprach mit thränenden Augen, in meiner Seele glüht für Ihre Güte der heißeste Dank, möge der Ausdruck meines Dankes, der sichtbar aus meinem Herzen quillt, Ihnen das blsibend sein, was er mir ist; ein HciligthuM der Ge sinnung und ferneren edlen Freundschaft." „Bis über das Grab!" rief begeistert der Offizier. „Run noch einige norhwendige Fragen an Sie, Alexis!" mit diesen Worten wendete sich Seraphim wieder zum Polen. „Ist Ihnen in Warschau der Rabbiner Jonathan bekannt gewesen? und standen Sie mit Schilkovsky oder Isidoren in irgend einer Verbindung, oder hat das Unglück sie nur zu- sammengeführt?" Mit einem Blick zum Himmel entgegnete der Pole: „Noch nie ist, was des großen Schöpfers Hand von Ewigkeit an in das große Buch der Vorsicht schrieb, unerfüllt geblie ben; die barmherzigen Wunder seiner Allmacht find groß und unerforschltch. Wohl kenne ich diesen edlen und seltenen Men schen, oder habe ihn leider gekannt!" „So ist Jonathan zu seinen Vätern gegangen?" fragte Seraphim erschrocken. „Er ist cs! früher als das Gesetz der Natur es bedingt; fn diesen Armen entschlief der Mann des frommen Herzens, der Mann, dessen Geist und Sinu ohne Widersprüche waren. Verstand und Willen waren bei ihm Eins, ob Christ oder ob Grieche, ob Katholik oder Jude der Leidende war, ihm war es gleich; die Liebe zu seinem Nächsten, ihm wohlzuthun, ihm Erbarmen erzeigen, dies war sein Glaubensbekenntnis" „Ja, ja, Ihr habt ihn gekannt, den Mann der Ver nunft!" rief begeistert Seraphim; „nicht Schwärmerei, die schreckenhaste, nicht Heuchelei, die tückische, vermummte, die ein Wüthrich und Tartüffe zugleich ist, war sein Glaube. Liebe und Recht waren die Erisuchter seiner Seele, die die Wahrheit leuchtend machen in den fanatischen, geistigen Näch ten von Haß und Wuth." „Erhebt die Gläser, dem Ruhenden unter dem Grase sei der Trunk geweiht; Ehre seinem Angedenken, Friede sei nen Gebeinen. — Alexis, reden Sie, vertrauen Sie mir Alle«, was Sie von diesem zu früh gestorbenen Redlichen wissen." Alexis sprach: „Er, der ohne falsch zu sein, ohne Stolz zu besitzen, in Redlichkeit, Wahrheit, Liebe und Ehre ein Spiegel der Tugend, zm nennen, war mein Wohlthäter und Freund, ich möchte sprechen Vater! denn mein'eigener Vater, ein geborener russischer Edler, verließ meine Mutter und mich, da ich noch am mütterlichen Busen meine erste Nahrung sog. Die- hier ist das Pfand seiner Treue, der Ning der heiligen Verlobung; dabei deutete Alexis auf einen der zwei an der Hand tragenden Trauringe. Seraphim athmete freier, blieb aber auf den Verfolg der Erzählung gespannt; auch der Offizier schien sehr viel Antheil an Alexis zu nehmen. „Al» bei der französischen Invasion mein Vater Polen verließ,, blieb mein« Mutter und ich in Warschau, seinem Willen gemäß, zurück. Da- Leiden de- Kriege- traf Un schwer, denn dje französischen Behörden drückten die russischen Hntcrtbanen daselbst schwerer al- die polnischen. In dieses Lag, mußten wir unS einschränken, und bezogen eine klein« Wohnung in dem Hause des Rabbiner Jonathan. In ihm sanden wir einen barmherzigen Wohlthäter; meine geistige Ausbildung verdanke ich ihm, denn er war ein kenutnißreicher, ich möchte sagen ein weiser Mann. — Der errungen« Friedr brachte der Mutter nicht den Verlobten, mir nicht dtn Vater zurück; wir vernahmen des Elenden Vermählung mit einer russischen Dame aus dem edelsten Geschlechte, Die Scham hieß meine Mutter schweigen, dulden'und entsagen, bis der Wurm des Grames sie zernichtet hatte; den Stürmen d«r Lebens batte sie vertrauend Trotz geboten, und stand, äuf Liebe und Treue bauend, wie eine Eiche im Ungewitter fest. Dem Stachel der Untreue und Eifersucht vermochte sie nicht zu widerstehen; diesem Gifte erlag sie." Mit Ingrimm und schmerzlicher Wehmuth saß der Pol« da und stierte vor sich hin. „Wie nannte sich der ehrlose Verführer?" fragte der Offizier. „Er nennt sich Graf von SapelovSky," entgegnete der Pole. Wie die glanzvollsten Sterne den Himmel, so verhüsterte auch jener Name schnell das Feuer der Augen in de» Russen Angesicht; und als ob er ein böses Gewissen oder blöde Äugen habe, vermied er fernerhin aufzublicken. Alexis fuhr in sei ner Erzählung fort. „Daß ich beim Ausbruch der. Revolution in Polen für mein Vaterland einer der eifrigsten Vertheidiger gewesen, be greifen Sie wohl; und riesen mich nicht Pflicht und Ehr«, zu den Waffen, so saß ich beim edlen Jonäthan, und wir spra- chen über Gott, Religion nnd menschliches Wissen, Irren und Vergehen. Auf diese Art machte er mich auch mit dem. un glücklichen Schicksal der liebenswürdigen Isidora bekannt; vertraute mir, daß er sie und mich zu seinen dercinstigen Erben ernannt, und jene Papiere den Gerichten übergeben habe. Sein Edelmuth rührte mich tief, doch da ich als ein Unglücklicher das Leben nicht achtete, den Tod mir wünschte und ihn ost suchte, bat ich ihn, sei" Geschenk Ihnen, lieber Doktor, ganz zu geben. Der wird mehr erwerben, al- er bedarf, war stets darauf seine Antwort; Dich aber schützen weder Orden noch Tressen dereinst gegen Kälte und — ver hüte es Gott! gegen Hunger. Ich ward bald darauf gefangen genommen; eingekMert und verlor mehr al- mein Leben. — In meinem Gestngniffe beschäftigte ich mich mit dem, der mir so unsäglich pitloFvrn- den gemacht hatte, mit Jonathan, und als ich nun durch Isidora erfuhr, der redlichste aller Menschen sei eine- plötzlichen Tode- gestorben, da" — Thränen glänzten, in de- Polen Augen — „empfand ich, daß der Schmerz de- Kummer» und GramS größer ist, al- Freud« und Reichthum, daß er zu tödten vermag." . . Wie ver.Abend und di« Nachh »am lebhaftesten an da- Dasein anderer Welten erinnert/ so hatte die Erzählung de- Polen bei, den Andern die Erinnerung vergangener schönerer Zeiten erweckt und sie saß^ in, Gedanken an TlaA, Aebe