Volltext Seite (XML)
Redigirt und verlegt von C. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. Ein verlorenes Leben. Motto; Die Lehren de- Unglücks sind nicht immer heilsam-, zuweilen mildern und bessern sie, ebenso oft aber ver härten und verkehren sie auch. Sehen wir uns selbst vom Schicksal rauher behandelt, als die anderen Men schen um uns her, ohne in unserem eigenen Thun einen gerechten Grund sür solche Strenge zu finden, so werden wir nur zu geneigt, die Welt für unsere Feindin zu halten, uns in Trotz z» hüllen, gegen un ser sanfteres Selbst anzukämpfen und den finsteren Lei denschaften Naum zu geben, welche durch die Em- pfinvung erlittenen Unrechts nur zu leicht in Gährung kommen. 1. An einem trüben, regnerischen und stürmischen Herbst- abende hielt eine Extrapost vor der Thüre eines großen Ho tels in einer süddeutschen Residenz. Der Schall der Portier's- Glocke brachte Wirth und Kellner in Bewegung und sie eilten hinaus, die Fremden zu empfangen. Aber nur ein Herr, in einen Militärmantel gehüllt, entstieg dem schwerbepackten Wa gen und blieb, nachdem er zwei Zimmer bestellt, stehen, um die Abladung der Sachen zu überwachen. Nachdem der letzte Koffer in der Thüre verschwunden, trat er nochmals an die Wagenthüre, rief mit barscher Stimme: „Kathi!" und augen blicklich erhob sich aus der äußersten Ecke ein kleines Mädchen, welches mit ängstlicher Hast dem Rufe Folge leistete. — Aber die zarte Gestalt schwankte, als sie das Straßenpflaster be- trat, und nur das schnelle Hinzuspringcn eines mitleidigen Kellners rettete sie vor dem Fall. Ohne sich im Geringsten um seine kleine Begleiterin zu kümmern, schritt der Fremde ins Hotel, ließ sich die Zimmer anweisen, betrat eins der selben und schob das Kind zum größten Erstaunen des leuch tenden Oberkellners in das andere Zimmer,' dessen Thür er schloß. , Der Wirth setzte seine Frau von der Ankunft der selt samen Gäste in Kenntniß und bat sie nach der Kleinen zu sehen. Getrieben von mütterlicher Theilnahme eilte-sie auch gleich hinauf und klopfte; ein von unterdrücktem Weinen halb- ersticktes Herein erscholl. Als sie eintrat, stand das Kind, noch eingehüllt in seinen Mantel, hilf-- und rathlos mitten im Zimmer. Es war ein Mädchen im Alter von 8—9 Jah ren und von bewunderungswürdiger Schönheit. Ihres Hutes entledigt, rollten lange blonde Locken bis fast an die Knie herab und die großen blauen Augen blickten ängstlich nach der Thür. Doch so schön die Züge dieses Kindes waren, so fehlte ihnen doch die rosige Frische, die diesem Alter cigcnthümlich. Eine zarte durchsichtige Blässe, ein Zug von Angst und Schrecken, von Ernst und Knmmcr, der diesen Jahren sonst noch so fern, erschien aus dem kleinen Engclsangesicht. — „Bist Du ganz allein mit Deinem Papa gereist?" frug die Wirthin und bemühte sich die erfrorenen zarten Händchen mit dem Hauch ihres Athems zu erwärmen. Die Kleine nickte. — ..Hast Du keine Mutter?" — Das Kind erbebte, große Thränen entrollten rasch den langen schwarzen Wimpern; sie zeigte nach der Thür und legte bedeutsam den Finger aus den Mund, der so voll und frisch wie ein RosenknöSpchen, dennoch schon das Lachen verlernt zu haben schien. — Jetzt öffnete sich rasch die Thüre und eine lange hagere Gestalt, mit finsteren Blicken erschien darin. Furchtsam rief die Kleine: „Der Papa!" und zog sich, wie vorhin im Magen, in die äußerst« Ecke zurück. „Ich bitte, Madame," sagte der Fremde mit er zwungener Höflichkeit und ein Blick voll mühsam verhehlst-» Hasses fiel aus dasselbe, „dem Kinde während der Zeit mii- nes Hierseins jede materielle Pflege angedeihen zu lassen, die ihrem Alter zukommt, ohne sie jedoch zu Fragen zu veran lassen, deren Beantwortung unangenehme Folgen für sie ha ben würde." Der finstere Blick wandte sich nach der Ecke des Zimmers und nahm einen''drohenden Ausdruck an. „Sie heißt Katharine; ich habe nur den Wunsch beizufügen, gefäl ligst Sorge tragen zu wollen, daß sie mich so wenig als mvg- lich belästigt!" — Der Wirthin erstarrte das Wort auf der Zunge; sie konnte sich nur zustimmend verbeugen. Der Frem de athmete auf als habe er ein höchst widerwärtiges Geschäft beendigt und verschnMd nach kurzem Gruße. Kaum hatte sich die Thür geschlossen, so kam auch Käthchen aus ihrem Winkel hervor und schmiegte sich an die Kleider der freund-! lichen Frau, die sie mit.tiefem überwallendem Mitleid au ihr Herz drückte. — Am nächsten Morgen erkundigte sich Herx von Rohden, ob hier in der Stadt wohl ein Hau» zu tau- sen oder zu mieten sei, welches aber abgelegen und ustbe- wohnt sein müsse. Der Wirth erbot sich ihn zu beglichen» da er von zweien Kenntniß habe, und sie begaben sich sofort dorthin. — Am äußersten Ende der Stadt lag, ein große- düsteres Gebäude, ein ehemaliges Kloster, mit vergitterten Fen stern und vielen Gängen und Erkern. Der große Thorweg stand offen und zeigte einen mit Gras bewachsenen Hof, in dessen Mitte ein Brunnen unter dem Schatten eine- uralten Nußbaumes rauschte und ein steinernes, halbverwittertes Mut tergottesbild traurig die verödete Umgebung und daS Spiel der fallenden Blätter anzublicken schien. Die Tritte der bei den Besucher hallten schauerlich in dem stillen Bogengänge wieder, der einst zu den Spaziergängen der Mönche gedient hatte. Ein wenig Kapnziner-Kresse rankte sich noch um ei ne» zerbröckelten Pfeiler, als letzte Erinnerung an die Brü der Kapuziner, die längst den ewigen Schlaf schliefen. — Der Wirth bedeutete seinem Begleiter, er habe ihm dies Ge bäude eigentlich nur der Kuriosität wegen gezeigt, denn das jenige, welches er für ihn im Sinne habe, sei das nebenan liegende. — Zögernd verließ Herr von Rohden das Hau», das ibm sehr wohl gefallen zu haben schien und betrat daS in Vorschlag gebrachte. Dies war eine allerliebste kleine Villa, mit einem reizenden Gärtchen. Die Veranda war ganz mit wildem Wein umrankt, dessen Blätter im bunten Farbenglanz des Herbstes prangten und ein kleiner GlaSpavillou gewährte volle Aussicht auf das Gebirge und die sich nach ihm, hin ziehende Landstraße. Aber mit einer noch finsterer» Miene als gewöhnlich wandte sich Herr von Rohden ab und erklärt«, das alte Kloster unter jeder Bedingung sür sich gewinnen zu wollen. — Da er nicht handelte, sondern sogleich bedeutende Summen zur Disposition stellte, kam die Sache bald zum Ab schluß und in kaum drei Wochen waren einige Zimmer meubltrt, die bäuslichcn Einrichtungen getroffen und Alle» zmu Einzüge bereit. — Während der Zeit hatte Herr von Rohden auch