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Da stockte ihr Gedankengang. — Diese beides ky Vergleich. — Eine Dame in Trauer betrat das Geschäft. Erna kannte sie; sie wohnte ein Haus weiter. Mitleidig sah sie in das bleiche Gesicht. „Ja, Fräulein, Sie haben ihn ja auch gekannt, meinen Einzigen! Den Siebzehnjährigen, er ist nach dem Not-Abiturium ins Feld. Nun deckt ihn schon drei Wochen der kühle Rasen! Das .Eiserne Kreuz' hat er sich bei Tixmuiden geholt; aber getragen hat er's nicht mehr!" — „Sie Aermste, Sie! Konnten Sie ihn denn gar nicht zurückhalten?! Siebzehn Jahre! Mein Bruder ist doch wenigstens schon 18 alt! Hätten Sie nicht Ihre Erlaub nis verweigern können?" „Ach nein, Fräulein! Da ist man machtlos. Bei solchem Feuer der Jugend, bei solcher Wut auf den Feind! Eher fließt ein Regentropfen den Berg hinauf, als daß sich ein normaler, gesunder Bursche, der deut sches Blut in sich fühlt, abhalten läßt! Und dann, mein liebes Kind, sehen Sie, dann haben wir Frauen auch nicht das Recht dazu. Deutschland braucht Männer, braucht Freiwillige! Es sollte heute keiner zu Hause blei ben, der ein Gewehr tragen kann! Nur Krüppel oder ganz .Unabkömmliche', die, welche nicht durch Kampf unfähige zu ersetzen sind, dürften zurückbleiben! Nur die, deren Gesundheit es nicht gestattet, sollten im Felde fehlen! Denken Sie doch die Uebermacht! Ihr Meister geht doch wohl auch freiwillig? Der halt es doch sicher aus, und der alte Volkmann, der Geselle, ist ja wohl ein Verwandter, der wird ihm das Geschäft schon weiterführen! Und Sie stehen doch auch auf dem rechten Platze!" Erna nickte mechanisch. Sie hätte um keinen Preis den Witz des Meisters jetzt wiederholen mögen. Sie hätte die erstaunten Augen der Dame gefürchtet. Und, sie — schämte sich für ihren Meister! Für ihn, der, ihr kam es recht zum Bewußtsein, in ihrem Herzen doch einen Platz hatte, zu dem sie sich hingezogen gefühlt hatte, bis — heute!" „Komisch," dachte Erna, „wie eine Stunde so die Gedanken verändern kann! Ta habe ich nun die ganzen vier Jahre neben dem Meister gelebt und immer nur bewundert, was er getan hat, und nun, mit einem Male, finde ich Ladel an ihm. Gerade, als ob ich 'n Röntgen- Apparar hätte, wie der nette Arzt hier eine Treppe!" Und das junge Ting wußte nicht, daß es bis dahin den verehrten Manu durch die Brillengläser der Illu sion angesehen, daß die Bewunderung und Liebe ihr den Blick getrübt hatten. Und da kam fremde Not und fremdes Wehe und zerrißen das Gespinst der Illusion, und der nüchterne Egoist stand kahl vor ihr. Ein Egoist! Wie ihr das Wort einfiel! Und, da ihre Brillengläser nun nicht mehr rosenrot durchschimmern ließen, da fand sie manchen Fleck, den sie ehedem nicht beachtet. Wer nur immer an sich denkt, wird der ein Herz haben, wenn dem andern, selbst seinem Nächsten, ein Wehe geschieht? Wird der in den Tagen des Alters, der Krankheit, die Stütze werden, die ein Weib notivendig hat? Es war gut, daß die Essensstunde schlug. Erna wollte die quälenden Gedanken los werden. Am Wend, nach Schluß des Geschäfts, räumte sie auf. Alle Dinge wurden ordentlich an den bestimmten Platz gebracht, die Mädchen angewiesen, den Tisch und den Fußboden zu reinigen, und daun ging sie in das Wohnzimmer. Sie schlief im Hause; nur Sonntags blieb sie bei der Mutter. Am Tische saß der Meister und laS das Abendblatt. „Donnerwetter, wieder 50 OM Russen gefangen! Der Hindenburg is doch 'n Kerl, Erna, hör n Sie mal! Js da nich Ihr Bruder, der kleeue Fritz«, auch bei?« Unabkömmlich. Skizze von Johanna Zunk-Friedenau. (Nachdruck verboten.) „Füufundfünfzig Pfennige das Viertel Schinken? Und Sie ineinen, er komme noch höher? Da werden wir uns wohl das ganze Mufschnittessen abgewöhnen müssen!" — So klagte eine junge Frau, als sie dem stattlichen Schlächtermeister in einem westlichen Vororte Berlins das verlangte Geld hinzählte. „Das ist der Krieg, Madamchen, der Krieg! Wenn der vorbei ist, dann kommt auch die gute Zeit!" „Ja, wenn der ein Ende hat! Aber das wird Wohl noch 'ne Weile dauern! Gestern sind wieder zwei Züge mit Soldaten vom Potsdamer Bahnhof ab gegangen! Landsturm!" „Der jeht jetzt alle Dage los!" mischte sich ein altes Weiblein ins Gespräch. „Mein Schwiegersohn is 36, der hat sich freiwillig jemeldet." „Sagen Sie 'mal, Meister," fragte ein hübsches Fräulein welches zugehört hatte, „sagen Sie mal, warum sind S i e denn eigentlich noch hier? Haben Sie etwa 'n verborgenen Fehler?" „Nee, Fräuleinken, nee; mein Fehler is, des ich schöne Mädels jerne sehe, und des is janz offenkundig! Nee, als Jüngling hatte ich die Brustbreite nich. So bin ich „unabkömmlich" jeworden! Was sollten och Wohl die janzen hübschen Frauchens und Damens denn an fangen, wenn Meister Dienemann nich mehr Hinterm Ladentisch stände?" Tie Frauen lachten und verließen das Geschäft. „Nich, Ernaken," und seine Hand tätschelte den Arm der blonden Verkäuferin, die Wurst abschnitt, — „nich, da würde doch manche nasse Augen kriegen. Bin ich nicht „unabkömmlich"? Tas Mädchen sah ihn an; ihr Gesicht blieb ernst. „Wie 'n Rejendag sehen Se aus! Ich jehe früh stücken!" — Die Alleingebliebene trat in die offene Tür. Es war Mittagsstunde, und das Geschäft blieb still. Warum hatte sie nicht lachen können über des Meisters Witz? Sie, die sonst solche Freude an seinen Späßen gefunden? Warum war ihr mit einem Male die breite, kräftige Gestalt so fremd gewesen? Der Mann, bei dem sie nun schon vier Jahre tätig war, und an dessen Geschick sie so innigen Anteil genommen! Sie wußte noch genau, wie damals die junge Frau ins Haus gezogen, wie eitel Glück und Wonne geherrscht hatte. Und die Trauer, als der Tod nach einem Jahre die Meisterin und den kleinen Jungen mit in die kalte Erde nahm! Wie leid tat ihr der Herr! — Und die Zeit ging weiter; nun schneite es schon zum fünften Male seit dem Begräbnis! Wie alt müßte der Meister sein? Vierunddreißig Jahre! Das stimmte! Und so robust! Wer, er hatte ja nicht gedient. Landsturm, ohne Waffe! Er brauchte ja noch nicht weg! Warum machte sie der Gedanke nicht froh? Sie ahnte ja lange, daß ihr Gustav Dienemann gut war. Sie wußte, daß er sich mit dem Gedanken trug, sie zur neuen Meisterin zu machen. Sie seufzte. Wie die Heirat alles verändern würde! Zu Hause der alten Mutter die Sorge nehmen! Und den Bruder, den be gabten Jungen, den wollte sie unterstützen! Ten Jungen! Ihr Herz zuckte auf! Wenn der leben blieb! Er, der mit seinen 18 Jahren freiwillig bei der Garde eingetrcten war, und der jetzt unter Hindenburg kämpfte! Und die begeisterten Briefe, die er schrieb! solche Bewunderung, wie der Mann, die hatte wohl noch niemand auf der Welt gespürt! „In Stücke reißen lassen wir uns für den!", so schwärmte der Junge! Ihr Kriegsfreiwilliger, auf den sie so stolz waren, die müde Mutter daheim und sie! Tas war einer! Und so ein schmächtiges Bürsch chen! Der und der Meister! —