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Schwester liebe, sollst es nun mit mir lösen. Du hast das Recht, mein großes Geheimnis eher zu erfahren als die Welt, welche vielleicht nur Spott für mich Ver messene haben wird. Was aber frage ich danach, mein Glück wappnet mich dagegen. — Doch da sind wir an der Pfarre angelangt, und du mußt mich jetzt verlassen. Aber heute abend, dann kommst du zu mir zur gewohnten Stunde, und dann sollst du es er fahren, meine Hedwig.* »Ulrike, ich freue mich ja gewiß mit dir; aber mir scheint, d« wirst mich dann bald entbehren können," meinte Hedwig beklommen. »Dich, meinen guten Engel, wie könnte ich jemals wieder ohne dich sein?" widerlegte Ulrike sie eifrig. Dann küßte sie innig Hedwigs holdes, betrübtes Ge- flchtcheu und fuhr raschen Trabes dem Schlosse zu. Auf dem breiten Säuleugange, in welchen ihre Gemächer mündeten, lief ihr Leon, der seiner Bonne entschlüpft war, freudig entgegen. Der kleine Bursche war sehr liebenswürdig gelaunt, er schlang beide Arme in seltener Zärtlichkeit um die große Schwester, ver langte aber gleich darauf zur Belohnung seiner Artig keit einen Bonbon. Ulrike liebte es nicht, die Kinder mit schädlichen Näschereien zu verwöhnen; sie versprach daher anstatt der geforderten Süßigkeit ein hübsches Spielzeug. Allein Leon bettelte: »Nein, lieber Bonbons, Ulla, — Leon schenkt dir auch das schöne Bild." Damit öffnete er die eng geschlossene, kleine linke Faust und hielt der Schwester einen zerknitterten Brief bogen hin, auf dessen großes, glänzendes Monogramm er triumphierend zeigte. Ulrike erkannte Baron Gerlachs Wappen. Als sie es mit erklärlichem Interesse genauer betrachtete, mußte ihr auch die darunterstehende Schrift in die Augen fallen. Wie gut kannte sie dieselbe aus den Briefen, die Felix von Zeit zu Zeit an ihren Vater richtete. Heute erst hatte ihr Graf Bern hard in großer Freude den sie so beglückenden Brief zu lesen gegeben, in dem Felix seinen Besuch für die nächsten Tage anmeldete. Auch dieses Vlatt möchte ein früherer Brief Gerlachs an ihren Vater sein. „Wo hast du das hübsche Bild her, Leon?" „Ich habe es gefunden, gib es wieder her." „Ader wo, Herzchen?" „Nun, in Mainas Salon, ich darf da alles nehmen. Jetzt will Leon aber Bonbons haben, Ulla, und das Bild auch." Ein unangenehmer Schreck durchzuckte Ulrike. Also ein Brief des Geliebten an Melanie, die sie oft im stillen um solche Freundschaftszeichen beneidet hatte- War er wirklich nur der Ausdruck verwandtschaftlicher Zuneigung? — Ihr Herz schlug unruhig, jeder Puls rief „über zeuge dich!" „Wenn die Gräfin ihn so achtlos in ihrem Salon liegen ließ, so enthält er gewiß nichts, was nicht alle Welt, also auch ich, lesen könnte," klügelte sie weiter. Es flimmerte ihr dennoch unsicher vor den Augen, als sie diese wieder auf das Briefblatt heftete; denn ihr Stolz scheute sich, irgendwelche Angelegenheit Melanies zu beachten. Dieser tastende Blick hing aber gleichwohl wie gebannt an dem Schreiben, und als er nun verlangend scbärser wurde, da standen die ersten Zeilen in furchtbarer Klarheit vor ihm, und Ulrike las: „Melanie, um unserer einstigen Liebe willen, deren Spur wir nie verlöschen können — —" Weiter kam sie nicht, denn eine große körperliche Schwäche überwältigte sie plötzlich. Sie fühlte den Boden unter ihren Füßen wanken, haltlos lehnte sie sich gegen die Ballustrade der Treppe. (Fortsetzung folgt.) Di« Herrin von Rhoda war nach einer in der Residenz verlebten Saison, welche Graf Bernhard zu folge Mrr beharrliche« Bitte notgedrungen mit ihr dort zugebracht, ein wenig leidend geworden. Der ge fällige Arzt verordnete «ine Badekur, und Melanie entschied sich für Baden-Baden. Graf Bernhard begleitete sie. Er hätte sie nicht allein reisen lassen; es war eine Eifersucht in ihm er wacht, die Melanie während des verflossenen Winters häufig provoziert hatte, ohne jedoch so unbesonnen zu fein, es zum Aeußersten zu treiben. Bisher war es ihrer Klugheit, ihrer trügerischen Unterwerfung noch immer gelungen, den gekränkten Gemahl zu versöhnen und winen Argwohn mit liebender Hingabe zu beschwichtigen. Allein, er war nun einmal aus seiner glücklichen Ruhe »ufgeschreckt und vertraute seinem Idol, an dem er «lnige häßliche Flecke« entdeckt, nicht mehr unbedingt. Vr wich nicht mehr von ihrer Seite, und so wurde aus dem ersehnten Stillebeu nachgerade eine atemlose Jagd nach geselliger Zerstreuung, die ihn aufzureiben begann. Die beide»L«ab«n waren inzwischen unter Ulrikens Obhut in Rhoda geblieben. Sie fühlte sich jetzt sehr wohl in der Gesellschaft der Kleinen und wünschte nichts mehr, als Melanies möglichst langes Fernbleiben. Doch eines Tages war die Gräfin unerwartet wieder da, schöner, launischer, boshafter als je, und sie beeilte sich, der Stieftochter guten Einstuß schnell wieder zu verwischen. Ulrike schwieg dazu und hatte selbst für die häß lichsten Angriffe nur noch ein stilles, überlegenes Lächeln. Ihre Erlösung von all dieser Unbill war ja nun fast greifbar nahe gerückt. Nur eine kurze Spanne Zeit, und sie stand nicht mehr schutzlos im Waterhouse, aller Willkür seiner tyrannischen Herrin preisgegeben, sondern schritt hinaus an der sorglich leitenden Hand des geliebten Mannes aus dem stolzen Schlosse ihrer Ahnen, das ihr seit langem keine rechte Heimat mehr bot, fort in ein lieberfülltes Heim, in dem sich böser Wille und unduldsame Herrschsucht nicht mehr an sie heranwagen durften. So hatte die ewig wechselnde Natur zum andern Male ihr prunkendes Sterbekleid angelegt. Ulrike aber sah nur mit stiller Wonne, wie das Laub in dieser trügerischen Farbenpracht erglühte, um dann dürr und kraftlos raschelnd zu verwehen. Für sie hatte der traurige Vers: „Blätter fallen, Schwalben ziehen, so zerfließt der Liebe Traum" ja keine Bedeutung. Der ihre sollte vielmehr nach diesem Herbstessterbeo zur herrlichsten Vollendung des geahnten Glückes werden. Sie jauchzte den kleinen Luftseglern, die klagend die eine Heimat verließen, um dann trosterfüllt der zweiten entgegenzuziehen, eia übermütiges „Auf Wiedersehen" zu, als sie im kleinen Ponywagen, den sie selbst lenkte, in wahrhaft herzensfroher Stimmung an Hedwigs Teste durch die herbstesbunte, schöne Landschaft fuhr. Es war ein köstlicher Tag. Weiße Marienfäden webten in der noch sonnenwarmen Luft ihre Schleier, silberschillernde Schwalben kreuzten zwitschernd in ge schäftiger Abschiedseile umher, die Hufe der kleinen Pferde schlugen gleichmäßig fröhlichen Takt, über mütiges Mädchengeplauder tönte dazwischen, und jetzt gar ein Helles Lachen von Ulrikens Lippen, so daß Hedwig fast erschrocken rief: „Ulrike, es ist wirklich das erstemal, daß ich dich laut lachen höre! Wie glücklich macht es mich, dich auch einmal so recht froh zu sehen." „Nur froh ?" sagte La Ulrike mit blitzenden Äugen. „Glücklich, unsagbar glücklich bin ich ja, denn bald muß sich alles, alles für mich wenden. Du siebst mich wundernd an? Ach, mein Liebling, es ist mir selbst »och ein märchenhaftes Rätsel. Du, die ich wie eine