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Gerod ihre Schwester aus keinem anderen Grunde, al^ weil diese einen Mann heiratet, der seinen bürgerlichen Beruf mit Fleiß und Geschick ausübt, so macht sie sich einer Herzlosigkeit schuldig, nicht ich." Der Kommerzienrat fühlte sich in die Enge ge trieben und rief: „Du hast ganz vergessen, daß ein Kind seinen Eltern Gehorsam schuldet." Der Streit hatte das Mädchen so heftig erregt, daß ihr die Stimme versagte. Ihr Mund war heiß und trocken, ihr Gesicht bleich, und ein Zittern flog über ihren Körper. Die Mutter erschrak über ihr Aussehen, umfaßte sie und rief dem Vater zu: „Laß es genug sein, Christ! Sie war stets ein gutes Kind und nicht wider spenstig, aber mir scheint, du wirst sie jetzt nicht nieder zwingen, wo " Trine stockte, und Aennchen fuhr leise und mühsam fort: „Wo es sich um meine Zukunft — und mein Lebensglück handelt?" „Na, da haben wir's! Einer wehleidigen und nervösen Tochter gegenüber werden die Mütter immer schwach. Hol' euch beide " Den Rest seiner Ver wünschung übertönte das Knallen der Tür, die der grollende Familienvater hinter sich ins Schloß warf. Als sich Aennchen mit der Mutter allein wußte, warf sie sich dieser in die Arme und ergoß in einem Strom von Tränen all ihr Weh und Herzeleid. Sie hatte in Ostende den Antrag des Fürsten durchaus nicht in kindischem Trotz oder um einer romantischen Schwärmerei willen abgelehnt, wie Tilde und ihre Eltern annahmen, sondern weil sie überzeugt war, daß es entwürdigend sei, einen Mann um materieller Vorteile willen zu heiraten. Gleickw ohl hatten Antrag und Ablehnung ihr Inneres tiefer bewegt, als sie ahnen ließ. Sie hätte eine Heilige und kein temperament volles, nach Lebensfreude dürstendes junges Mädchen sein müssen, wenn ihr das Anerbieten des Fürsten nicht als eine starke Verlockung erschienen wäre. Ja, sie fragte sich sogar auf der Heimreise nach Berlin: Wird dir das Leben an der Seite des Geliebten nicht armselig erscheinen im Vergleich zu alledem, was du soeben in den Wind geschlagen? Als sie aber am Tage nach ihrer Ankunft Fritz Rönne — wie es brieflich vereinbart war — in einem wenig besuchten Museumssaal wieder gegenübertrat und ihm in das von Liebe und Güte verklärte Gesicht blickte, da verflogen alle Bedenken wie verscheuchte Raben. Und jubelnd sagte sie sich: Nur an seiner Seite findest du das erträumte Glück. Und er hatte sie beseligt in die Arme geschlossen und ihr fast jauchzend zugerufen: „Jetzt sollst du wieder rote Backen bekommen, du Liebste, Einzige; denn bald hoffe ich, dich mit einer frohen Nachricht überraschen zu können. Aber nein — du siehst mich vergeblich so fragend an — ich verrate nichts, bevor die Sache ganz im reinen ist." Sein Geheimnis wurde ihr erst acht Tage nach der schrecklichen Drohung ihres Vaters offenbart. Eine heimliche Botschaft ihres Liebsten rief sie am Nach mittag eines rauhen Herbsttages in den Tiergarten. Hier raufte der Wind die welken Blätter aus den Kronen der Buchen und warf sie auf die dunklen Wasser des großen Sees. Ein Brausen ging durch den Park und ein Frösteln durch Aennchens Blut. Als aber der Erwartete ihr in schwingender Bewegung entgegeneilte und freudig ausrief: „Glück auf, Schatz, ich hab's erreicht! Unsere Firma heißt von heute ab: Schmidt und Rönne, da schien es ihr, als sänftige sich der Wind, und als erhelle sich über ihr der düstere Herbsthimmel. Es war nicht mehr nötig, daß Fritz sie in seinen Mantel hüllte; denn ihr wurde es warm ums Herz, und mit wiedererwachter Hoffnungsfreudig keit lauschte sie seiner Mitteilung. (Fortsetzung folgt.) — — « Ueberze igung beigebracht, daß Aennchens „unerschütter liche Liebe* nur eine törichte Backfisch-Schwärmerei sei, die bei wachsender Einsicht hinschwinden müsse. Sie gab zum Schluß der Hoffnung Ausdruck, daß ihr Schwesterchen bald begreifen werde, welch ein seltener Glücksfall der Antrag eines reichbegüterten und charaktervollen Fürsten sei. Beharre sie in kindischem Trotz bei ihrer Weigerung, so werde sie das sicher ein- mal schwer zu bereuen haben. Gehe sie aber gar mit „jenem Manne in bescheidener Lebenslage", unter dem wohl kein anderer als der Photograph Rönne zu ver- tehen sei, eine eheliche Verbindung ein, so sage sie sich ür immer von ihrem Schwager und ihrer Schwester os; denn es sei ausgeschlossen, daß der Rittmeister und Militärattache Graf von Gerod mit einem solcher. Schwager intim verkehren könne. Tildes Brief verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht. Kleinschmidt ergriff nach der Lesung Trines Hand und sagte: „Lieber Schatz, hier gilt es ge meinsam und energisch zu handeln I Unser dummes verblendetes Mädel darf nicht ein Glück verscherzen, wie es unter Millionen nur ihr geboten wird. Wir, die Eltern, haben für die Zukunft unserer Kinder zu sorgen, ihr Eheglück zu schmieden, denn wir kennen die Welt und besitzen Erfahrung — sie nicht." Trine teilte die Ueberzeugung ihres Mannes und bot ihre mütterliche Beredsamkeit auf, um Aennchen von der Torheit ihres Verhaltens zu überzeugen, aber es gelang ihr nicht. Nun fuhr der Vater gröberes Geschütz auf, aber auch er brachte den Entschluß des Mädchens nicht ins Wanken. Sie ließ den väterlichen Entrüstungssturm schweigend über sich ergehen, und als er mit der Drohung ausklang: „Entweder du heiratest j den Fürsten, oder ich verstoße dich!" da sagte sie er bleichend : „Wenn du mich ernsthaft vor diese Wahl stelltest, lieber Vater, dann — müßte ich Onkel Karl bitten, mich bei sich aufzunehmen, denn den Fürsten heirate ich nicht. — Bitte, höre mich zu Ende! Du i glaubst, und Mama nimmt das leider auch an, daß ! ich in beklagenswerter Verblendung den Fürsten aus» ! schlage und damit mein Lebensglück verscherze." „Ja, davon sind wir fest überzeugt," schrie der ! Kommerzienrat. „Und ich vom Gegenteil. Die Verblendeten seid ihr! Ja, ihr, lieber Vater, ich sage das mit Bedauern, aber ich weiß, daß ihr in dieser Lebensfrage fehlgeht, weil ihr annehmt, daß eure Kinder gleich geartet sind. Das aber sind wir nicht; gliche ich meiner Schwester Tilde, so langte ich mit beiden Händen nach der Fürstenkrone, aber ich passe nicht in diese Hohen Regionen und würde dort verkümmern. Schwerer als dieser Grund wiegt jedoch für mich ein anderer: Ich werde den Fürsten niemals lieben, weil mein Herz Fritz Rönne gehört." „Kreuzdonnerwetter!" polterte der Vater, „dieser verflixten Backfischliebelei werde ich ein Ende machen." „Das kannst du nicht, Vater. Du hast durch Tildes Brief erfahren, daß der Fürst, der doch ein gereifter ! Mann ist, und den tausend schönere und vornehmere Frauen als ich gern über seinen Verlust trösten würden, seine Leidenschaft nicht ersticken kann, wie soll ich es? Nein, Vater, meine Liebe ist unausrottbar, das glaube ! mir endlich, und habe Mitleid!" „Du bist noch viel zu jung und zu dumm, um be urteilen zu können, was eine gesicherte und hohe Lebensstellung wert ist." „Ich zähle freilich erst achtzehn Jahre, lieber Vater, aber ich bin überzeugt, daß es zwei jungen tatkräftigen Menschen nicht allzu schwer wird, das tägliche Brot zu gewinnen." „So, und du hättest das Herz, dich von deiner Schwester loszusagen?" „Tilde winde sich in diesem Falle ja von mir los sagen, nicht ich von ihr. Verleugnet die Gräfin von