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der Versuch, das, was Beethoven in seiner „Neunten“ mit Heranziehung des Vokalen gab, allein im rein-instrumentalen Aus druck wiederzugeben, was auch bis zu einem hohen Grad erreicht ist (Bruckner hat übrigens diese neue Finale-Gestaltung konsequent beibehalten). Gedanklich und sinfonisch Größeres als die Einleitung die ses Finale mit dem Sehnsuchtsruf des He ros in der C-Dur-Vision hat Brahms nie mehr gesdirieben: da hat er mit Beethoven gerungen, und man versteht Bülows Wort von der „Zehnten Sinfonie Beethovens“. Es herbstet jetzt in der Natur. Und alles draußen predigt: das Leben mit sei nen Träumen vergeht in Asch und Staub. In volle melancholische Herbststimmung getaucht ist auch Brahmsens „Vierte“: ein memento mori, wie kein anderes sinfoni sches Werk. Der Meister, der sich so gern in Mären und Geschichten verschwundener Zeiten versetzte und der Mystik des Todes nachgrübelte, hat in dieser Sinfonie seine herbe, pessimistische Weltansdiauung noch ergreifender, noch ausführlicher zum Aus druck gebracht, als in seinem „Deutschen Requiem“, seinem „Schicksalslied“ oder den „Vier ernsten Gesängen“ Müde und schwer klingt die Empfin dung des ersten Satzes (Allegro non trop po“). Das an Mendelssohn gemahnende Thema ist in seiner Umbildung leicht zu verfolgen. Gleich einem großangelegten Liede, einer großstilisierten Ballade klagt die Musik in sanftem Schluchzen über die Vergänglichkeit alles Irdischen. Der Satz hat keine eigentliche Einleitung. Trotzdem zeigen die ersten acht Takte in ihrem Auf und Nieder die untrüglichen Kennzeidien allmählidien Werdens. Sie bereiten vor auf die kommende Größe und Strenge des Ringens. Der eigentliche Grundcharakter der Sin fonie prägt sich besonders im zweiten Satze, dem „Andante moderato", aus. Mit archaistischem Kolorit und in schwärmeri scher Erinnerungsstimmung schreitet er in behaglicher Sechsaditel-Breite vorüber und läßt im Seitenthema die Violinen in in brünstigem Gesang die Romantik längst vergangener Zeiten preisen. Die kirchen- tonartlichen Melodienwendungen sind hier von besonderem Reiz. — Der dritte Satz (Allegro giocoso") entnimmt seine Farben gebung der gleichen Grundlage, stürmt aber ungleich lebendiger dahin — wie es einem Presto geziemt. Das heitere Ele ment (giocoso) ist vielfach verwischt und macht einer gewissen, fast unwirschen, nordischen Herbigkeit Platz, ist aber doch von einem handfesten Humor. Auch hier wieder leis archaisierende Holzschnitt manier. Der letzte vierte Satz („Allegro energico e passionato“) ist eines der ernstesten und höchst gestimmten Finales, die es gibt. Er birgt die höchsten Wirkungen in sich, aber auch, die tiefste Gedankenschwere. Brahms übt sich hier (als Reverenz vor dem großen Thomaskantor, der ja immer sein Anreger war) in der alten Kunst der „Chaconne“ (einer fest ineinandergreifenden VariaÄ tionenfolge über ein kurzes, lapidares/ achtaktiges Thema, das beständig, bald in den Ober- oder den Mittelstimmen, bald im Baß zum Vorschein kommt). Immer hef tiger, leidenschaftlicher werden diese Varia tionen durchpulst, immer eingehender er fahren sie modulatorisdie Wandlungen, immer dringender suchen sie nadi einem hoheitsvollen Ausgang, bis schließlich unter Posaunenklängen das Riesengebäude un erschütterlich fest vor unserem Blick er richtet, bis alles in Gravität zu Ende ge führt ist — mit dem Hinweis auf die End lichkeit alles Irdischen und die Ewigkeit des Ueberirdischen. Diese in wunderbar großer Architekto nik angelegte Sinfonie ist heute eines der Standardwerke der Konzertsäle. Und man versteht es kaum, daß der berühmte Beet hoven-Dirigent Felix Weingartner bei ihrem Erscheinen (im Jahre 1886) sie als ein „leeres Tongerüst“ bezeichnen konnte, und daß Ridiard Strauß in diesem Zu sammenhang die musikalische Bedeutung Brahms’ mit der Bemerkung negierte, das sei das „Werk eines protestantischen OberJ lehrers“. Allerdings waren beide später ehrlich genug, ihr Urteil zu revidieren — sehr zugunsten des Werkes. Constantin Krebs. 23. SINFONIE-KONZERT 24. Januar 1931 Leitung: Generalmusikdirektor Paul Scheinpflug. Solisten: Cida Lau von der Städtisdien Oper (Gesang), Josef Weißgerber (Cello) Mendelssohn: „Schottische Sinfonie“. Pfitjner: „Alte Weisen“ (Erstauff.). R. Strauß: Arie der Zerbinetta aua „Ariadne auf Naxos“. E. d’Albert: Cello-Konzert mit Orchester. R. Strauß: „Till Eulenspiegel“ Karten für Volksbühnen-Mitglieder zu 1.30 bis 3.50 Mk., für Nichtmitglieder zu 1.30 bis 5 00 Mk. (einschl. Kleider ablagegebühr) in der Geschäftsstelle der Volksbühne, Iheatcrstralie Nr. 9, bei C.A. Klemm, und im Pianohaus Max Redlich. — Wir bitten dringend, Anrechtsplätje bis spätestens Montag, den 5. Januar 1931 einzulösen.