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eng an die hergebrachte viersätzige Form an, geht nirgends titanenhaft vor, läßt aber ahnungsvoll schon das aufstrebende Genie in mancherlei bedeutungsvollen Zü gen erkennen. So im ersten Satz („Allegro con brio“) durch die genial angeordnete Rückkehr über die Dominante von Fis-Moll zum Hauptthema und über die früher un bekannten Coda-Sätze, die den Haupt themen noch neue Gestaltungen abzu ringen wissen. In diesem ersten Satz lebt noch Tatkraft, ein Gedanke trotziger Ener gie, die dann schließlich freudigen, ja fast triumphierenden Charakter annimmt. Der zweite Satz (Larghetto) gemahnt in der Benutzung der Bläser an Haydnsche Weise mit einem leichten Einschlag von Humor. Er beginnt mit einem innigen, von Wehmut durchtränkten Thema der Streicher (Erinnerung an das „Heiligeu- ktiidter Testament“). Wie eine herzliche Rlitte um ein wenig Sonnenschein und Erdenglüdc klingt es dann aus den Zwie gesprächen zwischen Holzbläsern und er sten Geigen, bis die Celli den Abgesang finden. Ein echt Beethovenscher goldiger Humor kommt hier zum Durchbruch. Aber der Himmel verfinstert sidi — der Meister erinnert sidi der zermalmenden Diagnose des Arztes. Aengstlidie Rufe von unten und von oben: das Hauptthema erscheint in Moll. Energisch podien die Streicher — bis der Bann gebrochen ist, und in beglück ter Stimmung die Wiederholung des ersten Teiles beginnt. Es ist dieses Larghetto eine der sdiönsten Eingebungen Beet hovens, ein Juwel der gesamten Musik literatur. Einer vollständigen Neugestaltung be gegnet man im dritten Satze, dem „Scher zo“. Aus dem herkömmlichen Menuett ist hier unter Beethovens Händen zum ersten Male das von da ab stationäre Scherzo entstanden. Noch ist die Form beibehalten, aber ein neuer, reicher Geist hat seinen Einzug gehalten, der bald genug auch die ^letzten Fesseln zu sprengen wissen wird. Rin ganzes Heer von Kobolden treibt sein ausgelassenes Spiel. Das unstet im Or chester herumirrende Thema, die dynami schen Kontraste, die Sforzati iin zweiten Teil, die Crescendi mit der rollenden, chromatischen Figur geben dem Ganzen einen fast spukhaften Charakter, der auch das Trio beherrscht und seinen Schatten bis in das Finale hineinwirft. Im vierten Satz, dem „Finale“ (allegro motto) feiert die Durchführung fröhliche Feste: kein Motiv, audi nicht das kleinste Glied eines Motivs, ist unbenützt geblieben. Besonders charakteristisch geben sich die eingelegten Fermaten (gleichsam die stau nenden Zwischenfragen Beethovens), denen immer neue und wohlige Tonbilder ent springen. Ohne iregndwie von des Ge dankens Blässe angekränkelt zu sein, at met alles Lebenslust und Fröhlichkeit (das Testament und der Heiligenstädter Arzt sind ganz vergessen). Es ist fast Mozart - sche Stimmung. Und wenn auch das erste bärbeißige Motiv diese Stimmung hin und wieder zu trüben sucht — umsonst! Bis der Höhepunkt erreicht ist und nach einem geheimnisvollen Pianissimo die ausgedehnte Coda einsetzt. Das übermütige Ilaupt- thema beherrscht — nach einigen fast fromm klingenden ruhigen Akkorden und einem plötzlich diese Stimmung ablehnen den Fortissimo — mit lärmender Heiterkeit alles bis zum Ende. Das Schicksal dieser „Zweiten“ ist es (mit der „Vierten“), hinter ihren Schwe stern zurückstehen zu müssen. Schon bei ihrem Erscheinen (sie wurde zusammen mit dem Oratorium „Christus am Oel- berge“ am 27. März 1805 im „Theater an der Wien“ uraufgeführt) hatte sie kein Glück. In der Wiener „Zeitung für die elegante Welt“ nannte Spazier die Sinfonie „ein krasses Ungeheuer, einen angestoche nen, unbändig sidi windenden Lindwurm, der nicht ersterben wolle und selbst ver blutend (im Finale) nodi mit aufgerecktem Schweife vergeblich wütend um sich schlage“. — Wie ein solches Urteil von einem damals ernstgenommenen Kritiker zustande kommen konnte, versteht man heute natürlich nicht mehr. Denn gerade Beethovens „Zweite“ gehört zu den „zahm sten“ Sinfonien. Und gerade wegen ihrer „Verträglichkeit“ greifen die auf effekt volle Wirkung ausgehenden Dirigier- Virtuosen ungern nach ihr. Sie gilt ihnen als „zu Haydnisch“. Und doch ist gerade in ihr so viel Beethoven. An allen Ecken und Enden meldete sidi schon der „Fi- delio“. A Brahms E-Moll-Sinfonie Graue Schwere auf dem Lichtglanz des Beethovenschen Werkes. Aber zugleich — welch imponierende Fortführung des Beet- hovensdien Geistes, des tiefsten Sdiürfens im Gedanklichen und Sinfonischen, in der Spiegelung einer neuen Zeit und einer neuen Persönlidikeit. Großartig, echt Beet- hovenisch die thematische Durchdringung des Stoffes, belastet nur von dem relativen Uebermaß einer neuzeitlichen Instrumenta tion, die Schwergewichtsverteilung eben falls im Sinne des Vorbildes. Auch hier die strenge gedankliche Ver kettung der verschiedenen Sätze des Wer kes (mit Ausnahme des Allegretto, das da für einen ganz neuen Typus des beweg lichen Mittelsatzes — völlig Brahmsches Eigengewädis, in die Sinfonie bringt). Auch in der Einleitung des Finale ein Neues: