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HK Ganz wie Papa. „Nun, kleiner Mann," sagte der Bardier, „wie willst du das Haar geschnitten haben?" „Ganz wie Papa," antwortete der kleine Jakob, „mit einem großen runden Loch in der Mitte." Tie Abhilfe. „Nein, Herr Wirt, so geht es nicht länger," klagt der entrüstete Meter, „Ihr Haus ist zu zugig. Wenn ich in der Mitte eines Zimmers sitze, so weht mir mein Haar ganz übers Gesicht. Wie kann man dem bloß abhelfen?" „Ja, da wird mir nichts anderes übrigbleibcn," antwortete der Wirt nachdenklich, „als Ihnen aus meine Kosten die Haare schneiden zu lajfen" Abgewinkt. „Glauben Sie wohl, Fräulein Helene, daß ich bei Ihrem Vater auf Widerstand stoßen würde, wenn ich um Ihre Hand anhielte?" „Ich weiß es nicht genau; aber wenn irgend etwas von mir in ihm ist: ja." D e höhere Pflicht. Novellette von Fritz Gantzer. (Schluß.) (Nachdr. verboten.) „Beruhige dich," mahnte Eberhard, schon mit einer leisen Färbung von Unmut iin Ton. Dachte sie denn gar nicht an ihn? Schob sie ihn so ganz beiseite? Hatte er denn nicht das erste Anrecht an sie? Das erste Anrecht besonders heute, wo er ihr vor aller Welt den Reif an den Finger stecken wollte? Wie man zu einein Kinde spricht, das noch kein rechtes "Ein sehen hat, fuhr er dann fort: „Es wird so schlimm nicht sein. Rian übertreibt gern bei solchen Nach richten. Kahre morgen früh, nur heute abend nicht." Und als er nichts in ihrem Gesicht sah, was auf Zu stimmung zu seinem Rat schließen ließ, fragte er ver letzt: „So bin ich dir weniger als deine Mutter?" „O Gott, Eberhard, quäle mich nicht so!" flehte sie. „Was hat unsere Liebe mit der Pflicht zu tun?" „Du weichst meiner Frage aus. Bin ich dir weniger als deine Mutter? Sage, Annemarie!" Er ergriff ihre Hände uird sah ihr forschend in die Augen. „Mein Leben ist dein," sagte sie schlicht und warm und erwiderte seinen pressenden Händedruck. „Aber wenn es sich um das Sein oder Nichtsein des Menschen handelt, der mir das .Leben gab, mußt du zurückstehen. Selbst heute!" Da gab er ihre Hände frei. Plötzlich, mit einem harten, gewaltsamen Ruck. „Und wenn ich nicht will? Wenn ich deine Ab reise Hals über Kopf nicht gestatte?" „Ich werde mich nicht zum Bleiben zwingen lassen. Bon keinem Menschen!" Ein trauriges, fragendes Licht kam in ihre Augen. Wollte er sie nicht verstehen in ihrer ganzen Angst uind Sorge Um das geliebte Leben der Mutter? Konnte er sie nicht verstehen? O, sie hatte doch gerade bei ihm darauf gehofft — und nun hielt er sie auf, schlug Pen harten Ton an, sprach von einem „Nichts gestatten" und gab ihr mit seinem ganzen Verhalten zu aller Sorge und Bangigkeit eine tiefe, namenlose Trauer in die Seele. Er stand düster mit verschränkten Armen und starrte in Äas Licht der leise surrenden Gasflammen. Und sie empfand das Verrinnen der Sekunden mit einer fürchterlichen Angst. Wenn sie nun den Zug versäumte! Dann konnte sie erst gegen Morgen fahren und kam sicherlich zu spät. Ein banges Ahnen sagte ihr, daß es daheim zum Sterben ging. „Eberhard, grolle nicht!" bat sie mit zitternder Stimme. „Ich kann mich in die dich bewegenden Ge danken hineinversetzen, ich weiß, daß dir meine Ab^ reise so Unerwartet, so ganz außerhalb des Bereichs der vorgesehenen Möglichkeiten liegend kommt, daß du dich für die ersten Stunden damit nicht abzufinden vermagst. Aber wenn du leidenschaftslos, sachlich ent? scheidest, muß sich dein Urteil über mich zu meinen Gunsten bekennen. Ich muß jetzt fort. Zur Minute." Sie stieß das letzte leidenschaftlich hervor und streckte ihm die Hand hin. Er ergriff sie nicht. Mit erregten Schritten durchs querte er Pas Gemach. „Und wenn ich ein Einsehen hätte und dich ver stände, so müßtest du dennoch bleiben. Ich habe zu einigen Freunden im Uebermaß meines Glückes von meiner Verlobung im Vertrauen gesprochen. Sie wissen, daß. mein Vater unsere Verlobung heute abend bekanntgeben wird. Verstehst du nun, daß du heute abend nicht reisen darfst? Oder willst du einen Riesen klatsch heraufbeschwören? Du kompromittierst dich und uns!" „O Eberhard, daß du mir das sagen mußtest!" Eine tiefe Trauer sprach aus ihrer Stimme und aus ihrem Blick. „Deine Enttäuschung will ich mich be mühen zu verstehen, ober daß du den nichtigen Klatsch der Welt fürchtest, das verstehe ich nicht." Eine tiefe Falte grub sich in seine Stirn. „Du fährst also?" „Ja!" „Dann lösest du, was dich und mich verbindet!" Sollte dieses harte Wort den letzten Versuch be deuten, sie zu halten? Gebar es die nüchterne, kalte Entscheidung? Oder war es ihm nur im Uebermaß der Erregung, ohne, daß das Herz etwas davon wußte, über die Lippen geschlüpft? Annemarie überlegte das alles nicht. Es war wie ein schneidend Schwert in ihre Seele gedrungen und wie ätzendes, tötendes Gift. Sie zuckte zusammen. Und ihre Augen starrten suchend ins Leere. Dann raffte sie sich auf. „Selbst um diesen Preis, Eberhard! Selbst um dies Ende. — Leb' wohl!" Mit wankenden Knien verließ sie das Gemach. Er stand starr und steif. Kein Ruf. Kein Ein lenken. — Es war zu Ende. Die ganze Wucht dieses Gedankens empfand Anne^ marie erst, als sie kurz vor der Abfahrt des Zuges in die Ecke des Abteils sank. Wie vernichtet und zer schlagen. Aber da kam er und packte sie mit unbarmherzigen Fäusten und führte ihre Seele durch die dunkelsten Täler und die tiefsten Tiefen, die einem Atenscherv leben beschicken sein können. Ihre heißen, trockenen Augen sahen starr in die Nacht. Hinter ihr das plötzliche, grausame Sterben jauch zenden, pulsiereichen Lebens, vor ihr vielleicht das bittere Scheiden von der treuen Mutter, wenn der Unerbittliche ihr die Augen für immer schloß. — Und da deuchte es Annemarie Reimarus, als sei sie selbst eine Tote. --