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Georgewitsch hat das Ein nicht erst abgewartet, sondern dem Staube gemacht — nicht treffen des Haftbefehls sich schon vorher aus wahr?* ich kann mir den Fortgang der Geschichte nun schon denken. Herr Milan Georgewitsch hat das Ein „Allerdings. Und zwar auf eine Weise, die ihn ein für allemal vor jeder Verfolgung sichert. Er hat sich nämlich umgebracht.* Erich Leuthold war wohl bestürzt, aber die Ent rüstung gewann rasch wieder die Oberhand. „Ah, das wäre allerdings ein Schuldbekenntnis, wie man es überzeugender nicht hätte erwarten können ! Er muß also gewußt haben, was ihm beoorstand.* „Das ist es ja eben, was mich verdächtig macht. Man nimmt offenbar an, daß ich ihm telephonisch oder sonstwie von dem Besuche des Kriminalbeamten Kennt nis gegeben hätte. Denn, als man um zehn Uhr zum Zweck einer Haussuchung bei ihm erschien, fand man ihn tot auf dem Sofa seines Chambregarnie-Zimmers, das Fläschchen, das die Blausäure enthalten hatte, neben ihm auf dem Boden. Der mit Papierasche ge füllte Ofen aber bewies, daß er vorher alle seine Brief schaften verbrannt hatte. Ich wurde durch einen Schutz mann in Zivil aus die Polizeidirektion zitiert und eine halbe Stunde lang ausgefragt wie ein Uebeltäter. Die Herren waren offenbar in hohem Maße indigniert dar über, daß ihnen der Vogel aus solche Art entwischt war, und ich merkte wohl, daß sie mich gai zu gern zum Sündenbock gemackt hätten. Sv viel ist jedenfalls sicher, daß von diesem Gelichter keiner mehr seinen Fuß über die Schwelle meines Ateliers setzen dars!" „Bravo, lieber Meister! Aber wenn ich mir er lauben dürfte, Ihnen einen Rat zu geben, wäre es der, in das Verbot auch die Herren von den Ufern der Wolga einzuschließen. Ihnen mißtraue ich beinahe noch mehr als den Nachkommen der Ochsen- und Hammeldiebe vom Balkan." „Sie können dabei nur an Makarow denken; denn er ist der einzige Russe unter meinen Schülern. An ihm habe ich eigentlich nichts auszusetzen. Er ist ein hochbegabter Mensch und die Bescheidenheit in Person." „Er war der vertraute Freund des serbischen Ver schwörers." „Nun ja. Daß sich Rasse zu Rasse gesellt, kann am Ende nicht wundernehmen. Aber ich will mir's durch den Kopf gehen lassen. Der heutige Tag hat mir eine Lehre erteilt, die ich nicht so bald vergessen werde." Er machte Miene aufzubrechen, aber nach einem kleinen Zaudern hielt Erich Leuthold ihn mit der Frage zurück: „Um von etwas zu reden, das mit dem Vorher gegangenen selbstverständlich in keinerlei Zusammen hang steht: Hatten Sie jemals Gelegenheit, jemand von der Familie des Fräulein von Raven kennen zu lernen, verehrter Meister?" Ein kleines pfiffiges Augenzwinkern des Professors gab kund, daß er hinter diesem Interesse sogleich etwas ganz Besonderes witterte; aber er heuchelte Unbe fangenheit. „Von ihrer Familie — nein. — Abgesehen davon, daß ich vor Fräulein Herthas Ankunft in München zwei oder drei Briefe mit ihrem Vater gewechselt habe. Man hat sich augenscheinlich nur sehr schwer entschlossen, die junge Dame ziehen zu lassen." „Das kann ich mir wohl denken. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, mit welchen Vorurteilen selbst die trefflichsten und verständigsten Menschen den künstle rischen Beruf zuweilen ansehen." Professor Grünwald strich sich wieder den struppi gen Bart. „Hum — von solchen Vorurteilen war in den Briefen des Herrn von Raven — er unterschrieb sich übrigens jedesmal: Rittmeister a. D. — eigentlich nichts zu spüren. Was ihn mit Besorgnis erfüllte, schien vielmehr die Münchener Atmosphäre im allgemeinen zu sein, von der er offenbar seine ganz besonderen Vorstellungen hatte. Ich sollte sozusagen allerlei mora lische Bürgschaften übernehmen. Na, und bis zu einer gewissen Grenze habe ich das ja auch getan. Ich nehme an, daß ich keine Veranlassung haben werde, es zu bereuen!" Dabei sah er seinem reckenhaften, blonden Schüler scharf in die Augen. Der aber nahm die dargebotene Hand und drückte sie warm. „In dieser Hinsicht, denke ich, dürfen Sie voll kommen beruhigt sein, Herr Professor l Ganz abgesehen davon, daß mir Fräulein von Raven zu denjenigen jungen Mädchen zu gehören scheint, für deren mora lisches Wohlverhalten kein Mensch erst eine Bürgschaft zu übernehmen braucht." Er geleitete den Besucher hinaus; aber als er dann die Tür hinter ihm geschlossen hatte, ging es ihm wieder durch den Sinn: „Sie duldete meine Küsse, obwohl sie sich noch für die Verlobte eines andern hielt —; ob Professor Grün wald seine Bürgschaft nicht doch vielleicht bereuen würde, wenn er es wüßte?" (Fortsetzung folgt.) „Ich will es wenigstens hoffen. Aber man hat mich doch ein wenig im Verdacht, daß ich den Serben gewarnt hätte. Mit dürren Worten zwar hat man es mir nicht gesagt, aber aus einigen Bemerkungen des Herrn Polizsirats war doch das Mißtrauen deutlich genug heranszuhören.* „Und wovor sollten Sie ihn gewarnt haben?" „Dor der Wahrscheinlichkeit seiner Festnahme. Aber ich muß Ihnen die Sache wohl im Zusammenhang erzählen, damit sie Ihnen verständlich wird. Also heute früh vor sieben Uhr klingelte es bei mir, und das Dienstmädchen kommt mit ganz verstörtem Gesicht in mein Schlafzimmer. Es sei ein Herr von der Kriminal polizei da, und ich möchte doch die Freundlichkeit haben, mich gleich anzuziehen, um mit ihm zu reden. Na, Sie können sich wohl denken, mit was für einem Gesicht ich den ungewohnten Besuch begrüßte. Aber er war sehr höflich, entschuldigte sich wegen der frühen Be lästigung und berief sich auf ein Telegramm, das der Münchener Polizei soeben von Wien aus zugegangen sei. Ein gewisser Milan Georgewitsch, der sich angeb lich zum Zwecke des Malstudiums hier aufhalte, sei in hohem Maße verdächtig, an den verbrecherischen Um trieben einer Belgrader Verschwörer-Clique beteiligt zu sein. In den bei den Attentätern Vorgefundenen Brief schaften sei sein Name wiederholt in kompromittierender Weise genannt. Eine gesetzliche Handhabe zu seiner sofortigen Verhaftung sei durch das Wiener Telegramm noch nicht gegeben, aber man rechne doch mit der Möglichkeit, daß noch im Laufe des Tages von höherer Stelle seine Festnahme verfügt werde, und man habe jedenfalls die Pflicht, sofort umfassende Erhebungen an zustellen. Ich solle also gefälligst alles sagen, was ich von diesem Milan Georgewitsch wisse — von seinen politischen Anschauungen, seiner Lebensführung, seinem Verkehr, der Herkunft seiner Geldmittel — und so weiter — und so weiter. Na, ich war noch halb ver schlafen und auch aus anderen Gründen nicht eben in der besten Laune. Darum erklärte ich dem Beamten ziemlich kurz und bündig, daß meine Malschüler keine unmündigen Kinder wären, und daß ich mich nur um ihre künstlerische Ausbildung, nicht um ihr Privatleben zu kümmern hätte. Politische Gespräche würden in meinem Schüler-Atelier nicht geführt, und Verschwö rungen würden darin nicht angezettelt. Wenn die Polizei es also nicht Vorzüge, Herrn Georgewitsch selbst zu befragen, was ich für das Ällerrichtigste halten würde, so sollte sie sich ihre Informationen gefälligst anderswo holen als bei mir.* „Das war sicherlich völlig korrekt gesprochen. Aber