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ZUR EINFÜHRUNG Die 2. Sinfonie in D-dur von Johannes Brahms, op. 73, ist 1877 geschrieben und ein Jahr später ver öffentlicjit worden. Man nennt sie oft die Pastoral-Sinfonie dieses Komponisten, wenn auch hier und da tragische Töne aufklingen wollen. Geschrieben ist dieses Werk am Wörther See, wo sich Brahms besonders wohlfühlte. Dieser Ausdruck des Wohlbefindens und eines brahmsischen Glücklichseins, das immer mit etwas Melancholie vermischt ist, durchzieht diese ganze Sinfonie. Der erste Satz beginnt mit einem volksliedhaften Gesang der Hörner und der Holzbläser, wobei Celli und Bässe eine kleine Wechselton figur spielen, die sich als gestalterisches Motiv für den ganzen Satz, ja für das ganze Werk ergiebig erweist. Das erste Thema, von den Geigen vorgetragen, von den Flöten aufgenommen, atmet eine gewisse Be haglichkeit — aber wie sicher gleitet es in den bekannten grüblerischen Ernst, den Brahms nie ver leugnet, hinüber; Das zweite Thema läßt die Violoncelli singen. Aber gleich nach diesem ausgesprochenen Gesangsthema findet sich noch ein drittes, ein rhythmisch-markantes ein, das nun zur Durchführung überleitet, in der das Wechseltonmotiv im Blech eine gewichtige Rolle spielt. Die Wiederholung des ersten Teils setzt ganz der klassischen Form entsprechend ein, ein Homsolo kündet den Beginn der Coda an. Der zweite Satz atmet Trauer und Schwermut. Wiederum singen die Violoncelli eine sehn süchtige Melodie. Eine zweite Episode hat etwas Traumhaftes an sich, aber nach kürzester Zeit gewinnt in diesem Seelengemälde der Trübsinn wieder die Oberhand. Den Abschluß bildet die Wiederholung des sehnsüchtigen Gesanges, diesmal von den Geigen, darauf von der Oboe, dann vom Horn gesungen, Der dritte Satz ist ein Allegretto, der das Scherzo vertritt. Die klassische Form ist hier auch für Brahms das Vorbild. Das Trio läuft im Zweivierteltakt ab und verändert dabei rhythmisch das vorhergehende Dreivierteltaktthema. Der Schlußsatz (Allegro con spirito) erinnert stark an die Welt Haydns. Brahms wählt hier die So natenform, nur daß er die einzelnen Themen zu Themenkomplexen erweitert und anreichert. Bine ruhige Episode schiebt sich ein, die 'sichtlich Natureindrücke widerspiegelt. Die Sinfonie ist klarer instrumentiert als ihre schwergepanzerte Schwester, die erste — sie heißt mit Recht die „Pastorale" von Brahms. Johannes Brahms schrieb sein Konzert für Violine und Orchester, op. 77, im Sommer des Jahres 1878 in Pörtschach. Wie sich in die 2. Sinfonie die beglückenden Erlebnisse in jener schönen Natur hinein gefunden haben, so ist auch im Violinkonzert zu spüren, welchen belebenden und erquickenden Einfluß die Landschaft am Wörther See auf ihn ausübte. Brahms hat dieses Konzert seinem Jugendfreunde Joseph Joachim gewidmet, der es auch zuerst lange Jahre als einziger gespielt hat. Heute ist das Konzert Gemeingut aller Geiger geworden, die zur Spitzenklasse gehören wollen — und die Schwierigkeiten, die einst nur Joachim meisterte, werden heute von vielen Virtuosen bewältigt. Joachim hat Brahms manche Anregungen und Ratschläge in Hinsicht auf violintecbnische Fragen gegeben — aber aus jeder Note heraus ist zu spüren, daß das Werk ein echter Brahms ist. Das Konzert ist dreisätzig, obwohl Brahms, entgegen allen Gepflogenheiten, zuerst vier Sätze kon zipiert hatte. Im ersten Satz ist die große sinfonische Exposition, die Aufstellung der beiden Themen und des gesamten übrigen Materials zu bewundern, ehe er die Solovioline einsetzt. Und nun läßt er nicht wörtlich die Themen von der Geige wiederholen, sondern verändert sie sofort und gestaltet sie frei um. Ein Beweis dafür, daß Brahms doch nicht der strenge Formalist war, als den man ihn so gern hinzustellen beliebt. In wunderbarem Wechselspiel mit dem Orchester ordnet sich in diesem Satze die Violine ins sinfonische Geschehen ein. Der zweite Satz mit seinem schönen Oboenthema am Beginn entfaltet sich zu ernster Schönheit und zu milder Verklärung, während der Schlußsatz mit rassigem Temperament daherkommt und den Schuß ungarischen Wesens klar erkennen läßt. Das Terzenthema am Anfang dieses Finales beschwört un zweideutig zigeunerische Weisen, die dem Werk einen beschwingten, lebensfrohen Abschluß verleihen. Im Jahre 1880 entstand die Akademische Festouvertüre, op. 80. Brahms war Ehrendoktor der Uni versität Breslau geworden und schrieb dieses Werk als Ausdruck des Dankes. Schon in der Idee drückt sich ein gewisser Humor des Komponisten aus, der diese Gelegenheit beim Schopfe erfaßt, um mit Liedern aus dem Kommersbuche seine Huldigung vor den damaligen studentischen Gepflogenheiten auszudrücken. Aber zu einer ausgelassenen Fröhlichkeit dringt Brahms in diesem Gelegenheitswerk auch nicht vor, immer wieder schaut der ernste Brahms aus den Falten dieses Gewandes. Er läßt sich nicht entgehen, durch polyphone Verarbeitung und einige kontrapunktische Künste, die er ja sehr liebte, dem Werk den Anstrich einer gewissen Gelehrtheit zu verleihen, was er dem Anlaß angemessen fand. Ebenso tritt er mit einem gewissen Pomp, gleichsam im Talar und mit dem Doktorhut auf, was in einer fülligen und ziemlich blechgepanzerten Instrumentation zum Ausdruck kommt. Trotz des Einsatzes des großen Orchesters mit allen seinen Hilfsmitteln und der bewunderungswürdigen kompositionstechnischen Arbeit ist zu spüren, daß die Ouvertüre im großen sinfonischen Schaffen von Brahms nur die Stelle eines Ge legenheitswerkes einnimmt. Johannes Paul Thilman Mittwoch, den 8. März 1950. 19 Uhr, Brahms-Zyklus, 6. Abend ,,Werke der Reife“ Dirigent: Prof. Heinz Bongartz . Solist: Prof. Hans Beltz, Berlin (Klavier)