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Satz ist, ganz entgegen der Gepflogenheit Beethovens, kein Scherzo oder Menuett, sondern ein graziöses AUegretto. Die schlichte Melodie des Beginns, die in ihrer Umkehrung fortgeführt wird, kann aber nicht den Ernst und die Resignation verhindern, die sich dann in diesem Satz durchsetzt. Gleich dem Anfangs satz beginnt auch der Schlußsatz mit einer Einleitung, die mit Spannung und Größe geladen ist. Dann entfaltet sich wiederum echt sinfonisches Geschehen — Brahms wählt die Sonatenform auch für den Schlußsatz. Das erste Thema mit seinem Anklang an den Hymnus der ,,Neunten" steht dem weicheren, lyrischen zweiten Thema gegenüber, so daß sich auch hier dramatische Ballungen ergeben, die jedoch in eine strahlende C-dur-Coda einmünden, die dem Werk einen sieghaften Abschluß verleiht. Das Schicksalslied, op.54 (1868 geschrieben), nimmt die Worte Hölderlins zum Anlaß, die von den im ewigen Lichte wandelnden Göttern und den ins Ungewisse geworfenen Menschen sprechen. Brahms gelingt es, in dem Vorspiel vor allem, aber auch im Nachspiel, Töne echt romantischer Prägung zu finden und Dinge auszusagen, die von einer fast reinen Schönheit sind. Hebbels Ausspruch von der Auf gabe der Lyrik, daß sie „das menschliche Gemüt im tiefsten zu erschließen, seine dunkelsten Zustände durch himmelklare Melodien zu erlösen“ habe, trifft auf dieses Werk in vollem Umfange zu. Die Worte der Hölderlinschen Dichtung führen durch die wechselnden Stimmungen des Werkes hindurch, an ihrer Hand versteht sich die Musik von selbst, die — über Hölderlin hinausgehend — den düsteren Abschluß der Dichtung durch das Nachspiel verklärt. 1873 komponiert Brahms sein op. 56, die Variationen über ein Thema von Joseph Haydn. Dieser „Choral des Heiligen Antonius“ reizte ihn, den Versuch zu machen, nach nunmehr 13 Jahren, in denen Brahms nur Kammermusik geschrieben hatte, sich endlich dem Orchester weder zuzuwenden. Wenn jemand in diese Themenwahl eine Absicht des Komponisten hineingeheimnissen wollte, er habe die Versuchungen des Heiligen Antonius darzustellen beabsichtigt, dann stehen dem die so klar geformten, so sicher ge stalteten, so gar nicht teuflisch-dämonischen acht Variationen und das Finale entgegen. Brahms war zu sehr Musiker, als daß er sich einem und wenn auch versteckten Programm unterworfen hätte. Die Variationen sind ausgesprochene Charaktervariationen, die verschiedene Stimmungsgebiete anschlagen, die folglich von größter gedanklicher Gegensätzlichkeit sind und dies durch scharfe Ausprägung har monischer, polyphoner und rhythmischer Elemente erzielen wollen. Die Fülle der verschiedenartigen Klangzusammenstellungen gar nicht aufzuführen — sie beweist das große und gereifte Können des Komponisten, der in den 13 Jahren, in denen er keine Orchesterwerke schuf, trotzdem innerlich alle Vorbereitungen dazu traf. So ist gerade das Finale als eine unmittelbare Vorstudie auf die später ent stehende erste Sinfonie aufzufassen. Es reckt sich schon die Kraft auf, die Brahms einige Jahre später zum Wurfe der x. Sinfonie befähigt. Es zeigt sich schon die Meisterschaft, die ihn gleich mit jenen ersten vollgültigen Versuchen sinfonischen Schaffens in die Reihe der großen Meister und Könner einreiht. Johannes Paul Thilmar