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mehrfältigen Widerstand. Ein Unzufriedener wurde entlassen. Sofort legten sämmtliche Leute die Arbeit nieder. Der Ausschufs trat ab, ein neuer in Thätigkeit. Die Kohlengewinnung er wies sich als unergiebig, man wechselte die Be triebsstelle mit kurzem Erfolg, plötzlich brachen Wasser durch. Ein neuer Wechsel half vorläufig wieder, aber Sachkenner glauben nicht an die Dauer und weissagen ein baldiges Ende. Unseres Wissens scheiterten bisher alle derartigen Ver suche. Auf dem letzten Socialistentag in Berlin mahnten die Führer selbst zur äufsersten Vor sicht bei Genossenschaftsbildungen, empfahlen dieselben nur für den Fall des zweifellosen Ge lingens. Ehe sie aber die ganze Welt auf den Kopf stellen dürfen, mufs doch die praktische Durchführbarkeit der künftigen Arbeitsordnung in kleinerem Mafsstab erwiesen sein. Wollen oder können die Maulhelden das nicht, so sind wir berechtigt, ihre kühnen Pläne als eitle Ruhm redigkeit zu bezeichnen. Es handelt sich übrigens bei der Parteileitung gar nicht um segensreiche Organisation der Arbeit, sondern lediglich um politische Macht, welche der blinden Menge anheimfallen soll. Diese zu leiten und lenken, damit die Herrschaft an sich zu reifsen, das ist das Endziel. In Garmaux entstand ein 80 tägiger Ausstand mit einer Lohneinbufse der Arbeiter von wenigstens 600 000 Fres, lediglich aus poli tischen Gründen. Die verschiedenen Arbeiter verbände haben häufig nur wegen Machtfragen Arbeitseinstellungen veranlafst. Die Freiheit der Minderzahl wird zur „conventioneilen Lüge“, die Tyrannei der Mehrheit zum unbedingten Gesetz. Die socialpolitischen Leistungen Deutschlands dürfen in Arbeiterkreisen keine Anerkennung finden, sie werden eine staatlich geordnete, ganz unzureichende Armenpflege genannt. Welchen Umfang diese aber bereits erreichte, mögen einige Zahlen andeuten. Der allgemeine Knappschafts- } verein zu Bochum brachte im Jahre 1891 für Kranken- und Pensionskassen rund 10 576 500 •K auf, davon 139117 Arbeiter 5 752 207 ~%, die Zechen 4 823 690 46. Letztere zahlten aufser- dem in gleichem Jahr als Mitglieder der Section Bochum der deutschen Knappschaftsberufsge nossenschaft für Unfallversicherung 2 966 679 JI, demnach im ganzen 7 790 369 •46. Nebenher laufen die grofsen Ausgaben — der Mühewaltung gar nicht zu gedenken — für Menagen, Consum anstalten, Arbeiterwohnungen und sonstige Wohl fahrtseinrichtungen. Beim Bochumer Verein be trugen diese indirekten Leistungen, einschliefslich der für Beamten, seit dem Bestehen der Gesell schaft bis 1886/87 allein 2 871 000 •6. Leider beschränkten sich dieLegendenbildungen über unsere Arbeiterverhältnisse nicht auf die äufsersten Flügel der Parteien, sondern fänden auch sonst williges Gehör. Ein hochangesehenes nationalliberales Blatt schrieb im Juni 1889 voller Begeisterung über den Staatssocialismus: ,,Alle hatten sich der Unterlassungssünde schuldig ge macht, der Staat, die Gesellschaft und die Ein zelnen. Eingelullt durch die Sirenentöne der öden, herzlosen Manchesterlehre, hatte man sich, um mit einem berühmten Worte zu sprechen, der Arbeiter nur dann erinnert, wenn es galt, Rekruten auszuheben; aufser dem Erlafs des Haftpflichtgesetzes und der dürftigen Arbeiter vorschriften hatte man zum Besten der Arbeiter noch fast nichts gethan.“ Dem wahrscheinlich in Berlin wohnenden Verfasser des Artikels scheinen die preufsischen Knappschaftskassen, welche etwa das leisteten, was jetzt die socialen Gesetze be wirken, gänzlich unbekannt gewesen zu sein, ebenso die Privatkranken- und Unterstützungs kassen der Hütten- und anderer Werke. Von den grofsartigen Wohlfahrtseinrichtungen für Ar beiter in der engeren Heimat der betreffenden Zeitung scheint er keine Ahnung gehabt zu haben. Wenige Tage später nannte dasselbe Blatt, in direktem Widerspruch mit seinen frühem Aus lassungen, die bedeutenden Leistungen der Saar brücker Knappschaftskasse „eine Summe, vor der man den Hut abziehen mufs“, und berichtete ferner, dafs seit 1842 durch Unterstützung der Königl. Verwaltung der Bau von 5043 Bergmanns häusern ermöglicht worden sei. Wenn das am grünen Holz geschieht, was läfst sich vom dürren erwarten ? Das fromme Gentrum behauptet, dafs nur echtes Christenthum die socialen Schäden heilen könne, weshalb das Weltglück wohl von der Rück kehr in den alleinseligmachenden SchofsJder katholischen Kirche abhängt. „Ihre Thätigkeit wird um so wirksamer sein, je gröfsere Freiheit der Bewegung ihr gelassen wird. Mögen das namentlich Diejenigen vor Augen haben, in deren Hände das Heil der Staaten gelegt ist“, sagte Pabst Leo XIII. in seinem Rundschreiben über die Arbeiterfrage vom 17. Mai 1891 Zund]kennt- zeichnet damit vielleicht unabsichtlich die Be strebungen unserer Ultramontanen. Obendrein zeigen Einzelne, dafs die Lehre von der christ lichen Nächstenliebe für sie nur eine „conven- tionelle Lüge“ ist. Als der grofse Ausstand im niederrheinisch westfälischen Kohlenbezirk ausbrach, da mischten sich eine Menge unberufener, mit Arbeiterver hältnissen gänzlich unbekannter Leute in den Streit, wiederholten ohne nähere Prüfung die un erwiesenen Anklagen der socialdemokratischen Führer des Streiks und verdammten voller Ent rüstung die herzlosen Besitzer bezw. Leiter der Zechen. Die amtliche Untersuchung ergab mit wenigen Ausnahmen die Grundlosigkeit der Be schuldigungen. Auf ein paar Fälle, die sich im ordnungsmäfsigen Weg der Beschwerde hätten [•erledigen lassen, stürzte die ganze Meute der