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STAHL UND EISEN.“ Nr. 1. 41 Januar 1893. Berichte über Versammlungen verwandter Vereine. Verein für Eisenbahnkunde zu Berlin. I Im „Verein für Eisenbahnkunde“ hielt am 13. December 1892 Hr. Generaldirector A. Haarmann aus Osnabrück einen sehr eingehenden und aufser- ordentlich anziehenden Vortrag über die Eisenbahnoberbau-Frage in ihrer volks- wirthschaftlichen Bedeutung, in Bezug auf welchen wir gern wünschen möchten, dafs er thunlichst bald durch den Druck in seinem ganzen Umfange der Oeffentlichkeit übergeben würde, da er eine gerade im Augenblick so brennende Frage behandelt. Einige Mittheilungen aus dem reichen Inhalt der Darlegungen mögen zeigen, wie bedeutsam dieselben sind. Der Vortragende geht davon aus, dafs seit geraumer Zeit die wirthschaftlichen Verhältnisse des Vaterlandes in einem bedenklichen Niedergange begriffen sind. Wie die Eisenbahnen ausweislich der Rechnung des Staatshaushaltes eine bedeutende Verminderung ihrer Einnahmen erlitten haben, tritt auch auf fast allen Gebieten der gewerblichen Thätigkeit mehr und mehr ein Zustand in die Erscheinung, der leider vielfach schon jetzt als „Nothlage“ bezeichnet werden mufs. Namentlich sind die Verhältnisse in der Eisen- und Stahlindustrie sehr trübe, und es ist nicht zu ver kennen, dafs dieser Umstand grofsentheils auf den jenigen Ausfall zurückzuführen ist, welcher in den Beschaffungen des Materialbedarfs der Eisenbahnen hervortritt, und es liegt daher nahe, eine Prüfung darüber anzustellen, in welchem Umfange eine der artige Zurückhaltung vorliegt, welche Wirkung sie übt, auf welche Ursachen sie sich gründet, wieweit sie gerechtfertigt erscheint, und wie der volkswirthschaft- lichen Gefahr, welche sie einschliefst, in einer allen Betheiligten gerecht werdenden Weise abgeholfen werden könnte. In diesem Zusammenhänge spielt die Frage des Eisenbahnoberbaues eine grofse Rolle. Durch eine entschiedene, zielbewufste Leitung der Bewegungen des Wirthschaftslebens sind extreme Ent wicklungen sehr wohl wirksam einzudämmen. Nament lich hat die Regierung eines grofsen Landes es bis zu einem gewissen Grade stets in der Hand, durch Aus dehnung oder Einschränkung der vom Staate direct ausgehenden Arbeit und durch Regelung des Geldum laufs die Harmonie der wirthschaftlichen Kräfte vor gröfseren Störungen zu bewahren. Zustände, bei denen eine solche Einwirkung am Platze wäre, sind eben jetzt eingetreten und bedrohen in ihrer Fortentwicklung die Wohlfahrt einer zahl reichen gewerbthätigen Bevölkerung nicht minder wie die Steuerkraft weiter Kreise und das Gedeihen des Vater landes. Denn was die in der Eisenindustrie vorwiegend auch mit der Befriedigung des Bedarfs der Eisenbahnen beschäftigte Anzahl von Arbeitern betrifft, so ernährt dieselbe, die Angehörigen mitgerechnet, 2 661155 Köpfe, denen jährlich ein Verdienst von 517686696 zu- fliefst. Wie wichtig es ist, einer so zahlreichen Be völkerungsklasse diese Nahrung nicht zu entziehen durch Vergebung von Lieferungen in das Ausland und namentlich nicht durch den Bezug ausländischer Holzschwellen, die fortwährend bei uns verwendet werden, weil der heimische Wald den Bedarf bei weitem nicht deckt, liegt ohne weiteres auf der Hand. Aber auch für den Eisenbahnfiscus selbst ist ein Arbeitsausfall in der Industrie von sehr bedeutendem unmittelbaren Belange. Auf 1000 kg Eisenmaterial für Eisenbahn-Ober bauzwecke (Schienen, Schwellen, Laschen u. s. w.) 1.13 sind zu rechnen: 1. Erze und Zuschläge (Beschickung) des Hochofens für 1200kg Roheisen 3800 kg; 2. Kohle zur Herstellung des Kokses für die Hochöfen 1700 kg; 3. Roheisen in den Gupolöfen der Stahlhütte unter Berücksichtigung des 20 % betragenden Abbrandes und Abfalles in der Stahlhütte und im Walzwerk 1200 kg; 4. Koks für diese Cupolöfen 130 kg; 5. Gas kohlen für die Schweifsöfen der Walzwerke 150 kg; 6. das Fertigfabricat selbst mit 1000 kg; 7. Kohlen für Dampfkessel des Walzwerkes, der Stahlhütte und des Hochofens 800 kg; 8. Schlacke der Hochöfen und der Stahlhütte 2500 kg, von diesen bleiben 60 % auf Halden, also 40 % 1000 kg; 9. Material für feuerfeste Steine 150 kg; 10. sonstige Materialien für den Betrieb, Oele u. s. w. 70 kg; macht rund 10 000 kg. Diese Berechnung gründet sich auf Durchschnittsverhält nisse. Es wird also für jede Tonne verbrauchsfähigen Eisenbahnmaterials die Frachteinnahme einer zehn fachen Gewichtsmenge in Gegenrechnung zu stellen sein. Ein Theil dieses Quantums von Rohmaterial u. s. w. ist dabei vielfach auf weiten Strecken zu fahren, und dies trifft insbesondere für das Fertigfabricat zu. Man wird daher nicht fehlgreifen, wenn man im Durchschnitt für die Tonne einen Frachtbetrag von 3 in Ansatz bringt, so dafs also für jede Tonne zur Verwendung gelangenden Eisenmaterials eine Fracht summe von 30 •« in Anschlag zu bringen sein würde. Bei dem Ernst der Lage wird man sich aber nicht ein mal dabei beruhigen dürfen, dafs alle diese Ausfälle — an Arbeit für die Industrie, an Existenzmitteln für den Arbeiter und an Frachten für die Eisenbahnen — immerhin nur Bruchtheile des Ganzen träfen und keine weitern Übeln Folgen nach sich zögen. Es ist vielmehr entschieden zu befürchten, dafs die Stockungen, welche zeit- und stellenweise schon heute zu beklagen sind, in ihrer Wellenbewegung sich auf sehr weite Kreise erstrecken werden. Auch hier wird daher der Fiscus wohl zu bedenken haben, dafs es sich um die Schwächung und den theilweisen Eingang einer In dustrie handelt, welche nach einer überschläglichen Schätzung unseren Staatsbahnen jährlich eine Frachten- einnahme von etwa 130 Millionen Mark zuführt. Völlig aufser Acht bleibe es, dafs bei den hier in Ansatz gebrachten Frachten nur diejenigen Auf wendungen herangezogen sind, die die Industrie selbst zu zahlen hat, während alle diejenigen Frachten, welche die Abnehmer für Roheisen und Fertigfabricate selbst tragen müssen, noch hinzukommen. Was liegt also näher, als mit allen Kräften dahin zu streben, dafs volkswirtlischaftliche Calamitäten der vorhin an gedeuteten Art nach Möglichkeit vermieden werden?! Hier ist unsere Staatsbahnverwaltung der einzige I Factor, welcher mit Erfolg einzugreifen vermag und dessen Eingreifen sich auch in jeder Beziehung recht- fertigen würde. Die Conjuncturverhältnisse für die . billige Ausführung zeitgemäfser Vervollkommnungen und Ergänzungen können günstiger als im Augenblick nicht gedacht werden. Die Eisenbahn-Oberbau-Frage, welche hierfür das nächstliegende Operationsgebiet bilden mufs, ist nach des Vortragenden Ansicht auch genügend geklärt, um ein entschiedenes Vorgehen zu ermöglichen. Bei der Frage nach der Ausgestaltung des Eisenbahnwesens lautet das „ceterum censeo“ des Vortragenden: in erster Linie mufs der Eisenbahnweg vervollkommnet werden, um den gesteigerten An sprüchen auf Belastung und Fahrgeschwindigkeit der Bahnen in ökonomischer Weise gerecht werden zu können. Er weist sodann in seinen weiteren Dar- | legungen auf die Nothwendigkeit und die grofsen Vor- ! theile eines stofsfreien Geleises hin. Wenn man ein- 6