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130 Nr. 3. STAHL UND EISEN. Februar 1893. technischen Vereine, Vertretern der Künste und Wissen schaften, der Kaufmannschaft u. s. w. Neben den Angehörigen des Gefeierten waren zahlreiche Ehrengäste anwesend. In Begleitung Ihrer Majestäten, der Kaiserin Augusta Victoria und der Kaiserin Friedrich. waren die Prinzen Heinrich und Albert erschienen. * Als um 21/2 Uhr die hohen Gäste in der Hofloge Platz genommen hatten, leitete die Orgel die Feier mit einem Präludium von Caldera ein; sodann stimmte der Domchor das Requiem von Jomelli an. Die Gedächtnifsrede hielt der Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Gewerbfleifses, Staats minister Dr. Delbrück. Der Wortlaut der Rede ist in der Zeitschrift d. Ver. d. Ingenieure, dem die Ehre zur Anregung der Feier gebührt, wiedergegeben. Der Redner skizzirte in scharfen Umrissen ein Lebensbild des Verstorbenen, „des Mannes der wissenschaftlicher. Forschung und der technischen That", und fügte daran eine allge meine Darstellung der hervorragendsten Leistungen des Verewigten an, sich hierbei an den Thatsachen haltend. Nach der Rede stimmte der Domchor eine Oster motette von A. Becker an. Mit einem darauf folgenden Präludium von Bach schlofs die grofs- artige und weihevolle Feier zur Erinnerung an jenen Mann, von dem vom Festredner treffend mit dem Dichter gesagt wurde: Er glänzt uns vor, wie ein Komet verschwindend, Unendlich Licht mit seinem Licht verbindend. Schutz der nationalen Arbeit. Die „Verkehrs-Correspond." schreibt sehr richtig: Der Jahresverbrauch des deutschen Volkes wird auf etwa 12 Milliarden Mark geschätzt. Der bei weitem gröfste Theil dieser Riesensumme mufs durch Arbeit erworben werden, und es ist jedenfalls die wichtigste wirthschaftliche Aufgabe des Staates, hier für die Arbeitsgelegenheit zu schaffen, zu sichern und gerecht zu vertheilen. Es gewinnt den Anschein, dafs die gegenwärtige ungünstige wirthschaftliche Lage und die dadurch hervorgerufene Nothwendigkeit, durch Erhaltung bezw. Vermehrung der Arbeitsgelegen heit der Arbeitslosigkeit mit ihren schlimmen Folgen einigermafsen vorzubeugen, die Staatsregierung zu einer Aenderung ihrer bisherigen Anschauungen ver- anlafst hat. Während noch der Minister von Maybach eine grundsätzliche Entscheidung dahin erlassen batte, dafs bei Schienen - Submissionen künftighin überall stets der billigste Preis mafsgebend sein soll, ist es, dank dem Wohlwollen des gegenwärtigen Eisenbahn ministers Thielen, gelungen, die zwischen der Staats eisenbahnverwaltung und den hervorragendsten Schienenwerken unseres Landes stattgefundenen Ver handlungen zu einem beide Theile befriedigenden Ergebnifs zu führen. Die Staatseisenbahnverwaltung hat unter Verzicht auf weitere Verdingungsausschrei bungen den gesammten Schienenbedarf der preufsischen Staatsbahnen bis zum 1. April 1894 den Werken übertragen, welche ihrerseits sich trotz gleichzeitiger Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Schienen ent schlossen haben, noch um einige Mark unter das bei der letzten Bromberger Schienenverdingung abge gebene Gebot herunterzugehen. Der Preis, den die Eisenbahnverwaltung bei dieser Gelegenheit erzielt hat, ist ein so aufsergewöhnlich niedriger im Vergleich zu den Preisen der letzten Jahre, dafs dieser Abschlufs für den Eisenbahnfiscus von ganz besonderem Werth ist, während die Schienenwerke den grofsen Vortheil * Der Kaiser, der ebenfalls sein Erscheinen zu gesagt hatte, war durch Erkältung an der Betheiligung verhindert. erreicht haben, eine zwar kaum noch gewinn bringende, dafür aber regelmäfsige und stetige Be schäftigung zu haben, die es ermöglicht, sich dauernd ihren guten und zuverlässigen Arbeiterstamm zu sichern. Im Interesse der Arbeiter würde es sehr wünschenswerth sein, wenn sich die Staatseisenbahn verwaltung auch in betreff der Beschaffung der Loco- motiven und Wagen sowie sonstiger Ausrüstungsgegen stände zu einem ähnlichen Abkommen entschliefsen wollte, um der weiteren Entlassung von Arbeitern und der Einschränkung der Arbeitszeit vorzubeugen und die Beibehaltung des alten und geschulten Arbeiterstammes zu ermöglichen. Nachdem übrigens der Minister Thielen erst vor kurzem Gelegenheit genommen hat, den ihm unterstellten Behörden die Nothwendigkeit der Berücksichtigung einheimischer Werke darzulegen und die Staatsregierung auch geneigt zu sein scheint, ihren Einflufs dahin geltend zu machen, dafs auch bei den zu erbauenden Kleinbahnen in gleicher Weise verfahren wird, ist wohl zu erwarten, dafs auch die übrigen deutschen Staaten dem Vor gehen Preufsens folgen werden, und dafs man sich endlich allgemein der nationalen Pflicht bewufst werden wird, die deutsche Industrie und die dabei beschäftigten Arbeiter zu schützen. In keinem anderen Lande begegnen wir in dieser Beziehung einem so geringen Gemeinsinn, als in Deutschland. Im Aus lande, z. B. in Belgien, Frankreich, England, gilt es als selbstverständlich, dafs die ^Herstellung der Schienen, Locomotiven und Wagen aus inländischem Material und die Lieferung von inländischen Fabriken erfolgt; bei den österreichischen Bahnen enthält sogar jede Concessionsurkunde die Bedingung, dafs Fahr betriebsmittel, Schienen und sonstige Bahnbestand theile, sowie alle Ausrüstungsgegenstände ausschliefs- lieh aus inländischen Werken zu beschaffen sind und dafs eine Ausnahme hiervon nur dann statthaft ist, wenn nachgewiesen werden sollte, dafs inländische Werke nicht in der Lage wären, die bezüglichen Lieferungen unter gleichen Bedingungen hinsichtlich des Preises, der Qualität und Lieferungszeit, wie diese von ausländischen Werken angeboten werden, zu be werkstelligen. Im übrigen sind es nicht die Eisenbahnen allein, bei denen es noth thut, die nationale Arbeit zu schützen, es gilt dies insbesondere auch vom deutschen Schiffsbau, welcher in neuester Zeit wesentlich an Ausdehnung gewonnen hat und bereits einen ganz bemerkenswerthen Zweig der deutschen Eisen- und Stahl-Industrie bildet. Leider wird ein grofser Theil des zum Bau der Handelsschiffe zur Verwendung kommenden Stahls noch immer aus England bezogen; aufserdem werden fortdauernd zahlreiche Schiffe in England für deutsche Rechnung gebaut. Welche Summen dem deutschen Schiffsbau und dessen Eisen- und Stahl-Industrie hierdurch bereits verloren ge gangen sind, kann man schon daraus entnehmen, dafs die beiden gröfsten deutschen Dampfer-Gesellschaften, der Norddeutsche Lloyd in Bremen und die Hamburg- Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, seit ihrem Bestehen rund 220 Millionen Mark für Schiffe bezahlt haben, die sie aus England beschafften. Unter Hinzurechnung der für andere deutsche Rhedereien in England erbauten Schiffe ergieht sich sogar ein Gesammtverlust für die deutsche Schiffsbau-Industrie von etwa 400 Millionen Mark, von denen ungefähr 1/3 des zu den Schiffen nöthigen Materials an Eisen und Stahl anzunehmen ist., Um dem deutschen Gewerbefleifs solche Verluste in Zukunft zu ersparen, wird es einerseits Aufgabe der deutschen Schiffsbau- Industrie sein müssen, durch Ausführung der Schiffs bauten von gleicher Güte an Material und Arbeit, gleichen Preisen und gleicher Lieferungszeit wie im Auslande ein gröfseres Vertrauen der deutschen Rheder und Klassifications - Gesellschaften in die