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mit die Zeitpunkte des Entstehens der auslän dischen Zölle vergleichen, so werden Sie sehen, dafs fast sämmtliche Auslandszölle früher ent worfen und in ihren einzelnen .Positionen fest gestellt sind und zum Theil auch sogar früher in Kraft traten, als unser Zolltarif. Ich kann dabei aus besonderer Erfahrung und Wissenschaft sprechen. Als ich den Zolltarifentwurf des Central- Verbandes deutscher Industrieller bearbeitete und aufstellte, lagen mir bereits sämmtliche neueren Zolltarife des Auslandes vor: der französische, welcher 2 Jahre früher entworfen war und jetzt zum gröfsten Theil in der damals proponirten Höhe in Kraft getreten ist, — der österreichisch ungarische, der etwa 1/2 Jahr früher festgestellt und berathen wurde, der schweizerische, welcher ebenfalls vor dem unseren eingeführt ist, der italienische, der damals bereits zwischen Italien und Frankreich discutirt ward. Es ist also ganz und gar nicht richtig, zu sagen, dafs erst infolge unseres Zolltarifs die Länder sich mit Gegenzöllen zu panzern begannen, ein Blick auf die Data der betreffenden Entwürfe und Gesetze widerlegt solche Behauptungen. Das schlimmste Beispiel soll Rufsland gegeben haben oder noch geben. Es sieht allerdings auch so aus, weil in der That Zollerhöhungen in reich lichem Mafse vorgenommen sind. Aber wenn man die russischen Verhältnisse kennt, und diese Kenntnifs wohnt doch auch Herrn Dr. Siemens bei, mufs man gewifs zugeben, wenn Rufsland eine Industrie haben will, und die hat es nöthig, so mufs die russische Regierung die Industrie schützen 1 Zunächst war die Einführung der Geldzahlung der Zölle eine rein finanziell gesetzlich sogar gebotene Mafsregel. Die übrigen Zölle aber sind nicht Kampfzölle, sondern Er ziehungszölle, wie sie jedes Land in der ersten Entwicklung seiner Industrie, von der ja auch die Prosperität der Landwirthschaft abhängt, nöthig hat. Gerade Rufsland hat auf das em pfindlichste gefühlt, dafs ohne blühende Industrie die Landwirthschaft auf die Dauer nicht blühen kann. Deshalb mufs Rufsland seine Industrie mit allen Kräften schützen. Das kann ich Ihnen ja offen erklären, dafs ich in diesem Sinne 1869 und 1872 in öffent lichen Versammlungen zu Petersburg und Moskau mich dahin ausgesprochen habe, dafs ich es nach meiner Kenntnifsnahme der russischen In dustrie an Ort und Stelle gar nicht für möglich halte, dafs Rufsland auf anderm Wege eine blühende Industrie erlangen könne, als durch das Mittel der Erhöhung der Zölle. Dies hat sich später klarer und klarer gezeigt und dazu ge führt, dafs Rufsland die Zölle, die es damals hatte, erhöhen mufste — sollte nicht die ganze russische Industrie durch die ausländische Con- currenz, nicht allein vom Weltmarkt, sondern vielmehr von den eigenen heimischen und seinen asiatischen Märkten vertrieben und wie mit einem Schwamme weggewischt werden. Jedes Land, welches eine industrielle Entwicklung erreichen will, kann gar nicht anders vorgehen; das lehrt die wirthschaftliche Weltgeschichte an Hun derten von Beispielen 1 Ich möchte auch für uns wünschen, dafs zum Heil unserer nationalen Industrie unsere Schutzzölle und recht lange erhalten bleiben, wenn wir sie auch abmindern können, ent sprechend dem Fortschritt und der Kräftigung unserer Industrie. Herr Dr. Siemens: Es mag dieser etwas kurz sichtige Standpunkt der richtige sein, wenn man nur unsere sich mit Schutzzoll umgebenden Nachbarn ins Auge fafst. Aber bedenken Sie, dafs wir auch einem neuen gefährlichen Gegner gegenüberstehen, das ist Amerika mit seiner colossal heranwachsenden Industrie. Und Ame rika ist ein Weittheil; Amerika steht uns nicht gegenüber wie Frankreich, England, Rufs land , Oesterreich, alles Länder, die nur einen Theil' ihrer nothwendigen Consumtions- artikel selbst erzeugen können und auf Einfuhr des andern Theils angewiesen sind. Amerika ist ein viel gröfseres Freihandelsgebiet, als das ganze Europa es sein würde, und zwar» ein solches, welches alle Zonen vom Pol bis zum Aequator umfafst. Amerika ist der einzige Staat in der Welt, welcher sich den Luxus eines Schutzzolles gestatten kann, ohne auf die Dauer dadurch Schaden zu leiden, und es ist uns darum so ungeheuer gefährlich, weil es ein Continent ist, der von der Natur verschwenderisch mit den gröfsten Reichthümern von Naturproducten aus gerüstet ist, der jungfräulichen Boden, für alle Culturproducte geeignete Klimate und eine Indu strie hat, die sich auf natürlicher Grundlage frei entwickelt, ohne die Hindernisse, welche unsere alte Cultur und unsere europäische Zersplitterung nothwendig im Gefolge haben. Europa vertheuert sich jetzt seine Zwischen- producte durch gegenseitige Zollschranken, wäh rend Amerika uns als ein einheitliches gewaltiges Kampfgebiet gegenübersteht. Jetzt geht es noch; Amerika braucht jetzt noch mehr Arbeit, als es leisten kann, doch das nimmt schon bedenklich ab, und wenn das alte Europa nicht bald dahin kommt, sich auch als einheitliches wirthschaft- liches Kampfgebiet Amerika gegenüber zu stellen, indem es die Schutzzölle gegeneinander beseitigt, so werden wir, oder doch unsere Nachfolger, schlimme Zeiten erleben, da unsere Industrie dann gar nicht mehr gegen die amerikanische wird aufkommen können. Herr Dr. Grothe: M. H.! Ich stimme voll kommen damit überein! Wenn man einen europäischen Zollbund schaffen kann, bin ich damit sofort einverstanden; denn die Superiorität von England, die heute noch grofs erscheint,