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Juni 1883. STAHL UNI) EISEN.“ Nr. 6. 325 Kulturstaaten weil übertroffen werden. Weiteres beansprucht die Eisen- und Stahlindustrie nicht. Trotzdem noch in dem letzten Jahre ca. 350 000 t fremdes Roheisen in Deutschland eingeführt worden sind, verlangt sie keine Erhöhung der Eisenzölle, wenigstens wird nicht behauptet werden können, dafs von irgend einer Körperschaft, oder Person, die berechtigt sein könnte, als Vertreter der Eisen- und Stahlindustrie zu sprechen, ein solches Verlangen ge stellt worden ist. Wir wollen die ehrliche Probe aber auch nach allen Richtungen gehalten sehen, betrachten sie aber am meisten verletzt durch die gehässigen unaufhörlichen Angriffe der Freihandelspaitei. Die Eisen- und Stahlindustrie wird demgemäfs durch die neuesten Leistungen der Fr. Ztg., wie wir soeben dargelegt, nicht getroffen. Was nun die fortschrittlich-freihändlerischen Wah'en in den Industriebezirken anbelangt, so möchten wir zur Charakteristik derselben schliefslich uns noch gestatten, unseren Lesern einen Abschnitt aus einem »Das allgemeine Stimmrecht und die politische Bildung der Nation« betitelten, in der neuesten Nummer der »Poli tischen Wochenschrift« vom 19. d. M. erschienenen Artikel von St. zu Putliz zur Kenntnifs zu bringen. Der Verfasser will an dem allgemeinen Stimm recht festhalten und glaubt, dafs der Besorgnifs erregende Zwiespalt, der zwischen diesem Wahl modus und der zum Theil noch bestehenden Unreife und wirthschaftlichen Unbildung grofser Volksmassen besieht, nur 'dadurch zu beseitigen sei, dafs in immer weitere Volkskreise ein Ver- ständnifs für politische und wirthschaftliche Fragen gebracht werde, damit das Volk bei den Wahlen imstande sei, zu wissen, was es thue. Der Verfafser führt dann aus, dafs die Sorge für die politische Bildung des Volkes jetzt nur von den politischen Parteien getragen werde, hierbei komme jedoch nur der einseitige Partei standpunkt zur Geltung. Die Fragen werden nicht vorurtheilsfrei und objectiv erörtert, sondern nur einseitig und vom vorgefafsten Parteistand punkte aus behandelt. Hieraus entstehen tenden- tiöse Darstellungen und persönliche Angriffe. Der Verfasser fährt dann wörtlich fort: „Man lese die Parlamentsverhandlungen, die Volksreden und die gesammte Parteipresse, und man wird dieser Ansicht kaum widersprechen. Da es nun nicht darauf ankommt, die Betreffenden wirklich zu überzeugen, sondern nur im einzelnen Fall zu überreden, so ist es natürlich, dafs, wenn jemand kommt, der das Ueberreden besser versteht, der höhere Versprechungen macht, er dann die Menge für sich gewinnt. Eine wirkliche politische Ueberzeugung liegt bei den wenigsten vor, so dafs ein Uebergehen von einer Partei zu einer andern nichts Wunderbares hat. Daraus erklären sich zum Theil die oft überraschend schnellen Aenderungen der Wabl- ausfälle. Nun bildet sich, ähnlich der auf allen Gebieten zunehmenden Arbeitsth eilung, auch hier eine eigene Specialität, die der Parlamentsredner und der Volksredner (Agitatoren), aus. Die letz teren sind keineswegs immer die fähigsten, kennt- nifsreichsten, besten, vertrauenerweckendsten Per sonen, im Gegentheil. Je dreister und unver frorener sie auftreten und Dinge behaupten, die sich nicht beweisen Jassen, je rücksichtsloser sie die Regierung oder andere Parteien angreifen, je geschickter sie ihre Trugschlüsse zu verdecken wissen, desto gröfser wird ihr Erfolg sein. Ein besonderes Agitationstalent, ein Talent, grofse Massen in Leidenschaft zu versetzen und sic dann, wenn in der momentanen Erregung jedes Nachdenken aufgehört hat, blindlings mit sich fortzureifsen , soll den Betreffenden gewifs nicht abgesprochen werden. Dafs es aber nicht wünschenswerth sein kann, wenn gerade solche Personen einen ihrem Charakter, ihren Fähig keiten , ihrer Sachkenntnifs weit übersteigenden Einflufs bei den Wahlen ausüben, das liegt doch wohl auf der Hand. Auf conservativer und liberaler Seite sind es aber gerade solche Per sonen, welche bei den Wahlen die meiste Be deutung haben, und die conservativen und liberalen Mittelparteien, von deren Zusammenwirken und Stärke das Gedeihen unseres öffentlichen Lebens abhängt, laufen Gefahr, immer mehr an Bedeu tung zu verlieren, da sie ähnliche Wahlcapacitälen nicht besitzen und nicht besitzen können, weil sie nicht zu ähnlichen Mitteln greifen, nicht in der Weise die Leidenschaften durch unerfüllbare Versprechungen und gehässige Angriffe entfesseln wollen.“ Auch in den hier zuletzt geschilderten Ver hältnissen mag eine und zwar nicht die geringste der Ursachen zu erblicken sein, auf welche die Mifserfolge der schutzzöllnerischen Arbeitgeber, den freihändlerischen Agitatoren gegenüber, zu rückzuführen sind. II. A. Bueck.