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ZUR EINFÜHRUNG Johannes Schanze ist ein sächsischer Komponist. Er lebt und wirkt in Zwickau. Das Sinfonische Vorspiel op. 38 ist ein frühes Werk von ihm. Schanze arbeitet mit den Mitteln der Spätromantik, mit Ganztonleitern, alterierten Akkorden und einer farbigen Chromatik. Das Thema zu Beginn des Vorspiels, das von den Geigen vor getragen wird, ertönt im Verlaufe des Stückes noch mehr mals. Es ist nicht das einzige Thema, es stehen ihm noch ein markantes der Trompeten und ein lyrisches der Oboe zur Seite. Fanfarenklänge und ein sehr belebter Mittel teil steigern dieses kurze, gut instrumentierte und ein drucksvolle Vorspiel zu einem wirkungsvollen Schluß. Schanze gehört der Generation an, die den Übergang von der Spätromantik zur Neuen Musik suchten. Das Vor spiel von ihm ist ein klingender Beweis für das Ringen jener Komponisten um neue gültige Ausdrucksmittel. Man sollte sich des Komponisten Johannes Schanze häufiger annehmen. Benjamin Britten, der heute am häufigsten genannte englische Komponist, wurde 1913 geboren. Er ist ein viel seitiger, hochbegabter Komponist, der mit mehreren Opern (Peter Crimes; Der Raub der Lukretia; Albert Herring; einer Neueinrichtung der Bettleroper) in der Welt Aufsehen erregte. Nachdem England seit Henry Purcells Tod (1695) keinen bedeutenden Komponisten mehr aufweisen konnte und man schon von einem,.Lande ohne Musik“ sprach, rechnet die englische Musikwissen schaft den noch jungen Benjamin Britten jetzt schon zu den großen englischen Meistern. Britten fiel bisher auf durch eine absolute Unbekümmertheit gegenüber den verschiedenen Stilen und Richtungen der Neuen Musik. Er verarbeitete einfach alles und war in seiner Vitalität nicht wählerisch. Trotzdem sind seine Kompositionen immer von großer Geschlossenheit und Einheitlichkeit gewesen, die Kraft seines Talentes vermochte es, wider- streitende Stile zu vereinigen. Den vier Sätzen gibt Britten unmißverständliche Über schriften: Toccata, Walzer, Impromptu und Marsch. Den Charakter, den er damit angibt, sucht er möglichst genau zu treffen. So setzt in der Toccata sofort das Kla vier mit seinen hämmernden und schlagenden Passagen ein. Aber nicht nur das Klavier gibt sich brillant und virtuos, sondern auch das Orchester, dessen Behandlung Britten außerordentlich gut beherrscht. Im Walzer läßt er die Welt des alten Wien aufklingen, bezaubernd, be rauschend und verführerisch. Das Impromptu beschwört Liszt und Chopin, während der Schlußmarsch mit seinen harten, eckigen Rhythmen dem Werk einen kraftvollen Ausklang verleiht. Britten ist manchmal noch ungezügelt und jungenhaft — aber er ist hochbegabt, so daß man ihm vieles nachsieht. Alfredo Casella (1883 — 1947) ist der bekannteste italienische Komponist der Gegenwart. Er war außerdem ein hervorragender Pianist. Das Divertimento (ein Werk gehobener Unterhaltungsmusik) ..Scarlattiana“ für Klavier und Orchester komponierte er 1924 für seinen eigenen Gebrauch. Casella w'ählte den italienischen Komponisten Domenico Scarlatti (1685 —1757)1 der also ein Zeitgenosse Bachs ist, aus mehreren Gründen zum Vorbild und zur Verarbeitung. Ein Grund ist der, daß Scarlatti einer der leiblichen Urgroßväter Casellas ist; der andere ist der, daß Casella im Zuge der Zeit strömung um 1920 auf barocke Formeln und Musizier eigentümlichkeit zurückgriff, um damit ein Gegenge wicht gegen die Spätromantik zu finden, die die Neue Musik etwa zwischen 1920 — 1925 zu überwinden versuchte. Man nennt diese Richtung der Neuen Musik, diesen Versuch, vorder Romantik bei Barock und Klassik wieder anzuknüpfen, Neuklassizismus. Casella gliedert sein „Divertimento über Musik von Domenico Scarlatti“, wie der genaue Untertitel lautet, in fünf Sätze. Die „Sin fonie“ zu Beginn, die Einstimmungs- und Einleitungs musik, fängt breit und schwer an, um mit einem kecken, übermütigen Thema mitten in den heiteren, unterhalt samen, den Kenner entzückenden, den Laien befrie digenden Ablauf dieses Satzes hineinzuführen. Holz- und Blechbläser beteiligen sich in der Hauptsache an der witzigen Lhiterhaltung mit dem Klavier. Noch zwei andere Themen, ebenso unbeschwert und heiter, tauchen in dem Satz auf, ohne ihn in seiner Grundhaltung zu ändern. Das Menuett will die graziöse Stimmung höfischer Tanzweisen beschwören. Das Capriccio ist wiederum ein so übermütiges, gutgelauntes Stück, in welchem das kleine Orchester seinen Glanz aufblitzen läßt. „Pa storale“ heißt der vierte Satz. Er ist ursprünglich ein italienischer Hirtentanz im ruhigen, punktierten Sechs achteltakt. Warme Begleitakkorde hüllen die wiegende Melodie ein. Den Schlußsatz, das Finale, leitet Casell« wiederum durch eine breite, schwere Einleitung ein, um dann in eine tolle, ausgelassene Tarantella zu münden. In ihr entfaltet er alle Virtuosität für Solist und Or chester und gibt mit diesem zündenden Satz dem ganzen Divertimento „Scarlattiana“ einen wirkungsvollen Abschluß. Seit der Uraufführung 1927 in New York unter Klemperer gehört das Werk zu den meistgespielten neueren Klavierkonzerten. Als Antonin Dvoräk seine Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ (Nr. V, e-Moll, op. 95) schrieb, ahnte er nicht, daß ihm mit diesem Werk ein wahrhaft volkstümlicher Wurf gelingen sollte. Als Huldigung an Amerika gedacht, das ihm für einige Jahre zur Heimat werden sollte, nimmt er melodische Elemente aus dem Indianischen auf, ver arbeitet er rhythmische Impulse aus Negro-Spirituals und versucht, ein Abbild des amerikanischen Optimismus dieser Jahre vor der Jahrhundertwende zu geben. Dies gelingt ihm ausgezeichnet. Aber es ist noch mehr in dieser Sinfonie enthalten. Niemals in diesen Jahren, da er Direktor eines amerikanischen Konservatoriums war, hat er seine tschechische Heimat vergessen, niemals hat er sein Heimweh ganz besänftigen können. Und gerade in dieses Werk ist seine Sehnsucht hineingeflossen. Vielleicht liegt es in diesen beiden Eigenschaften, in der Darstellung der Kraftfülle eines jungen Kontinents und im Ausdruck wehmütigem Heimwehs nach der alten Heimat, das Geheimnis der großen Wirkung dieser Sinfonie begründet. Der Bereich des menschlichen Ge haltes dieses Werkes ist. dadurch so groß und umfang reich geworden. Aber das ist noch nicht alles. Die Alte und die Neue Welt konnte an diesem Werke außerdem noch eine unerhört formale Könnerschaft Dvofäks be wundern. Man vermutet gerade bei ihm, dem Vollblu^ musikanten, daß ihm formale Belange nicht so wicht« waren. Und doch ist alles da: die zwei Themen des ersten Satzes und ihre Durchführung, die dreiteilige Liedform des zweiten Satzes mit der wundersamen Melodie des Englischhorns, das kapriziöse Scherzo und das gewichtige Finale, das in der Form des Rondos mit sehr melodischen Zwischenspielen niedergeschrieben ist. Aber auch das ist noch nicht alles. Gekrönt wird dieses Werk, das so glücklich Inhalt und Form in einem Aus gleich bringt, von der Tatsache, daß alles klingt. Es klingt alles so schön, so hinreißend, so sinnlich, daß man diese Seite der Könnerschaft Dvofäks nicht mehr über hören kann, ja, daß man sie als vorbildlich und nach ahmenswert hinstellen muß. Die Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ mußte ein Wurf sein, weil sie ein vollkommenes Meisterwerk geworden ist. Und das empfand beglückt die Neue und die Alte Welt und dankte es Dvofäk dadurch, daß sie dieses Werk zu ihrem Liebling erklärte. Und das ehrt beide: Publikum wie Komponist. Johannes Paul Thilman