Volltext Seite (XML)
Die Sommer 1884 und 1885 verbrachte Johannes Brahms im steiermärkischen Mürz zuschlag. Im ersten entstanden Allegro und Andante, im zweiten Scherzo und Finale einer neuen, der vierten Sinfonie. Sie bildet zusammen mit der achten Sinfonie Anton Bruckners einen letzten Höhepunkt der deutschen Sinfonie. Der erste Satz ist auf dreifachem Themenmaterial aufgebaut. Einem Thema der Sehn sucht, einem Thema des mannhaften Sichaufreckens, einem Thema der gesteigerten Sehn sucht. Die Schlußsteigerung des Satzes in der Koda, die auf das dritte Thema verzichtet, rückt die Tondichtung ins Überpersönliche. Nicht die Sehnsucht des einzelnen, das Schicksal des Menschen überhaupt ist der Gegenstand des Werkes, mit dem Brahms sein instrumen tales „Schicksalslied“ geschrieben hat. Selbst das Andante gibt sich nur im Seitenthema, das die Celli wehmütig vor sich hinsingen, träumerischem Besinnen hin, im ganzenist auch dieser Satz, dem eine Kirchentonart zugrunde liegt, auf einen unpersönlich-schicksalhaften Ton ge stellt. Der dritte Satz erinnert in seinem grimmigen Humor halb an das Beethovensche, halb an das Brucknersche Scherzo. Aber es ist doch ein echter Brahms, nicht nur da, wo sich in das lustige Treiben ein doppelter Kontrapunkt einschleicht. Der Herzog von Meiningen er klärte dieses eigentümliche Scherzo auf eigentümliche Weise. In seiner Villa am Lago Maggiore, wo Brahms im Mai 1884 zu Besuch war, hing Thorwaldsens Relief „Der Alexander zug“. Der habe Brahms die Anregung zu dem dritten Satz seiner vierten Sinfonie gegeben. Die Gefangenen, die Frauen und — auf dem Höhepunkt — Alexander hoch zu Roß, alles das finde seinen Niederschlag in der Musik. Brahms als Programmusiker — das ist gewiß selt sam. Aber spricht nicht auch Kretzschmar von „Ritterbildern“, die ihm in der vierten Sin fonie entgegentreten, vergleicht er Brahms nicht mit Freytag und Scheffel, den Erweckern vergangener Jahrhunderte? Die Krönung des Werkes aber und damit die des Brahmsschen Sinfonieschaffens ist das Finale. Die Unerbittlichkeit des Schicksals findet ihre symbolhafte Darstellung in der Form des Satzes. Es ist die strengste Form, die es gibt, die der Chaconne, die der Passacaglia. Das ganze Stück ist gefesselt durch die Töne eines Themas, das immer wieder und so gut wie unverändert wiederkehrt. Dazu werden Variationen erfunden, besser gesagt (denn in der Variation wird das Thema ja verändert): das Thema wird immer aufs neue ausgeschmückt. Das persönliche Schicksal wechselt. Der Zwang des Schicksals bleibt. Das Thema wird zuerst in steinerner Monumentalität von den Bläsern aufgerichtet. Dann dreißig Variationen. Triumph kontrapunktischer Kunst. Blühende Phantasie, gezügelt von höchster Geistigkeit. Weingartner warnt mit Recht davor, nur das „Kunststück“ zu sehen. , Das eigentlich Wunderbare sei der ungeheure seelische Gehalt des Stückes. Mit den „Vier Stücken“ vonGirolamoFrescobaldi,die Giorgio FedericoGhedini für modern-- stes Orchester mit Englisch Horn, Baßklarinette und Tuba bearbeitet hat, kommt der vor ge rade 300 Jahren (am 1. März 1643) in Rom gestorbene Meister der frühbarocken Orgel- und Klaviermusik zu Wort. Er bildete die Form der Toccata Weiter, die er aus einem früher ganz freizügigen Phantasiestück durch Motivvariation in strengere Form goß. Nr. 1 und 3 sind solche Toccaten, von denen die letztere, nur dem Streichquintett anvertraute,ein gutes Beispiel für die von Frescobaldi bevorzugte, damals „neue“ Chromatik ist. Nr. 2 und 4 sind Kanzonen, mit denen Frescobaldi zum Begründer der zyklischen Instrumentalform wurde. So besteht die erste aus Adagio, Vivace, Adagio, Allegro, Adagio und Allegro giusto, die zweite aus Allegro molto moderato, Gravemente, Allegro con fantasia, Allegro molto moderato, Vivamente con fantasia, Allegro molto moderato, das sich am Schluß zu großer Steigerung verbreitert. Das Werk ist Vittorio Gui gewidmet. Dieser selbst hat ein anderes Werk für Orchester be arbeitet, „Präludium, Aria und Finale“ von Cäsar Franck. Es handelt sich um ein großes, sonatenartiges Klavierwerk des in letzter Zeit eindeutig als Deutscher erkannten Kompo nisten. Schon der Titel des ersten Satzes deutet darauf hin, daß Klang und Technik des Werkes, wie oft bei Franck, etwas Orgelhaftes haben. So stehen sich zum Beispiel erstes und zweites Thema wie auf zwei Manualen gespielt einander gegenüber, was natürlich in der Orchesterbearbeitung besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Ein Stück reinster Poesie ist die „Aria“, deren Schimmer durch die Instrumentation noch bezaubernder wird. Nach diesem „langsamen Satz“ tritt der Sonatencharakter des Finales deutlich in Erscheinung. Haupt- und Seitenthema heben sich deutlich voneinander ab, die Stelle der Durchführung nimmt ein Zitat der Aria ein. Da in der Koda auch eine Präludium-Reminiszenz erscheint (Thema verbreitert)'und die Aria das Material für den leise verklingenden Schluß liefert, wird das Werk thematisch eng in sich zusammengeschlossen. Die Ouvertüre zum „Barbier von Sevilla“ ist der heiter-beschwingte Auftakt zu einer der heitersten und unter den heiteren einer der vollkommensten Opern, die wir besitzen. Das M isterwerk Rossinis, der das ganze Werk in dreizehn Tagen schrieb. Die Premiere war einer der tollsten Durchfälle, die das Theater je erlebt hat. Dr. Carl Laux