Volltext Seite (XML)
Januar 1883. «STAHL UND EISEN.“ Nr. 1. 3 Herr Brauns: Die aufserordentlich häufigen Widersprüche, denen man begegnet, wenn man die Resultate der Zerreifsversuche mit Material aus Eisen und Stahl vergleicht mit den Erfahrungen, welche in der Praxis mit auf 'solche Weise probirtem Material gemacht sind, haben Veranlassung zu schon oft wiederholten Discussionen über diese Frage gegeben. Mit grofser Beharrlichkeit hält ein Theil der Eisenbahntechniker an den Lehren von der Un fehlbarkeit der Zerreifsproben fest, obwohl ein wirklich durchschlagender Beweis, dafs die Zerreifs- proben ein zuverlässiges Urtheil über die Qualification des Materials geben, besonders wenn Schlag- und Stofswirkungen in Frage kommen, bis jetzt von keiner Seite erbracht worden ist. Anstatt durch eine lange Reihe von Beobachtungen die Beziehungen erst zu ermitteln und festzustellen, welche zwischen den Zerreifsproben einerseits und der Haltbarkeit des Materials bei Beanspruchungen, wie sie im Eisenbahnbetrieb vorkommen, andererseits existiren und danach, so weit diese Beziehungen nachgewiesen waren, die Zerreifsproben als Werthmesser einzuführen, hat man den umgekehrten Weg eingeschlagen. Man hat zunächst die Zerreifsproben als einzig mafs- gebend für die Beurtheilung der Qualität des Materials hingestellt und sucht nun nach Beweis- material für die Behauptung, dafs Beziehungen zwischen diesen und den Resultaten, welche man bei Gebrauch des Materials im Betrieb erzielt hat, bestehen. Del - Beschlufs, die Zerreifsproben als einzig mafsgebend in den Lieferungsbedingungen aufzu nehmen, wurde schon am 28. und 29. Juli 1879 in Salzburg von der technischen Commission des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen gefafst und an demselben Tage erging auch an alle Eisen bahnverwaltungen die Aufforderung, alle auffallenden Erscheinungen an Schienen, Achsen und Ban dagen an eine für die weitere Behandlung der Sache eingesetzte Commission zu berichten und durch Anstellung von Zerreifsproben die Beziehungen zwischen diesen und den beobachteten Erschei nungen zu ermitteln beziehungsweise festzustellen. Ich habe es mir angelegen sein lassen, Alles, was über diesen Gegenstand in die Oeffentlich- keit gekommen ist, fleifsig zu sammeln und habe aufserdem, wo sich die Gelegenheit bot, bei Fach genossen wie bei befreundeten Eisenbahntechnikern Erkundigungen eingezogen, wo ich von in dieser Richtung angestellten Versuchen und Studien gehört habe. Aus dem immerhin schon umfangreichen Material, was ich auf diese Weise gesammelt habe, ist es mir aber bis jetzt nicht gelungen, eine Uebereinstimmung zwischen den Zerreifsproben und den Resultaten beim Gebrauch im Betriebe nachzuweisen; im Gegentheil übersteigt die Zahl der Wider sprüche ganz entschieden die Anzahl der Fälle, in welchen eine Uebereinstimmung zu constatiren ist. Die Erklärung hierfür ist, meiner Ansicht nach, nicht sehr weit zu suchen. In Fällen, wo in erster Reihe die Beanspruchung des Materials durch ruhige Belastung in Frage kommt, sind die Zerreifsproben am Platze, obwohl der Vorwurf, dafs verhältnifsmäfsig nur geringe Querschnitte durch diese Art der Qualitätsuntersuchung probirt werden können, immerhin ein schwerwiegender bleibt. Die Zerreifsprobe ahmt diese Art der Beanspruchung entschieden am besten nach; der Con- structeur erhält dadurch den Nachweis, mit welchem Gewichte er äufserst seine Constructionstheile belasten darf; er hat aber aufserdem Werth darauf zu legen, dafs er für seine Brücken, Dächer etc. ein Material auswählt, welches bei der äufsersten Belastung nicht sofort bricht, wie es z. B. sehr harter Stahl von grofser Tragfähigkeit thut, und mufs deshalb aufser der absoluten Festigkeit einen Zähigkeitsmesser haben. Ob hierfür Contraction oder Dehnung vorzuziehen ist, ist eine Streitfrage. Unzweifelhaft dürften, meiner Ansicht nach, die Proben, durch welche die Dehnbarkeit des Materials vor dem Bruch constatirt wird, für diese Art der Beanspruchung in der Praxis werthvoller sein als die Contraction, auf deren Werth als Qualitätsmesser ich an anderer Stelle noch zurückkomme. Wenn also die Zerreifsproben für die Beurtheilung der Widerstandsfähigkeit eines Materials gegen ruhige Belastung unzweifelhaft Werth haben, so kommt doch bei Schienen, Achsen und Bandagen die ruhige Belastung erst in zweiter Reihe in Frage und hat man hier in erster Reihe den weit gefährlicheren Stofs- und Schlagwirkungen Rechnung zu tragen. Dafs derartige Wirkungen durch die Zerreifsproben nicht nachgeahmt werden, liegt auf der Hand, und der Umstand, dafs eine Uebereinstimmung der Resultate an der Zerreifsmaschine mit denen im Eisenbahnbetrieb beim besten Willen nicht zu ermitteln ist, findet, meiner Ansicht nach, hierdurch seihe genügende Er- klärun. Es hat speciell in unserm Verein nicht an Bemühungen gefehlt, in den mafsgebenden Kreisen auf diese Punkte aufmerksam zu machen. Wir haben uns bemüht, durch Sammlung eines umfangreichen Beweismaterials den Nachweis zu führen, dafs die Zerreifsproben ein sicheres Kriterium für die Beurtheilung des für Eisenbahn betriebszwecke zu verwendenden Materials nicht liefern. Es scheint aber die durchaus irrige Ansicht sehr festen Fufs gefafst zu haben, dafs unsere Agitation gegen die Zerreifsproben ausschliefslich ins Leben gerufen ist, um uns, die Lieferungs bedingungen für Eisen und Stahlfabricate leichter zu machen, während wir doch stets auf das Un-