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Januar 1882. „STAHL UND ESEN." Nr. 1. 9 wird, und wir können daher hoffen, dafs auf diese Weise ein Unternehmen zu Stande kommen wird, welches unseren Interessen nach jeder Richtung förderlich ist. Lassen Sie mich nun noch einen Punkt berühren. In dem Organisationsplan kommen die Wörter Mathematik, Physik u. s. w. vor. Da bin ich denn gefragt worden: Es soll doch um Gottes willen keine Gelehrtenschule daraus werden? Wir sind der Meinung, und Herr Bergrath Schultz hat das ja auch vorgetragen, dafs wir absolut keine Gelehrtenschule haben wollen. Unter Physik, Mathematik, Zeichnen verstehen wir hier, dafs nur die elementarsten Ansprüche an den Unterricht erhoben werden sollen; wir mufsten aber diese Ausdrücke wählen, um nur die Sache deutlich zu bezeichnen. Es soll, um es kurz mit einem Worte zu sagen, eine Art Unteroffizierschule für die Eisenindustrie gegründet werden. Durch diesen Ausdruck werden wohl die Ziele der Schule am besten klar gelegt sein. Ich nehme Ihr Einverständnifs als allseitig vorhanden an, wenn ich dem Referenten Herrn Bergrath Dr. Schultz und dem Correferenten Herrn Oberbürgermeister Bollmann den Dank der Versammlung für ihre Referate hiermit ausspreche. [Lebhafte Zustimmung.] Wir gelangen nun zu Punkt 3 der Tagesordnung, zu dem Vortrage des Herrn Brauns über den Thomasprocefs und seine wirthschaftliche Bedeutung für Deutschland. Herr Brauns hat das Wort. Herr Bruuns: Meine Herren! Von unserm Vereinsvorstande bin ich aufgefordert worden, in unserer heutigen Versammlung einige Betrachtungen anzustellen über den wirthschaftlichen Werth des Thomasschen Entphosphorungsverfahrens speciell für Deutschland. Sie werden zugeben, dafs die Aufgabe, sich über diese Frage ein einigermafsen sachgemäfses Urtheil zu bilden, keine leichte ist, und wenn ich mich der Arbeit unterzogen habe, das für die Beurtheilung der Frage erforderliche Material zu sammeln und daraus Schlüsse von allgemeinem Interesse zu ziehen, so habe ich dabei in erster Reihe bezwecken wollen, dafs meine Arbeit die Anregung zu weiteren Untersuchungen auf diesem Gebiet geben möge. Sie dürfen also von diesem ersten Versuch nicht erwarten, dafs er die Frage endgültig klar stellt; er soll vielmehr nur anstreben, dafs sich auch andere Sachverständige der Angelegenheit an nehmen und das Interesse für dieselbe in weiteren Kreisen verbreiten. Für die Beurtheilung des Werthes, den das Thomassche Verfahren für unser Vaterland hat, glaube ich 2 Fragen in erster Reihe in Betracht ziehen zu sollen: 1. Ist es möglich, nach dem Thomasschen Verfahren ein Material herzustellen, welches im Stande ist, den nach der alten Bessemerschen Methode hergestellten Stahl vollkommen zu ersetzen, und 2. besitzt Deutschland einen solchen Reichthum an für die Entphosphorung geeigneten Eisenerzen, dafs durch diesen Besitz für die heimische Stahlfabrication eine sicherere Grundlage ge schaffen wird, als wir sie bisher gehabt haben, und wird also unser Vaterland durch den Thomasprocefs in dieser Beziehung unabhängiger vom Auslande, als es bis jetzt war? Die erste Frage anlangend, so haben wir schon bei früheren Gelegenheiten, speciell auch in der vorigjährigen Ausstellung in Düsseldorf, Gelegenheit gehabt, eine grofse Reihe von Proben zu sehen, welche den Nachweis lieferten, dafs das Thomasmaterial für eine ganze Reihe von Ver brauchszwecken in hervorragender Weise geeignet ist. Wenn damals durch diese Proben allerdings schon nachgewiesen ist, dafs sich mittelst des Thomasprocesses ein Material herstellen läfst, welches allen Anforderungen, die man an einen guten Stahl stellen kann, genügt, so ist seitdem der Thomasstahl, vor allem von den beiden Werken, welche das Patent zuerst für Deutschland erworben haben, von Hörde und den Rheinischen Stahl werken, in sehr umfangreicher Weise für alle Zwecke der Stahlindustrie verwandt worden und hat sieh dabei aufs beste bewährt. Der Hörder Verein hat seit Einführung des Thomasprocesses, also seit stark 2 Jahren, 27 000 Tonnen Stahl nach dem neuen Verfahren producirt, und ist die ganze Production für Zwecke des Eisenbahnbedarfs, hauptsächlich zu Schienen, Verwandt worden. Die Rheinischen Stahlwerke producirten in etwa demselben Zeitraum 50 000 Tonnen, welche ebenfalls für Eisenbahnzwecke, Draht, Bleche etc. verwandt worden sind, und wird mir von beiden Seiten versichert, dafs durch die bis jetzt angestellten Ermittelungen über die Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit des Materials erwiesen ist, dafs der Thomasstahl vollständig ebenbürtig dem Bessemer stahl an die Seite gestellt werden kann. Ich reproducire ausdrücklich das Uriheil dieser beiden Werke in erster Reihe, da, wie bekannt, von denselben der Thomasstahl in Deutschland zuerst fabricirt ist und die Erfahrungen, welche man an diesen Stellen gemacht hat, deshalb die vielseitigsten sein müssen. Auch von England liegen schon Berichte vor über Beobachtungen, welche man an Schienen