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52 Nr. 2. „STAHL UND EISEN.“ Februar 1882. gehaltenen Vortrag auf das ernstlichste auf der Nothwendigkeit der Vereinigung der sprachlich gelehrten und der naturwissenschaftlichen Er ziehung, indem er dabei vorschlug, dafs wenigstens 10 Stunden in der Woche der letzteren zu wid men seien. Eine Erziehungsanstalt nach der artigem System ist seit der Zeit in Eton einge richtet worden; alle Zöglinge besuchen dort den naturwissenschaftlichen Unterricht, und sie sollen von demselben sehr eingenommen sein, während in anderen Lateinschulen nur eine sogenannte »moderne Abtheilung« eingerichtet worden ist, wo in der Naturwissenschaft diejenigen unter richtet werden, welche eine praktische Laufbahn zu betreten beabsichtigen, hingegen die anderen Schüler wie früher unwissend in der Naturlehre bleiben. Ich ziehe die Unterrichtsmethode in Eton der andern vor, denn ich kann keine Erziehung als vollendet ansehen, welche nicht mit der sprachlichen die naturwissenschaftliche Ausbildung vereinigt: die eine giebt dem Zögling den Schliff und die andere den Kern und die praktische Be fähigung. Von anderer Seite wird vielleicht ein geworfen, dafs die zum Studium statthafte Zeit zu kurz ist, um die doppelte Ausbildung zu er möglichen. Diesen Einwurf halte ich nicht für stichhaltig, ich bin vielmehr der Ansicht, dafs die eine Ausbildung die andere unterstützt, in derselben Weise, wie im späteren Leben Geist und Körper einer Erholung bedarf, um die täglich wie derkehrende Plackerei auszuhalten. Der Nutzen des naturwissenschaftlichen Unterrichts hängt natürlich in bedeutendem Mafse von dem Lehrer und der Lehrmethode ab. Wie derselbe bisher ertheilt, d. h. aus dem Gedächtnisse vorgetragen worden ist, entspringt aus demselben verhältnifsmäfsig wenig Nutzen für das spätere Leben; um nutz bringend zu wirken, mufs die Unterrichtsmethode mit den nöthigen Experimenten verknüpft sein, um auf das Gemüth einen lebendigen Eindruck von der bewundernswerthen Einfachheit der Na- turgesetze hervorzu bringen; die Lehre eines jeden derselben sollte von einer Darstellung vor den Augen des Schülers begleitet sein, womöglich so gar unter thätiger Mitwirkung desselben. Zu diesem Zwecke sollte keine Schule ohne ihr chemisches, physikalisches und mechanisches Laboratorium sein, wo der Schüler sich selbst überlassen, die Wahrheit einer chemischen Reaction, die Richtigkeit eines physikalischen Gesetzes und die eigenthümliche Beschaffenheit irgend eines Constructionsmaterials prüfen kann. Auch wür den diese Laboratorien sicherlich keine grofse Ausgabe für Apparate erfordern, da der instruc- tivste Apparat der ist, welcher in der denkbar einfachsten Weise aus Scheiben, Seilen und Glas röhren hergestellt ist, womöglich unter Zuhülfe- nähme der constructiven Thätigkeit des Schülers selbst. Erst nachdem der Schüler das Grund wesen der Naturgesetze durchdrungen, ist es für ihn wünschenswerth, andere Instrumente wie Teleskope, Polariskope, Elektrometer und empfind liche Mefsapparate, womit so zahlreiche Resultate erzielt worden sind, zu durcharbeiten und eigene Nachforschungen zu beginnen. Aus diesem Grunde sind vollständig ausgerüstete Laboratorien von gröfster Wichtigkeit auf Hochschulen, wo an die Stelle der blofsen Lehre der Naturgesetze die exacteWissenschaft und unabhängige Nachforschung tritt. In einigen technischen Schulen sind me chanische Werkstätten eingerichtet, in denen die Schüler an der Drehbank, am Schraubstock und der Hobelmaschine arbeiten sollen, und sie die Erlaubnifs haben, kleine Dampfmaschinen und dergleichen zu bauen. Ich bezweifle sehr, ob die dort entstandenen Spielzeuge von Maschi nen je derartig gewesen sind, dafs sie einen Ma- schinen-Ingenieur der Praxis befriedigt hätten, und ich glaube, dafs sowohl das Geld der Schule wie auch die Zeit des Schülers besser angewandt würde, wenn der letztere dazu angehalten wäre, Versuche an der Festigkeits-Prüfmaschine anzu stellen, um eine vollkommene Einsicht in die mechanische Natur der Materialien, ihre absolute Festigkeit, die Elasticitätsgrenze und die Einflüsse zu erhalten, welche durch Ausglühen, Härten und Schweifsen bewirkt werden. Wenn wir von einer Ausbildung mittleren Grades sprechen, so dürfen wir nicht vergessen, dafs mit dem sechzehnten Lebensjahre der Eintritt in die Praxis erwartet wird, und unter diesen Umständen ist es noth wendig, die Zahl der Unterrichtsgegenstände der artig zu beschränken, dafs in jedem Fach ein Resultat bis zu einem gewissen Grad erzielt wird. Von diesem Gesichtspunkte aus entstand in Deutsch land der Unterschied zwischen Gymnasium und Realschule, ein Unterschied, der, obgleich er auch in England einige Ausdehnung durch die Einrichtung der sog. modernen Abtheilung er langt hat, abgeschafft werden sollte. Von der andern Seite wird hier eingeworfen , dafs in der bewilligten Zeil ein jedes Fach gehörig zu lernen nicht möglich sei, und an das alte Sprichwort erinnert: »Ein bifschen Wissen ist ein ge fährlich Ding«. Ich glaube nicht an das Sprichwort, ich halte es für irrthümlich und falsch in seiner Anwendung hier. In der Physik kann ein wenig Kenntnifs derselben einem Hand werker von gröfster Wichtigkeit sein, welcher aufgefordert ist, eine Maschine in Bewegung zu setzen, die durch irgend eine zufällige Ursache, wie Ansammlung von Luft unter einem Ventil oder ungleiche Ausdehnung infolge einer örtlichen Erhitzung, zum Stillstand gezwungen war. Die Kenntnifs einiger wenigen Grundgesetze der Physik würden ihn befähigen, ohne Mühe die Entstehungs ursache zu entdecken, deren richtige Erkenntnifs auch die sofortige Beseitigung im Gefolge hat. Im ganzen stimme ich mit der kraftvollen Sentenz des gelehrten Lord Brougham über-