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Einstweilen beruhen die Hoffnungen und das Vertrauen in die Zukunft der deutschen Industrie lediglich auf einer starken, zielbewufsten Regie rung; wer sich auf die zufälligen, schwankenden Mehrheiten einer aus allgemeinen, directen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung verläfst, baut auf Sand. Dr. C. W. Siemens über technische Ausbildung'. Im Anschliffs an unsere in früheren Heften gebrachten Aufsätze über die Ausbildung künftiger Maschinen- und Hüttentechniker sind wir heute in der Lage, unsere Leser mit dem Auszug einer Rede bekannt zu machen, welche unser sowohl als glücklicher Erfinder wie als hervorragender Fa bricant berühmter Landsmann Dr. C. W. Siemens in London jüngst auf einer Versammlung des Midland Institute gehalten hat. Wir geben seinen Vortrag um so lieber wieder, als eine Ueberein stimmung desselben in den wichtigsten Punkten mit den früher an dieser Stelle niedergelegten Ansichten zu verzeichnen ist. Er sagte u. a. folgendes: „Ich fürchte, dafs ich Gefahr laufe, einige der eifrigsten Fürsprecher der technischen Ausbildung zu enttäuschen, welche mich, einen Ausländer von Geburt, als eine zuverlässige Stütze, wenn nicht als die Verkörperung selbst, jener besonderen Art der Ausbildung ansehen, die die Polytechniken Deutschlands und anderer Continental-Staaten den angehenden Ingenieuren und Fabricanten verleiht, die aber nach meiner Meinung viel zu wünschen übrig läfst und sicherlich auf die Verhältnisse Englands nicht anwendbar ist. Die noch eifrige ren Fürsprecher der continentalen Ausbildungs- Methode gehen so weit, anzunehmen, dafs die mühsame Methode der praktischen Lehrzeit gänz lich durch die Vorträge in den Hörsälen ver drängt werden könne, und sie behaupten hier durch nicht nur viel Zeit zu sparen, sondern auch eine bessere Ausbildung herbeizuführen. Nach den Erfahrungen, welche ich an nach dieser Lehrmethode ausgebildeten jungen Leuten ge macht habe, mufs ich gestehen, dafs ich nicht son derlich erbaut bin von den Resultaten derselben. Dem praktischen, auf jenen Schulen erlangten Wissen fehlte das, was das geschäftliche Ele ment genannt werden kann; d. i. die nöthige Rück sichtnahme auf die Kosten der Herstellung, über welche der Lehrer gleicherweise im unklaren sein mufs, da man ihn sonst statt im Lehrsaal in einem Fabrikbetriebe oder einem Ingenieur- Bureau thätig finden müfste. Der junge poly technische Student verstand zu theoretisiren, ein umfangreiches Examen mit Auszeichnung zu bestehen und war hinreichend befähigt, einen guten Verwaltungsbeamten abzugeben, aber höchst unfähig, den Grundgesetzen der Natur eine neue Seite abzulauschen, wie dies nöthig ist, | um eine Vervollkommnung zu erzielen, wodurch allein es einem Watt, Crompton, Bessemer mög lich war, die Welt mit Fortschritten zu be schenken. Noch vor nicht langer Zeit herrschte in England allgemein die Ansicht vor, dafs ein nutzbringendes Wissen nur in der Werkstätte erlangt werden könne, so dafs ein Knabe, der die Elementarschule durchgemacht hatte, sich einem Fabricanten oder Handwerker auf die Dauer von 7 Jahren verpflichtete, während welcher Zeit er sich Fertigkeit in der Handarbeit aneignete oder mit der mechanischen Wiederholung ein und der selben Thätigkeit beschäftigte, wodurch es von selbst kam, dafs er jegliches Denken aufgab und das wurde, was man unter der Bezeichnung eines praktischen Mannes versteht, eines Mannes mit solchen Begriffen, welche Theorie und Wissen schaft erhaben verachten. Die Herrschaft die ses ausschliefslich praktischen Mannes neigte sich glücklicherweise ihrem Ende zu, und es ist viel geschehen, um sein Begräbnifs zu be schleunigen, besonders durch Frederik Bram well, indem er sich selbst zum obersten Gönner jener ausgezeichneten Schule, des London City Guild Institute, aufwarf, welche ohne Zweifel von sehr bedeutendem Einflufs auf die Entwicklung der Ausbildung in England sein mufste. Nachdem ich derart in etwas herabsetzender Weise, wie ich fürchte, sowohl über das alte englische wie auch über das neuere continentale Ausbildungswe sen gesprochen habe, wird man mich zweifelsohne fragen, welches nach meiner Meinung das Programm ist, nach welchem die Ingenieure, Fabricanten und Handwerker der Zukunft für ihre beziehungs weise Laufbahn erzogen werden sollen. In der Beantwortung einer solchen Frage liegt viel Schwierigkeit, so dafs eine allgemeine passende Lösung kaum gefunden werden dürfte, indessen giebt es einige allgemeine Gesichtspunkte, welche niemals aus den Augen verloren werden dürfen. Eine sittliche Erziehung als Grundlage vorausgesetzt, mufs das Hauptbestreben der Lehrer des jungen Mannes auf Kräftigung des Gedächtnisses gerichtet sein, in zweiter Linie auf Steigerung der Denkkraft. Das erstere wird genügend durch die Elementar schule erreicht, sowie durch Unterricht in der Geographie, Geschichte und alten wie auch neuen Sprachen, das letztere durch Mathematik, Logik und Naturwissenschaften. John Lubbock bestand schon in einem vor mehreren Jahren