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Jetzt ist das fast ausschliefsliche Material das Flufseisen, bei dem man mit ziemlicher Sicherheit voraussetzen darf, dafs die einzel nen Stücke, wenigstens von derselben Charge, gleiche Eigenschaften besitzen. Vor dreifsig Jahren gab es fast unzählige Profile von Schienen, Radreifen etc. und eben soviel Vorschriften für die Eigenschaften des Materials, heute hat man sich im wesent lichen über eine geringe Zahl von Profilen geeinigt und Dank des Ueberganges der Eisen bahnen in wenige Hände, namentlich in die des Staates, sind die Anforderungen mehr und mehr auf gleiches Mafs gestellt. Mit der ungeheuren Entwicklung des deut schen Eisenhüttenwesens von Beginn der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderis ab schwan gen sich die Eisenhütten allmählich zu einer den Eisenbahnen fast ebenbürtigen Macht im Staate auf, ja zwanzig Jahre später, in den Jahren des übermäfsigen Bedarfs waren sie es, welche den letzteren die Bedingungen dictirten. Das war ein irriges Verhältnifs, denn der Consument ist es stets, der berech tigt, ja verpflichtet ist, die für seinen Gebrauch erforderlichen Eigenschaften vorzuschreiben. Der Rückschlag erfolgte naturgemäfs, und die Eisenhütten mufsten sich wieder begnügen, statt befehlend, bittend aufzutreten. Da war es ein nicht hoch genug zu schätzendes Ver dienst des Eisenbahndirectors Wöhler, Vor schriften zu entwerfen, welche die Eisenbahnen wie die Hütten auf eine richtige gegenseitige Stellung führten, eine Stellung, die darauf beruht, dafs erstere die Qualität des Mate rials vorschreiben, letztere in der Wahl ihrer Fabricationsmethode unbeschränkt bleiben. * Die sehr schlechten Zeiten, welche seit 1873 die Eisenindustrie durchzumachen hatte, hoben jeden Widerstand auf und zwangen die Eisenhüttenbesitzer, auf alle noch so harten Bedingungen einzugehen. Sie thaten dies nicht ohne Protest. Aber der Protest schlug nicht immer zu ihrem Vortheil aus. Nicht wenig trug zu der Hülflosigkeit, in welcher sich die. Eisenhütten gegenüber den Bahnen befanden, die Lage der Gesetzgebung bei. Das einst sehnlichst herbeigewünschte, mit Freuden von den Eisenleuten begrüfste Gesetz vom 10. Juni 1861, durch welches die Trennung der Hüttenwerke von der Aufsicht der Berg behörde ausgesprochen wurde, zeigte jetzt seine Kehrseite. Da war keine sachverständige Behörde mehr, welche die Hüttenwerke bei ihren Bestrebungen schützen konnte oder unter- * In der Vorschrift der Fabricationsmethode, welche früher die Hauptgrundlage der Bedingungen bildete, lag der gröfste Fehler. Diese Vorschriften waren oft einer geeigneten Qualität des Productes zuwider, oft ganz unerfüllbar, so dafs den Eisen hütten thatsächlich zuweilen nichts als Täuschung übrig blieb, wenn sie auf die Lieferung nicht überhaupt verzichten wollten. stützen wollte. Jetzt indessen ist die Noth der schweren und langen Krisis als über wunden anzusehen, jetzt steht Production und Consumtion in vollem Gleichgewicht. Jetzt ist es Zeit, einen dauernden Compromifs zu schliefsen, der ebenso geeignet ist, die Er zeugung einer guten und preiswürdigen Waare zu fördern, als Ansprüche herabzumindern und zu verdrängen, welche zu erfüllen nur höhere Productionskosten erfordert, ohne dem Gonsumenten entsprechenden Nutzen zu brin gen, einen Compromifs, der ebenso die Ent wicklung der eisenhüttenmännischen Prozesse fördert, als die Sicherheit der Bahnen be günstigt. Deshalb habe ich geglaubt, mit Genehmigung meines hohen Chefs, des Herrn Ministers der öffentlichen Arbeiten, den gegen wärtigen Augenblick zu dem Versuche eines Ueberblicks über den gegenwärtigen Stand der Lieferungsbedingungen für Eisenbahnmaterial wählen zu sollen. Während neben Fabricationsvorschriften früher allgemein ziemlich rohe Fall- und Blech proben zur Beurtheilung der Qualität des Eisenbahnmaterials verwandt wurden, ging man zuerst im Jahre 1876 auf ein zweck- mäfsigeres System der Prüfung nach den Rathschlägen von Wöhler über. Professor Bauschinger, Leiter der mechanisch-techni schen Versuchsanstalt zu München, veranstal tete eine grofse Zahl von Zerreifsproben, auf deren Resultate hin, so viele Widersprüche dieselben auch einschlossen,* eine Commission der Eisenbahnverwaltungen zu Stuttgart 1878 beschlofs, den Qualitätsbestimmungen die Zer- reifsresultate von Probestücken zu Grunde zu legen, und zwar trotz der inzwischen (1877) erhobenen Widersprüche der Eisenhüttenleute, welche die alten Schlag-, Bieg- und Belastungs proben modificirt wieder eingeführt zu sehen wünschten und gegen die angeblich zu schar fen Bedingungen auf Grund der Festigkeits untersuchungen remonstrirten. In der Haupt versammlung zu Salzburg 1879 besclilofs auch der Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen die allgemeine und ausschliefsliche Einführung der Zerreifsprobe an Stelle der bisherigen Schlag-, Bieg- und Belastungsprobe und führte dafür Normalzahlen ein. 1880 wurden die sämmtlichen Staats bahnen vom Minister der öffentlichen Arbeiten ermächtigt, im wesentlichen die Bedingungen nach Mafsgabe der Salzburger Beschlüsse zu stellen, aber aufser den Zerreifsproben noch Schlag- und Biegproben vorzuschreiben.** Eine Commission des Vereins der deutschen * Vergl. deren Zusammenstellung in Tetmajers: Einheitliche Nomenclatur und Classification von Eisen und Stahl. Zürich 1881. •* Diese historische Entwicklung ist vom Standpunkte der Fabrication aus in dem Gutachten der vom Vereine deutscher Eisenhüttenleute zur Revision der Classificationsbedingungen für Eisen und Stahl eingesetzten Commission ausführlich geschildert.