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.STAHL UND EISEN.“ Ganzen massgebend gewesen, welche in 1868 und 1869 die von der Heydtschen Steuerprojecte zurückwiesen; sie haben damals im guten Glauben gehandelt, auch als sie später die Hand dazu boten, in sehr eigenthümlicher Weise das Gleich gewicht in den Finanzen herzustellen. Von der Heydt musste, nachdem seine Steuervorschläge abgewiesen waren, seinen Platz Camphausen ein räumen. „Dass Camphausen", sagt Schmöller in seinem Aufsatze über Theorie und Praxis der deutschen Steuerreform, „bei seinem Eintritt sich durch Abwälzung der Schuldentilgung geholfen, wer dachte jetzt noch daran? Man schwärmte für Aufhebung der Salzsteuer; man stellte ver gnüglich, trotz Miquels Warnung, Ueberschüsse in den Etat, die noch nicht einmal rechnungs mässig feststanden, und fuhr —- es war ja das sehr populär — auf dieser abschüssigen Bahn auch die folgenden Jahre fort. Man griff auf die nicht verwendeten Bestände für den Flottenbau, auf den Invalidenfonds, auf die Ersparnisse an den Verpflegungsgeldern der Occupationstruppen in Frankreich zurück und glaubte sehr staats männisch zu sprechen, wenn man versicherte, zur Deckung kleiner Deficite dürften keine neuen Steuern bewilligt werden.“ Und handelte es sich denn wirklich nur um kleine Deficits? Die Ma- trikularbeiträge für das Reich waren von 56 Mil lionen in 1868 auf 74 Millionen in 1869 und 96 Millionen in 1872 gestiegen, und nachdem die Zeit des wirthschaftlichen Aufschwunges sie wieder ermässigt hatte, sehen wir sie allmählich wieder anschwellen, so dass sie pro 1881/82 mit 106 126 278 in den Reichshaushaltsetat ein gestellt wurden. Diese wachsende Last der Ma- trikularbeiträge hatte manche Einzelstaaten fast an den Rand des Staatsbankerottes gebracht, und weiter blickende Männer hatten bereits frühzeitig die Umwandlung mindestens des grössten Theiles der Matrikularbeiträge in Reichssteuern ins Auge gefasst. Denn der grosse Unterschied zwischen dem frühe ren Deutschen Bunde einerseits und dem Norddeut schen Bunde und jetzigen Deutschen Reiche anderer seits besteht darin, dass nunmehr eine souveräne Staatsgewalt vorhanden ist, dass wesentliche Staats aufgaben den Einzelstaaten entzogen und dem Reiche zur selbstständigen Behandlung übertragen sind, und dass zu diesem Zwecke das Reich einen eigenen Reichshaushalt mit eigenen Einnahmequellen führen muss. Die Einnahmen wurden dem Norddeutschen Bunde und später dem Reiche durch die Ma-, tricularbeiträge gewährt, gegen welche sich schon bei Berathung der Verfassung so erhebliche Be denken erhoben — Miquel bezeichnete diese Um lagen als gleichbedeutend mit der finanziellen Anarchie in ganz Deutschland — dass der Zu stand der Matrikularbeiträge von der Verfassung nur als ein vorübergehender betrachtet wird, der so lange dauern soll, bis Reichssteuern eingeführt werden. Wenn man erwägt, dass, wie Miquel damals sagte, 30- bis 100 000 Bewohner von Thüringen oder Waldeck ebensoviel an Matrikular- beiträgen zahlen müssen, als 30- oder 100 000 Bewohner von Bremen oder Hamburg, so liegt die Ungerechtigkeit dieser Umlage klar zu Tage, und demgemäss haben die Bestrebungen, die Be dürfnisse des Reiches in anderer Weise zu decken, nicht geruht; sie wurden aber durch die äusserst günstige Finanzlage des Reiches in den ersten Jahren seines Bestehens in den Hintergrund ge drängt. Professor Adolph Wagner veröffentlichte in dem Holtzendorffschen Jahrbuche 1874 seinen zweiten grossen Aufsatz über das Reichsfinanz wesen. Er schildert die Finanzlage Deutschlands in Verbindung mit derjenigen der Einzelstaaten wegen der Verminderung der Staatsschulden, der Vermehrung der ertraggebenden Anlagen, wie der Eisenbahnen, der Steigerung der Einnahmen neben den riesigen Verwendungen für militärische Bedürfnisse als „geradezu einzig günstig“. Er sagt dann weiter: „Die Zeit einer solchen Finanz lage ist am besten geeignet für grosse tiefgreifende Finanzreformen, namentlich im Gebiete der Einnahmen. Eine solche Zeit ermöglicht es, selbst mit vorübergehenden Einnahmeausfällen Mängel der Besteuerung zu beseitigen. Bei den Steuerreformen handelt es sich . . . sowohl um reelle Verminderung der gesammten Last, als um richtigere, gleichmässigere Vertheilung. Verstreicht eine Periode, wie wir sie jetzt erleben und wie sie, nach manchen An zeichen zu schliessen, sich schon ihrem Ende zuneigt, ohne diejenigen Steuer reformen, welche um der gleichvertheilen den Gerechtigkeit willen im Interesse der unteren Klassen und zugleich im allge meinen volkswirthschaftlichen und social politischen Interesse geboten sind, so trifft die leitenden Staatsmänner der ge rechte Vorwurf, dass sie dieser Aufgabe wenigstens nicht gewachsen sind. Es ist zu fürchten, dass die Geschichte dieses Urtheil über dieLeiter der deutschen und der preussischen Finanz Verwaltung und der mit letzterer zusammenhängenden Dienst zweige fällen wird, denn im Grossen und Ganzen ist in der That in dieser Glanz zeit der Finanzen nichts Genügendes für Steuerreform geschehen.“ Aus der Ausführung dessen, was Professor Wagner als Unterlassungssünden bezeichnet, geht nun hervor, was ja allgemein bekannt ist, dass derselbe damals noch überwiegend für directe Steuern plädirte und diese auch für das Reich einführen wollte, eine Bewegung, die überhaupt in jener Zeit grössere Dimensionen annahm. Es sei hier nur an die Reichs-Einkommensteuer- Liga erinnert, welche von Dr. Hirth und von