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214 Nr. 6. .STAHL UND EISEN.“ December 1881. wollen, sich vielmehr in Unterabtheilungen spalten, von denen keine nur ein Jota von ihrer Auf fassung abgehen möchte. Schon im grauen Alter- thume waren die deutschen Stämme nicht einig, und ihre Nachkommen wollen dies heute noch nicht lernen, ja, während es anderswo für eine lobenswerthe That gilt, die eigene Meinung im Interesse des grossen Ganzen dem Willen der Mehrheit unterzuordnen und trotz gewisser prin- cipieller Bedenken sich nicht auf das absolute Negiren zu beschränken, sondern grosse praktische Ziele mitverfolgen zu helfen, werden bei uns vom Volke solche Principien-Reiter angestaunt und verherrlicht, die lieber Alles zu Grunde gehen lassen, als dass sie von der für alle möglichen und unmöglichen Fälle von vornherein zuge schnittenen Schablone abweichen. Damit nicht genug, dass die liberale Partei sich in den Fortschritt, die Secessionisten, National liberale und Volkspartei, die Conservativen in Deutsch- und Freiconservative (Reichspartei) spalten, vertritt die stärkste Partei, das Centrum, in erster Linie nicht politische, auch nicht wirth- schaftliche, sondern kirchliche Interessen, machen 19 Polen, 15 Elsässer und zwei Dänen gar kein Hehl daraus, dass sie dem Deutschen Reiche und dem Deutschthum durchaus nicht sympathisch gegenüber stehen, und 10 Welfen und so und so viel Particu- laristen der Mittel- und Kleinstaaten gestehen dieselbe Abneigung zwar nicht zu, können sich aber in den Gang, den die Weltgeschichte genommmen hat, heute noch nicht finden. Hierzu kommt nun noch die socialdemokratische Partei mit 13 Mann, welche die bestehende Ordnung zu stürzen, fast könnte man sagen, die Welt auf den Kopf zu stellen bereit sind. Die Differenzen in den wirthschaft- lichen Fragen, auf die noch näher eingegangen werden soll, haben wir hierbei noch ganz äusser Acht gelassen. Und das Alles in dem einen Deutschen Reichstage! Eine Nation, die eine der artige cunterbunte Vertretung ohne grossen Schaden verträgt, beweist eine ausserordentliche Lebens fähigkeit, und eine Regierung, die allen diesen widerstrebenden Parteien gegenüber doch den Muth behält, neue Vorlagen einzubringen, verdient schon deshalb, auch wenn sie in der Wahl ihrer Ziele nicht richtig greifen sollte, gewisse Aner kennung. Zunächst geht aus der Aufstellung der Wahl resultate hervor, dass weder die Liberalen, noch die Conservativen, noch das Gentrum je für sich allein die Majorität besitzen. Um die dazu er forderlichen mindestens 200 Stimmen zu erlangen, müssen sich stets mehrere Fractionen mit ab weichenden politischen Anschauungen verbinden und miteinander verständigen. Nach Lage der Dinge wird dies nur von Fall zu Fall geschehen, wobei sich heute die eine Partei mit diesen, morgen mit jenen Fractionen vereinigt und, wie früher oft erlebt, die Schattirungen der einen liberalen, wie der conservativen Gesammtpartei sich untereinander bekämpfen. Von eigentlichen (streng) politischen Vorlagen ist zur Zeit nur das Wiedererscheinen des schon im vorigen Reichstage eingebrachten Gesetzent wurfs über die Verlängerung der Legislatur- und Budgetperioden bekannt. Für die Vorlage konnte sich damals keine Partei erwärmen , selbst die Conservativen gingen mit ihren Sympathieen nicht über einen Achtungserfolg hinaus, während das Centrum und die liberalen Parteien, letztere um so entschiedener, je mehr sie nach links sassen, den Entwurf direct bekämpften. Da die Con servativen geschwächt, die Liberalen verstärkt zurückkehren, so dürfte die Wahrscheinlichkeit für die Annahme der beantragten Verfassungs- Aenderung diesmal noch geringer sein als in der vorigen Session. Mit den grossen wirthschaftlichen Vorlagen: 1. weitere Durchführung der Steuerreform mit Einschluss des Tabakmonopols und der Getränkesteuer, 2. Unfall- event. Invalidenversicherung wird in der bereits begonnenen Session der Reichs tag sich kaum zu beschäftigen haben. Bis Weih nachten nehmen die Erledigung des Budgets und der für den Zollanschluss Hamburgs verlangte Beitrag des Reichs die Zeit des Reichstags voll in Anspruch. Nach Neujahr wird das Preussische Abgeordnetenhaus tagen, und ob nach dessen Verabschiedung, etwa im Mai oder Juni, der Reichstag nochmals einberufen, oder ob die zweite Session erst im September bez. im October 1882 beginnen wird, dürfte wahrscheinlich in einem erheblichen Theile von der Stellung abhängen, die das ebenso kampfbereite wie begehrungslustige Centrum inzwischen im Abgeordnetenhause den dort zu erwartenden Regierungsvorlagen gegen über eingenommen haben wird. Es ist möglich, dass je nach diesen Vorlagen und mit Rücksicht auf die mit der Regierung getroffenen Verein barungen das Centrum sich zu den wirthschafts- politischen Vorschlägen des Kanzlers im Reichs tage günstiger stellt, es ist aber auch denkbar, dass das Centrum um so erbitterter in den Kampf eintritt und mit der Wucht seiner Stimmen die Vorlagen ganz sicher zum Fallen bringt. Soviel verlautet, sind übrigens die Gesetzent würfe über das Tabaksmonopol wie über die Unfallversicherung in den betreffenden Reichs ämtern in den Details noch nicht ausgearbeitet, und von der Unfallversicherung ist speciell be kannt, dass die für bessere Begründung gewisser Anforderungen aufzustellende Statistik erst gegen Ende des Jahres beschafft sein wird. Schon aus diesen Gründen wird daher auf Verhandlungen über diese tief einschneidenden wirthschaftlichen Fragen in der laufenden Session des Reichstags auf keinen Fall zu rechnen sein. Würden die selben schon jetzt eingebracht — wir setzen nur