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6 Nr. 1. „STAHL UND EISEN.“ Juli 1881. durch die Rücksicht auf das allgemeine grosse Arbeitsbedürfniss der Werke, den Weg der offenen Opposition gegen die ihrer Ansicht nach unhaltbaren Vorschriften nicht betreten zu sollen; sie suchten dagegen unter der Hand, wo sich die Gelegenhcit bot, auf das Gefährliche in dem Vorgehen der Eisenbahn-Verwaltungen aufmerksam zu machen und hatten es wohl diesen Bemühungen in erster Reihe zu verdanken, dass eine Commission des Vereins deutscher Eisenhüttenleute zu einer Conferenz mit der Subcom mission des deutschen Eisenbahnvereins behufs Besprechung der Classificationsfrage am 26. März 1879 nach Frankfurt eingeladen wurde. Obwohl in dieser Conferenz, in welcher auch die österreichischen Hütten- und Eisen- bahntechniker vertreten waren, sowohl die wirthschaftlichen Schäden, welche der deut schen Industrie aus der Einführung des neuen Probe-Systems entstehen mussten, als auch die mangelnde Zuverlässigkeit dieses Systems klar nachgewiesen wurde, beschloss doch der Verein deutscher Eisenbahn-Verwaltungen in seiner Hauptversammlung am 28. und 29. Juli 1879 in Salzburg die allgemeine und ausschliessliche Einführung der Zerreissproben an Stelle der bisherigen Schlag-, Biege- und Belastungsproben und führte als Normalien Festigkeitszahlen ein, welche nur mit ausserordentlichen Anstrengungen und mit Aufwendung von Kosten zu erreichen sind, welche nicht annähernd im Verhält- niss stehen zu dem reellen Werthe der Proben. Nach Veröffentlichung der Salzburger Beschlüsse machten die österreichischen Eisen- und Stahlwerke in einer Eingabe an ihren Handelsminister auf das Unbillige und Gefährliche in dem Vorgehen der Eisenbahn-Verwaltungen aufmerksam und wandten sich mit ähnlichen Vorstellungen an sämmtliche Directionen der Staats- und Privat- Eisenbahnen, um auf diese Weise, wenn thunlich, die Angelegenheit auf gütlichem Wege zur Erledigung zu bringen. Die Eingabe wurde von keiner Seite beantwortet, und einigten sich in Folge dessen sämmtliche österreichische Eisen- und Stahlwerke dahin, fortan keine Bedingungen mehr zu acceptiren, welche über das von ihnen zugestandene Mass hinausgingen. Es hatten diese Massnahmen den Erfolg, dass bei der ersten danach stattfindenden Submission sämmtliche Offerten der Werke abgelehnt wurden, dass aber bei den ferner folgenden Submissionen die Eisenbahn-Verwaltungen die von den Werken offerirten Lieferungsbedingungen anstandslos annahmen und dass endlich der Herr Handelsminister durch das Vorgehen der Eisen- und Stahl-Industriellen veranlasst worden ist, eine Enquete aus Sachverständigen beider Parteien einzuberufen, welcher die Aufgabe gestellt ist, die für alle Betheiligten brennende Frage gutachtlich zu behandeln. Wenn die österreichischen Werke somit einer baldigen befriedigenden Erledigung der allgemein als Calamität anerkannten Classificationsfrage entgegensehen dürfen, so muss leider constatirt werden, dass in Deutschland in dieser Beziehung bisher noch nichts geschehen ist. Ich kann hier noch bemerken, dass nach Mittheilungen der Zeitschrift des Vereins deutscher Eisenbahn-Verwaltungen inzwischen die Arbeit der vom österreichischen Ministerium eingesetzten Commission begonnen hat, und wird über die Zerreissproben in Nr. 26 der vorgenannten Zeitschrift vom 4. April d. J. Folgendes berichtet: „Der Entwurf eines Schienenlieferungs- Bedingnissheftes, welcher von der durch das Oesterreichische Handelsministerium berufenen Commission ausgearbeitet wurde, schliesst sich den bestehenden Bedingnissen im Allgemeinen an, doch erscheinen die Zerreiss proben, welche in den vom deutschen Eisenbalmverein aufgestellten Schienenlieferungs-Bedingungen obligatorisch und deren Resultate für die Uebernahme massgebend sind, nicht aufgenommen.“ Die deutschen Eisen- und Stahlwerke haben nicht allein mit den in Salzburg be schlossenen Lieferungsbedingungen zu rechnen, sondern diese letzteren sind sogar von der Mehrzahl der deutschen Eisenbahn-Verwaltungen im Laufe der letzten zwei Jahre noch wesentlich verschärft. Dem aufmerksamen Beobachter, der sich die Mühe gibt, die Resultate der Zer reissproben mit denen aus dem praktischen Betriebe vorurtheilsfrei zu vergleichen, fallen sofort eine solche Menge von Widersprüchen auf, dass er das Bedürfniss fühlen muss, durch geeignetere als die vorgeschriebenen Proben sich über die Qualität des von ihm gekauften Materials zu informiren. Nach den Veröffentlichungen in dem Organ der deutschen Eisenbahn-Verwaltungen haben bis jetzt z. B. von 606 Zerreissproben, welche im Auftrage der Eisenbahn- Verwaltungen mit Stäben aus Schienen, Achsen und Bandagen angestellt sind, nur 353 den Salzburger Bedingungen genügt, während 253 die vorgeschriebenen Zahlen nicht erreicht haben. Leider sind die mit dem untersuchten Material erzielten Betriebs-Resultate