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126 Nr. 3. nunmehr für die Regelung unseres Wirthschafts- lebens massgebenden Gesetze diejenigen Geister mit wachsender, überzeugender Kraft gewinnen werden, die jetzt noch widerstreben, die jedoch fähig sind ohne Voreingenommenheit ein gesundes, praktisches Urtheil abzugeben. Gelangten doch die einzeln und schüchtern hervorgetretenen, anfangs verlachten und verspotteten Ansichten in dieser Richtung durch die unwiderstehliche Gewalt des praktischen Gedankens in wenigen Jahren zum Siege über das künstliche Bollwerk theoretischer Anschauungen. Dieser überzeugenden Kraft wird sich auch ein künftiger Reichstag nicht entziehen können, mag es auch vorerst dem hocherregten politischen Parteikampfe gelingen, die realen wirthschaftlichen Bestrebungen in sein Getriebe zu ziehen und zu verwickeln. Die wirthschaftlichen Aufgaben, welche der Lösung, durch den nächsten Reichstag harren, gedenken wir künftiger Besprechung vorzubehalten; gegenwärtig, nach dem Erlöschen der letzten Legislaturperiode und vor den Neuwahlen, mag ein kurzer Rückblick auf die Thätigkeit des letzten Reichstages, soweit unser Gebiet in Betracht kommt, angebracht erscheinen. Die übergrosse freihändlerische Majorität des Reichstages hatte in unbarmherziger Durchführung des Zollgesetzes von 1873 — unbarmherzig mit Rücksicht auf die Krisis, welche furchtbar schwer auf der Production lastete — ihren höchsten Triumph gefeiert. Die letzten Eisenzölle waren gefallen, und der Umschwung in der öffentlichen Meinung bethätigte sich durch die Wahl einer grösseren Zahl schutzzöllnerisch gesinnter Abge ordneter im Januar 1877. Der am 23. März 1877 gestellte und zahlreich unterstützte Antrag auf Anstellung einer Enquete über die Productions- und Absatz-Verhältnisse der deutschen Industrie und Landwirthschaft — er wurde in Folge einer entgegenkommenden Erklärung der Regierung zurückgezogen — legte Zeugniss von der andern Zusammensetzung des Reichstages ab. Die Ab lehnung des Socialistengesetzes und die kurz darauf folgenden furchtbaren Ereignisse, welche die Gefühle der Nation aufs Tiefste erregten, hatte die Auflösung des Reichstages am 11. Juni 1878 zur Folge, und die Neuwahlen documentirten den entschiedenen Willen der Nation, mit dem System des bedingungslosen Freihandels zu brechen. Dass dieser Wille befolgt werden sollte, bezeigte die am 19. October 1878 erlassene Erklärung der 204 Reichstagsabgeordneten. Trotzdem der Abgang des mit diesem Systeme identificirten Ministers Delbrück die Ansichten charakterisirte, welche in den leitenden Regie rungskreisen zum Durchbruch gelangt waren, trotz der im Sommer 1878 erfolgten Ernennung einer Enquete-Commission zur Untersuchung der Lage der Eisen-, Baumwoll- und Leinen-Industrie, sowie des Baues, der Fabrication und des Handels mit September 1881. Tabak, war Klarheit über die Haltung der Re gierung nicht zu erlangen, bis der Reichskanzler in dem denkwürdigen, an den Bundesrath ge richteten Schreiben vom 15. December 1878 seine Pläne bezüglich der Zoll- und Finanz-Politik dar legte. In demselben Monate erfolgte die' Ernen nung einer Commission zur Revision des alten und zur Vorbereitung eines neuen Zolltarifes, wel cher der vom Bundesrath angenommene Plan des Fürsten Bismarck zur Richtschnur überwiesen wurde. Die von dem Abeordneten von Varnbüler ge leitete Commission arbeitete mit ausserordentlichem Eifer, so dass die Beendigung der Berathung und die Genehmigung seitens des Bundesrathes bereits im April 1879 erfolgen konnte. Am 12. Februar wurde der Reichstag durch Se. Majestät den Kaiser in Person eröffnet; in der Thronrede sagte Se. Majestät in Bezug auf die Zollpolitik: „Die verbündeten Regierungen berathen über die Mittel, welche die Gesetzgebung zu gewähren vermag, nm die Uebelstände, unter denen wir auf wirthschaftlichem Ge biete leiden, zu heben oder zu mindern. Die Vorschläge, welche Ich Meinen Bundes genossen theils gemacht habe, theils zu machen beabsichtige, haben zunächst den Zweck, durch Beschaffung neuer Einnahmequellen für das Reich die einzelnen Regierungen in den Stand zu setzen, dass sie auf Forter hebung derjenigen Steuern zu verzichten ver mögen , welche sie und ihre Landesvertre- tungen als die am schwersten aufzubringen den erkennen. Zugleich bin Ich der Meinung, dass unsere wirthschaftliche Thätigkeit in ihrem gesammten Umfange auf diejenige Unterstützung vollen Anspruch hat, welche die Gesetzgebung über Steuern und Zölle ihr zu gewähren vermag, und in den Ländern, mit denen wir verkehren, vielleicht über das Bedürfniss hinaus gewährt. Ich halle es für Meine Pflicht, dahin zu wirken, dass wenigstens der deutsche Markt der nationalen Production insoweit erhalten werde, als dies mit unseren Gesammtinteressen verträglich ist, und dass demgemäss unsere Zollgesetz gebung den bewährten Grundsätzen wiederum näher trete, auf welchen die gedeihliche Wirksamkeit des Zollvereins fast ein halbes Jahrhundert beruht hat, und welche in un serer Handelspolitik seit dem Jahre 1865 in wesentlichen Theilen verlassen worden sind. Ich vermag nicht zu erkennen, dass that- sächliche Erfolge dieser Wendung unserer Zollpolitik zur Seite gestanden haben. Die Vorlagen in der angedeuteten Richtung wer den, insoweit und sobald die Einigung der verbündeten Regierungen über dieselben statt gefunden haben wird, Ihrer Beschlussnahme unterbreitet werden.“ STAHL UND EISEN.“