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Gunäula (Nachdruck verboten.) Roman von A. von Trystsdt. (22. Fortsetzung.) era schaute den beiden spöttisch lächelnd nach. „Jetzt bekomme ich mein Teil," sagte sie, „Gundel läßt kein gutes Haar an mir, und der Herr Papa hebt seine Jüngste in den Himmel. Für meine Vorzüge hat er kein Ver ständnis." „Ich kann mir nicht oorstellen," entgegnete Stsfany ernst, „daß in dieser kurzen Wiedersehensstunde Fräu lein Eicke oder ihr Vater auch nur ein ungerechtes oder gar verleumderisches Wort über irgend jemand sprechen sollten." „Und doch gebe ich Ihnen die Versicherung, daß Papa darauf brennt, seinem Herzen Luft zu machen. Er verurteilt Mamas temperamentvollen Sinn, ihren Stolz und ihr Talent, sich in der Gesellschaft Geltung zu verschaffen. Er sieht auch auf mich mit scheelen Augen. Wir verstehen uns nie. Wenn ich Mama nicht auf meiner Seite hätte, wäre es ein bejammerns wertes Dasein für mich." „Ein gespaltenes Lager also," versuchte Stefany zu scherzen, „hie Vera — hie Gundula I" „So ist es wirklich!" ries Vera grollend, „und ein Glück, daß der gute Onkel sie uns entführt hat. Ich war damals noch unduldsamer als jetzt, und wenn ich das Musterkind nur ansah, lief mir die Galle über. „Daß Sie aber auch Ihrer Schwester schweres Leid schufen durch Ihre Gereiztheit, ist Ihnen wohl nie zum Bewußtsein gekommen." „Ach, nun fangen Sie auch noch an, Moral zu predigen! Wenn Sie es nicht ganz mit mir verderben wollen, so verschonen Sie mich, bitte!" »Ich hoffe, gnädiges Fräulein, Sie werden selbst noch zu der Einsicht kommen, daß Sie in Ihrer Stief schwester die beste, treueste Freundin besitzen I" „Niel" rief Vera mit leidenschaftlichem Protest, „niemals! Das Mädel ist mir unsagbar unsympathisch! Und könnte es denn anders sein? Sobald sie nur in meine Nähe kommt, spielt sie die Vollkommene, Edel mütige, nur, um den Unterschied zwischen uns recht fühlbar zu machen I" „Sie sind im Irrtum, gnädiges Fräulein, es kann keinen wahrhaftigeren und harmloseren Menschen geben als Ihre Schwester. Ihr ist es Notwendigkeit, gut zu sein und zu handeln. Und wenn sie Ihnen ungewöhn lich hochherzig erscheint, so ist sie es auch. Ihr weicher, zärtlicher Sinn kann sich in Bosheit und Häßlichkeit überhaupt nicht hineindenken." „Sie singen ihr Loblied, wie alle anderen. Meinet ¬ wegen! Wer mich liebt, muß mich mit all meinen Fehlern hinnehmen, so wie ich bin. Ein Kompromiß gibt es nicht. Gundula und ich bilden zwei grundver schiedene Welten, die ewig getrennt bleiben werden!" „Vielleicht doch nicht. Die Sanftmut hat schon stärkeren Widerstand besiegt. Vielleicht findet Fräulein Gundula einmal Gelegenheit, Ihnen bedingungslos den Beweis zu liefern, daß sie ein Engel an Güte ist, und so starr werden Sie ja nicht bei Ihrem Vor urteil bleiben, um nicht der besseren Einsicht gern Raum zu geben." „Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, Herr Baron, daß Gundula und ich harmonieren wie Feuer und Wasser." In diesem Augenblick kam ihnen Gundula ent gegengelaufen mit allen Anzeichen einer freudigen Er regung. „Ich schließe mich der Bitte des Herrn Barons an, liebste Vera," rief sie schon von weitem, „bleibe doch bis zum Herbst bei uns, ja ? Papa hat seine Erlaubnis gegeben und versprochen, auch Mamas Zustimmung zu erwirken. Ach, es wäre reizend! Sage ja, Derachen, ich freue mich so herzlich auf unser Zusammensein!" Vera hatte mißtrauisch und ungeduldig zugehört. „Was du für Ideen hast, Mädel, es ist nicht zu sagen! Ich sollte mich in dieser Einsamkeit vergraben, nur da mit du eine Gesellschafterin bekommst? Danke bestens! Papa weiß doch, daß Paris das Ziel unserer Sehn sucht ist. Aber ich glaube zu verstehen! Er will die kostspielige Reise vereiteln, und als Entschädigung da für bietet er mir deine Gesellschaft? Ein gottvoller Plan, den ihr da ausgeheckt habt, nur schade, daß er mir so wenig verlockend erscheint. Ich bestehe auf meiner Reise nach Paris." „Davon hat Papa mir gar nichts gesagt," ent gegnete Gundula, gewaltsam ihre Empörung über Veras Verhalten bekämpfend, „und sicher werdet ihr doch erst im Herbst reisen. Bis dahin sind noch mindestens acht Wochen —" „Und du glaubst, daß ich mit dieser langen Zeit nichts Besseres zu beginnen weiß, als mich hier, fern von aller Welt, zu Tode zu langweilen? Nein, Schäf chen, daraus wird nichts." „Ganz so öde, wie du es dir oorstellst, ist es wirk lich nicht," widersprach Gundula, trotzdem sie ihre Sache bereits verloren gab, „es gibt auch, wie ich dir schon sagte, in einer kleinen Stadt so manche hübsche Ab wechslung, und wir würden es uns angelegen sein