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selben niederließ und auf die Frühlingspracht nngsum schaute — es war ein warmer, sonniger Tag im Mai — wurden ihr die Augen feucht vor Glück und Seligkeit. Sie war ja ein armes, verwaistes Mädchen und befand sich gleichfalls in abhängiger Stellung bei einer Dame als Gesellschafterin. Sie hatte über nichts sonder lich zu klagen, aber schwer wurde es ihr mit ihrem klaren, alles richtig erfassenden Sinn, sich in die ost recht merkwürdigen, zum Widerspruch förmlich heraus fordernden Anordnungen ihrer Herrin zu fügen. Und doch mußte es sein; denn ihre alte Dame war sehr selbstherrlich und von sich eingenommen. Was sie für richtig befand, davon ließ sie sich nicht abbringen. Klara aber hatte den Kopf voll eigener Ideen, und dann auch war sie eine wahrhaft glückliche Braut, denn sie liebte Eicke so, wie eine Frau nur einmal liebt. Sie war auch nicht nachtragend oder gar rach süchtig, sonst wäre sie gewiß nicht mit so liebeerfülltem Herzen zu den Kindern gekommen; denn die Mutter derselben, die schöne, verwöhnte Eugenie, hatte Klara einst schweres Leid zugefügt. Vor fünf Jahren war Klara — damals lebte ihre Mutter noch — mit dem Bankier Wilhelm Eicke ver lobt gewesen. Zn wenigen Monaten sollte die Hochzett stattfinden. Da trat Eugenie in Eickes Gesichtskreis, und er ver fiel unrettbar dem Zauber ihrer Schönheit und raffi nierten Koketterie. Klara gab ihm sein Wort zurück, und er heiratete Eugenie. Das war eine harte Prüfungszett für die verlassene Braut gewesen. So sicher hatte sie sich da mals in ihr Glück hineingeträumt, als die andere es ihr mit kecker Hand stahl. Infolge der Aufregungen hatte auch die Mutter sich gelegt und war nach kurzem Kranksein gestorben. Da stand sie ganz allein, freund- und mittellos dem Zufall preisgegeben. Aber ihre Armut erlaubte ihr nicht, ihren traurigen, verzweifelten Gedanken nach zuhängen. Dem Zwange der Notwendigkeit folgend, nahm sie die Stelle bei ihrer alten Dame an, deren Zu neigung sie sich alsbald eroberte. Und nun war es ihr doch noch beschicken, all das Glück, nach welchem sie sich so oft in ihren Träumen vergeblich gesehnt, zu genießen. Die Villa mit ihren herrlichen Räumen, der Garten mit den Blumenrabatten und den schattenreichen Plätzen, es sollte alles ihr gehören, weil Eugenie den Vorzug, Eickes Gattin zu sein, nicht zu schätzen ver standen hatte. Aus ihren tiefen Gedanken wurde sie durch die Stimme der Bonne geweckt. Sie redete den Kindern zu, ihre Plätze einzunehmen und versorgte sie mit Milch und Kakes. Als die Kleinen dann gegessen und getrunken hatten, liefen sie in den Garten und tollten auf dem Rasen herum. „Das ganze Haus freu: sich aus die neue Herrin," sagte da die Bonne treuherzig, „ach, mit der vorigen Frau soll kein Auskommen mehr gewesen sein, darüber ist nur eine Stimme. Sie hat dem Herrn mit ihren Launen furchtbar zugesetzt. Er war nur noch der Schatten seiner selbst, sagen die Leute. Jeder hat ihn bedauert, denn der Herr ist allgemein beliebt, und man ginge für ihn durchs Feuer. Die Frau war schlecht, keiner konnte ihr etwas recht machen, darum weint man ihr auch keine Träne nach. Ich habe sie nicht mehr kennengelernt, denn ich kam erst nach ihrer Ab reise ins Haus. Aber eine gute Vorstellung kann ich mir von dem Zankteufel machen; denn die Kinder haben alle bösen Eigenschaften der Mutter geerbt. . Mit den Kindern werden gnädiges Fräulein viel Schererei haben, sie sind genau so hochmütig und eigenwillig, wie die Mutter von allen geschildert wird." „Mein liebes Fräulein," entgegnete Klara nicht unfreundlich, doch bestimmt, „ich habe Sie ausreden lassen, trotzdem Sie mir da nichts Neues erzählen, denn ich bin von allem genau unterrichtet, auch von dem zu Gewaltsamkeiten neigenden Sinn der Kinder, und ich bitte Sie, in dieser Weise nicht wieder zu sprechen, weder von der geschiedenen vrau noch von den Kleinen. Es soll meine Aufgabe sein, und nicht wahr. Sie werden mich in derselben unterstützen, die Feinde der Kinder, ich meine damit die ererbten bösen Eigenschaften, zu bekämpfen. Noch kann viel gemildert und gebessert werden, noch können wir durch unermüd liche Geduld die Charaktere formen. Wir stellen uns da eine große Aufgabe, aber ich denke, der Erfolg wird nicht ausbleiben. Und bitte, sprechen Sie nie wieder abfällig von der geschiedenen Frau. Ich wünsche es nicht. Sollten die Dienstboten aber dieses Thema variieren, so lenken Sie das Gespräch, bitte, unauffällig ab, jene Frau muß hier in Vergessenheit kommen, damit die Rederei aufhört. . . . Leuchtet es Ihnen ein, liebes Fräulein, daß es uns selbst emporhebt, wenn wir den Klatsch meiden und in unserer Umgebung zu unterdrücken suchen? Darf ich Sie als meinen treuen Beistand betrachten? Kann ich Ihnen volles Vertrauen schenken ?" Durch ihre klugen, wohlgewählten Worte hatte Klara sich ohne weiteres die Sympathie der Bonne ge wonnen, ohne daß letztere sich verletzt gefühlt hätte. * „Gnädiges Fräulein dürfen sich ganz auf mich ver lassen," versicherte sie in aufrichtiger Ergebenheit, „ich werde von heute an in Ihrem Sinne wirken, damit das unnütze Geschwätz verstummt. Ich hatte ja wirklich kein Interesse daran. Aber wenn von allen Seiten auf einen eingesprochen wird, läßt man sich auch zu allerhand Bemerkungen fortreißen. Und böse und zänkisch muß die Frau gewesen sein, sonst würden nicht alle übereinstimmend über sie klagen." „Die Dame ist eine Künstlernatur und hätte sich in den engen Kreis häuslicher Pflichten nicht hineinbegeben dürfen," bemerkte Klara, „solche Menschen kann man von einem kleinlichen Standpunkt aus überhaupt nicht beurteilen; will man ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, so muß man sie schon von einer höheren Warte aus betrachten." Die Bonne sah ihre künftige Herrin fast ehrfurchts voll an. „So hat noch niemand mit mir gesprochen," sagte sie ernst. „Ich glaube es wohl," nickte Klara, „aber ich werde es nie verstehen, daß, sobald es sich um den Klatsch handelt, einer dem anderen nachspricht, was schon zahl lose Male erörtert wurde, keiner auf den Gedanken kommt, daß es doch vielleicht anders sein könnte, und mit seinem Urteil zurückhält, oder vielleicht gar die Ver leumdete in Schutz nimmt. Im Gegenteil, das Garn wird weitergesponnen bis zu einem unentwirrbaren Durcheinander, in dem sich dann nicht selten die bösen Schwätzerinnen selbst verwickeln. . . . Aber es ist spät geworden. Wir wollen die Kleinen zur Ruhe bringen, und dann muß ich nach Hause." Die Bonne kam um den Tisch herum, und ehe Klara es hindern konnte, hatte jene ihr die Hand geküßt. „Wie glücklich wird Herr Eicke sein, daß nach all dem Hader und der Zwietracht Glück und Frieden in sein Haus kommt. Es ist ihm zu gönnen, denn er soll furchtbar in dieser unseligen Ehe gelitten haben." Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie in den Garten und holte die Kinder herauf. Das Mädchen brachte Obst, Milch und Weißbrot, und die Kleinen ließen es sich schmecken. (Fortsetzung folgt.)