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!II "77777 Die Geschichte eines Veteranen. Erzählt von Dr. L. Otto. iNachdrua oerboren.- Nach langen Jahren hatte ich wieder einmal das liebe Heimatdörflein am Saume des Gebirges aufgesucht. Ich wollte noch einmal den Zauber der Jugend in die Erinnerung rufen. Heller Morgensonnenschein lag auf der Landschaft, die Berge zeigten haarscharf ihre Konturen, nur tief unten wand sich leichter Nebelsaum. Die Leute gingen im Sonntagsstaate. Sie grüßten den Fremden fremd. Mir war es, als müßte ich ihnen, allen die Hände schüttelnd, „Grüß' Gott" zurufen in der teuren Heimat. Bald kam ich an die Kirche des Dorfes. Einer tiefeingewurzelten Neigung zufolge konnte ich an ihr nicht vorübergehen. So betrat ich denn das Gottes haus, verrichtete ein kurzes Gebet und begann nachher den Friedhof zu durchqueren. Man wird sich denken können, daß ich in dieser letzten Ruhestätte armer Bauern kein Monument von Stein oder Marmor antras; ein einfaches hölzernes Kreuz ohne Inschrift ist das einzige Denkmal, welches die meist in dürftigen Verhältnissen lebenden Bewohner des Dörfleins den ihnen ins Grab vorangehenden Verwandten und Freunden setzten. Nur ein einziger Blumenkranz, den ich auf einem Grabeshügel erblickte, erinnerte an den rührenden Brauch, welcher in den großen Städten dem Gottes acker den lachenden Anblick eines Gartens verleiht. Ich näherte mich dem Grabe, auf welchem es nieder Der knegsmimster als Sherlock Holmes Eine amüsante Anekdote aus dem Leben des verstorbenen französischen Kriegsministers General Brun weiß der „Gautois" zu erzählen. Während feines Sommerurlaubes be suchte einmal der General auch das Städtchen Casteljaloux. Man empfing den Kriegsminister mit aller Feierlichkeit, der Bürgermeister und alle Honoratioren der Umgebung hatten sich eingefunden, um den General zu begrüßen. Für jeden der Anwesenden suchte der Minister irgendein freundliches Wort zu finden, doch er war im allgemeinen kein Causeur, und sein Repertoire neigte sich bereits dem Ende zu. Man stellte ihm einen braven Landarzt aus der Nachbarschaft vor, irgend jemand flüsterte ihm zu, jener Arzt sei einst im Gymnasium sein Klassenkamerad gewesen. General Brun fühlt sich höchst unbehaglich, er erkennt den einstigen Freund nicht wieder, aber in seiner Gutmütigkeit will er den alten Arzt nicht kränken und geht kurz entschlossen freudig auf ihn zu. „Ach, mein lieber Cadichou, ei, ei, wie geht es dir denn?" Der wackere alte Herr ist überglücklich, er fühlt sich geschmeichelt, schüttelt dem General die Hand und sagt nur: „Ganz gut, na und du, mein lieber Minister?" „Und du, du reitest immer noch deinen alten Grauschimmel?" „Aber natürlich, meinen Grauschimmel. Wer was du für ein Ge dächtnis hast. . ." Inzwischen haben sich andere herbei gedrängt, der Minister schüttelt neue Hände, schließlich ist die Feierlichkeit zu Ende. Der Adjutant des Generals, der die Szene mit dem alten Landarzt beobachtet hat, kann sich auf dem Heimweg nicht zurückhalten und fragte seinen Chef: „Aber wie ist es denn nur möglich, daß Sie sich an den alten Grauschimmel Ihres Schulkameraden noch er innern konnten?" „Ach, ich konnte mich an den wackeren Doktor überhaupt nicht mehr erinnern und noch viel weniger an seinen Grauschimmel. Aber da er Reitstiefel anhatte und ich an seiner Jacke noch einige graue Haars sah, — na, da habe ich's eben riskiert, und Sie sehen, es hat gestimmt..." gelegt war, dieses Zeichen der Verehrung, dessen Frische und lieblicher Duft einen schroffen Gegensatz bildete zu dem von der Zeit gebräunten Holz des Kreuzes, das den Blumenkranz trug. Ich dachte hin und her, wem diese einzige Widmungsgabe zugedacht sein mochte; schon schien ich die Gewißheit zu haben, daß es ein weibliches Wesen sein müsse, welches der Rasen deckte, daß sie sicher jung gestorben sei und offenbar ihr Geliebter oder auch ihr Gatte dieses kurzdauernde Unterpfand süßer Erinnerung auf das Grab gelegt habe. Schritte, welche ich hinter mir vernahm, rissen mich aus meinem Sinnen, und, mich umwendend, sah ich einen Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren, dessen Aeußeres gleich dem der anderen Dorfbewohner nichts Bemerkenswertes an sich gehabt hätte, wenn nicht das Eiserne Kreuz auf seiner Brust und der herabhängende eine Aermel seines Rockes verraten haben würden, daß er an dem denk würdigen Kriege unseres Vaterlandes teilgenommen hatte. Er näherte sich mir, und, ihn genauer ansehend, ward ich von Mitleid gerührt ob des wehmütigen Aus drucks seiner Gesichtszüge. „Ich glaube, zu erraten, mein Herr," begann er mit der den Gebirglern eigenen Freimütigkeit, „daß der an diesem Kreuze hängende Kranz Ihre Aufmerksam keit auf sich gezogen hat. Niemand als ich kann Ihnen genaueren Aufschluß über die in Gott Ruhende geben, der diese duftige Gabe geweiht ist, weil keine andere Hand als die meinige jeden Sonntag das Grab des schönsten und bravsten aller Mädchen des Dorfes und der ganzen Umgegend mit einem Blumenkränze schmückt. Wenn Sie wünschen, hierüber Aufschluß zu erlangen, so bin ich bereit, Ihre Neugierde durch die Erzählung einer traurigen Geschichte zu befriedigen." „Natürlich bin ich damit einverstanden," sagte ich und setzte mich neben ihm nieder. „Meine Kleidung und meine Sprache," fuhr er fort, „haben Ihnen ohne Zweifel schon verraten, daß ich kein gewöhnlicher Bauernknecht bin. Ich heiße Johann, Und mein Vater, dessen einziger Sohn ich bin, galt allgemein als der reichste und tüchtigste Landwirt auf mehrere Stunden in der Runde. Auch dürften Sie schon bemerkt haben, daß ich, unbeschadet des Verlustes meines Armes, den ich seit sechseinhalb Jahren zu be klagen habe, und was mich gewiß in den Augen nie- mandens herabwürdigt, weder häßlicher noch weniger wohlgestaltet bin als der nächstbeste meiner Nachbarn, und was meinen Charakter anbetrifft, so kann mir jeder, der mich kennt, nur das Zeugnis ausstellen, daß ich ein ebenso braver und ehrlicher Mensch bin wie einer der besten unseres Dorfes." Ich konnte mich bei Lieser kleinlichen und ziemlich nach Selbstlob klingenden Darlegung eines Lächelns nicht erwehren und mich nicht enthalten, etwas spöttisch zu erwidern: „Aber, Johann, ich glaubte, Sie ständen im Begriffe, mir die traurige Geschichte der schönen Schlä ferin im Grabe zu erzählen, während Sie mir mehr ge neigt zu sein scheinen, von Ihnen selbst zu sprechen und mir Ihre schönen und guten Eigenschaften zu preisen." „Es steht bei Ihnen, mein Herr, darüber zu lachen und an meiner Wahrheitsliebe zu zweifeln. Ganz, wie es Ihnen gefällt, können Sie meine Worte abwägen und mich abschätzen, übrigens aber, was haben mir alle meine Vorzüge genutzt? Marie, die schöne Marie, die ich mit allen Fasern meines .Herzens liebte, war für meine Liebe unempfindlich, verschmähte meinen Reichtum, mißachtete meine Vorzüge und zog mir einen armen Burschen vor, der nichts besaß, was eine solche Bevorzugung gerechtfertigt hätte. Ich mußte ihm Weichen und konnte gewissentlich weder dem Mädchen fluchen noch meinem Rivalen, vor dem ich zurücksteheu mußte; denn Ludwig, wie er hieß, war mein Freund und mir als solcher so teuer wie das Heil meiner Seele. Ludwig war um ein Jahr jünger als ich, und Marie ward zwei Jahre nach ihm geboren. Von der