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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE - M USEUM ZUR EINFÜHRUNG Sonnabend, 30. April 1960, 19.30 Uhr Sonntag, 1. Mai 1960, 19.30 Uhr 9. ZYKLUS'KONZERT PAGANINI — COUPERIN — DEBUSSY DIRIGENT Siegfried Geißler SOLIST Prof. Werner Richter, Leipzig (Klavier) Richard Strauss 1864—1949 Aus der Tanzsuite nach Francois Couperin Einzug und feierlicher Reigen (Pavane) — Courante — Carillon — Sarabande — Gavotte — Wirbeltanz — Marsch Sergej Rachmaninow Rhapsodie für Klavier und Orchester, op. 43, 1873—1943 üb er e j n Thema von Paganini Hans-Wolfgang Sachse geb. 1899 PAUSE Variationen über ein Thema von Debussy, op. 17 Ctx /K' Die Handschrift von Debussy Claude Debussy 1862—1918 La mer (drei sinfonische Skizzen) Von der Morgendämmerung bis zum Mittag auf dem Meer Spiel der Wellen Gespräch zwischen dem Wind und dem Meer RICHARD STRAUSS’ verführerischem Versuch, bei den alten Meistern herumzuschwei fen, verdanken wir (außer der ,,Ariadne“) zwei Gaben: die liebenswürdige Bühnenmusik zum ,»Bürger als Edelmann“ und den charmanten Ballettabend mit dem Reigen Couperinscher, Ravelscher und Johann Straußscher Weisen (erste Aufführung im Redoutensaal, Wien 1922). Den ersten Teil dieses Ballettabends hat Strauss zu einer Tanzsuite nach Fr an 90 is Couperin zusammengefaßt (nicht zu verwechseln mit dem Divertimento nach Couperin, das wir im 5. Zykluskonzert dieses Jahres hörten!). Francois Couperin (1668—1733) war bekanntlich Hofclavecinist und Prinzessinnenlehrer am Pariser Hof. „Nun strahlt diese alte Musik des großen Couperin, die er selbst nur für den silbrig nasalen Klang des Clavecin (des Cembalo) geträumt hatte, von den Juw T elierhänden des feinhörigsten Orchester zauberers vom Staub gereinigt und neu gefaßt, im ungeahnten Reiz ihrer höfisch gemessenen, zierlich steifen, manchmal diskret heiteren, manchmal ein bißchen traurigen Galanterie aufs neue für uns auf.“ (Richard Specht) Den Anfang der Suite macht der Einzug und feierliche Reigen, eine Pavane (von pavo der Pfau oder von der Stadt Padua her geleitet) in gravitätischem G-Dur, reichlich mit altväterlich-verschnörkeltem Zierat angetan. Es folgt eine Courante ( = Lauftanz), eine „langsame“ Courante, wie sie zum Beginn des 18. Jahrhunderts im Gegensatz zur „geschwinden“ des 17. Jahrhunderts entstand, von prunkvollen Trompeten und Posaunen, von der feierlichen Harfe durchsetzt. Eine Riesen spieluhr, ein Carillon ( = Glockenspiel), bildet den nächsten Satz, „bei deren Silbertönen die ganze graziös-zärtliche Zeit des Rokokos lebendig w r ird“. Die Sarabande (ein feierlicher spanischer Tanz) besteht eigentlich aus zweien, aus einer in g-Moll und einer in G-Dur, sie w’irkt hier wie der pomphaft starre Aufmarsch zu einem „Lever“ (Morgenempfang) beim Sonnenkönig. Die Gavotte, die anfänglich nur mit Cembalo und einer Sologeige beginnt, steigert sich bei der Wiederholung zu blendender Pracht. Ein Presto-Wirbeltanz wechselt mit einem Allegretto-Reigentanz, bis sich das Ganze zum Abschluß, einem vergnügt frohen Marsch, findet. „Gewiß eine Spielerei während einer Schaffenspause, Erholung nach und vor Größerem, unterhaltsame Übung des Handgelenks. Aber nur ein Meister hat solch ein Handgelenk . . . !“ (R. Specht) Nicolo Paganini (1782—1840) verblüffte beispielsweise seine Zeitgenossen, indem er alle anderen Saiten von der Geige schnitt und nur auf der untersten, der G-Saite, kühn phanta sierte (Moses-Variationen) oder Pizzicato (gerupfte Töne) der linken Hand mit Springbogen mischte oder künstliche Doppelflageolett-Töne (Flötentöne), Skordatur (Umstimmen der Geigensaiten) usw. verwendete. Doch darüber hinaus hat auch die intensive Dämonie seiner Cantilene Liszt, Chopin, Schumann, Brahms bezaubert und zu Nachahmungen und Variationen seiner Themen angeregt. Auch SERGEJ WASSILJEWITSCH RACHMANI NOW — 1873 in Onega (Nowgorod) geboren und 1943 in Beverly Hills (Californien) gestor ben — gehörte zu Paganinis Verehrern. Rachmaninow war Schüler des Petersburger Kon servatoriums, Schüler von Siloti, Tanejew und Arensky am Moskauer Konservatorium, lebte ruhmvoll viele Jahre in Rußland, bis ihn seine Erfolge als Pianist, Dirigent und Kom ponist ins Ausland lockten. Eine Zeitlang verbrachte er in Dresden („Wir leben hier als Einsiedler, wir sehen niemanden, wir kennen niemanden und zeigen uns nirgendwo. Ich arbeite sehr viel und fühle mich sehr wohl dabei!“), schließlich ließ er sich in Amerika nieder. Als Pianist war er Anton Rubinstein gleichwürdig, er „sang“ am Klavier trotz seiner