Volltext Seite (XML)
(Nachdruck verboten.) der Gegend vornehmlich mit Rücksicht auf ihre land schaftliche Schönheit auswählte, fuhren sie durch den Frankfurter Wald. Das Pflichtgefühl des gewissen haften Chauffeurs gestattete ihm natürlich nicht, sich nach seinen Fahrgästen umzuwenden, und das Arbeiten des Motors beraubte ihn sogar des Vergnügens, den Hellen Klang von Sylvias Stimme zu vernehmen. Vergebens hoffte er darauf, daß sie gelegentlich irgend eine Frage an ihn richten würde. Und endlich, als er demVerlangen nicht mehr widerstehen konnte, wenigstens für die Dauer einiger Minuten ihr reizendes Ge sichtchen wiederzusehen, verlangsamte er mitten in einem anmutigen jung belaubten Buchenhain das Tempo der Fahrt und drehte den Kopf gegen das offene Wagen innere hin: „Dies ist sicherlich eines jener Gehölze, mein gnädiges Fräulein, von denen Goethe in „Dichtung und Wahrheit" erzählt. Sie erinnern sich ja ohne Zweifel der Stelle." In höchstem Erstaunen sah sie ihn an. Ein Chauffeur, der mit den Werken des großen Dichter fürsten so wohloertraut schien, war ihr jedenfalls eine ganz neue und höchst merkwürdige Erscheinung. „Nein," sagte sie, „ich erinnere mich nicht," und es zuckte in allerliebster Schalkhaftigkeit um ihre Lippen. „Aber vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, sie mir ins Gedächtnis zu rufen." „Sie steht im Anfang des zweiten Bandes, wo der alte Geheimrat erzählt, wie sich der junge Goethe nach seinem ersten, so schlimm ausgegangenen Liebes handel in die Einsamkeit flüchtete. Da ist von jenen schönen, belaubten Hainen die Rede, die sich zwar nicht weit und breit in der Gegend erstrecken, aber doch immer von solchem Umfange sind, daß ein armes, ver wundetes Herz sich darin verstecken kann. Warum sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, eben jetzt in einem dieser Haine zu halten?" Sylvia Pendleton lachte hell auf. „Und nur, um uns auf diese Möglichkeit aufmerk sam zu machen, haben Sie angehalten? Uebrigens bewundere ich Ihre Kenntnisse der klassischen Literatur. Darf ich fragen, wo Sie sich dieselbe angeeignet haben?" „Ich bin in meinen Mußestunden ein großer Freund lehrreicher Lektüre, Miß Pendleton! Und da bleibt einem natürlich das eine oder das andere im Gedächt nis haften." „Nun, es wird mich freuen, auch künftig hier und da von Ihrer Belesenheit zu profitieren," erwiderte sie un ich finde, daß der Name besser zu ihm paßt, als wenn er Schultze oder Müller hieße, n ie die meisten Chauffeure hier in Deutschland. Ich habe in Europa schon manchen Grasen kennen gelernt, der sich an Aussehen und Allüren kaum hätte mit ihm messen können." Die Baronin machte ein gekränktes Gesicht. Sie war eine sehr adelsstolze Dame und Sylvias respektlose Bemerkung hatte an die verwundbarste Stelle ihrer Seele gerührt. Aber sie mochte gute Gründe haben, von dieser jungen Amerikanerin etliches einzustecken, gegen das sie unter anderen Umständen lebhaft protestiert haben würde. Und so begann sie denn nach einer kleinen Weile mit unverminderter Freundlichkeit von anderen Dingen zu reden. 3. Kapitel. Als das Automobil über die alte Mainbrücke fuhr, erregte es unverkennbar die besondere Aufmerksamkeit zweier Offiziere, die genötigt gewesen waren, ihm aus- zuwcichen. Gras Hoiningen war über die Ursache dieses Interesses nicht im Zweifel, denn die beiden Kavaliere zählten zu den näheren Freunden seines Hauses, und da es keinen zweiten Wagen dieses ganz neuen, französischen Typs in Frankfurt gab, hatten sie ihn selbstverständlich sofort erkannt. Glücklicherweise wußte er sich in seinem Chauffeurkittel und hinter seiner entstellenden Schutzbrille hinlänglich gesichert, aber der Ausdruck des Erstaunens auf den Gesichtern der beiden Herren beim Anblick der ihnen völlig unbekannten und ausfallend schönen jungen Dame im Innern des Gefährts entging ihm nicht. Fast unwill kürlich hallen beide grüßend die Hand an den Mützen schirm gelegt, was natürlich wiederum das Befremden der Insassinnen erregen mußte. Die junge Ameri kanerin wenigstens gab ihrem Erstaunen darüber Aus druck, und sie wäre sehr geneigt gewesen, den Gruß für eine taktlose Dreistigkeit zu nehmen, wenn nicht die Baronin mit der bewunderungswürdigen Geistes gegenwart, die ihr in manchen Situationen zur Ver fügung stand, zur Erhöhung ihres Ansehens rasch eine harmlose kleine Unwahrheit bei der Hand gehabt hätte. „Der Gruß galt wohl in erster Linie mir, liebe Sylvia," sagte sie. „Der eine der beiden Offiziere war der Freiherr von Eglofsstein, der, soviel ich mich er innere, ein intimer Freund meines Sohnes gewesen ist. Ich habe ihn, als wir noch in Wiesbaden lebten, öfter in meinem Hause empfangen." Aus Wegen, die Hoiningen als genauer Kenner Sylvias Okaukkeur Roman von Louis Tracy. (3. Fortsetzung.)