Volltext Seite (XML)
ZUR EINFÜHRUNG Arara Chatschaturian wurde 1904 in Tfiflis geboren. Er iisit eine musikantiische Naturbegabung von größtem Talent. Als Neun zehnjähriger machte er .sich auf, um in Mos kau Musik zu studieren. Bis dahin war er ohne alle musikalischen Vorkenntnisse, die er aber in kürzester Zeit nachholte. Das kom positorische Handwerk zu erwerben, fiel ihm äußerst leicht. Heute gilt er als einer der großen zeitgenössischen Meister der Sowjet union. Seine Werke zeichnen sich durch Kraft und Temperament aus. Seine Musik ist aus gesprochen männlich. Die Suite, die Chat schaturian aus der Bühnenmusik zu dem Drama ,,Maskerade" von Lermontow zusam mengestellt hat, zeigt alle diese Vorzüge. Die fünf Sätze (Walzer, Nocturno, Mazurka, Ro manze, Galopp) sind teils von einer heiteren, teils nachdenklichen Grundstimmung. Sie sind sehr melodiös gehalten, mit größter handwerk licher Meisterschaft gearbeitet und von stärk ster Wirkung. Chatschaturian ist es gelungen, in diesem Werk eine wirklich volkstümliche Musik zu, schreiben, die wegen der Güte ihrer Arbeit auch den Kenner entzückt. Viele Züge an ihr verraten, daß Chatschaturian großon Humor besitzt, dem er vor allem im Schluß galopp freien Lauf läßt. Der Walzer und die Mazurka sind äußerst tänzerisch empfunden, während im Nocturno und in der Romanze schwärmerische Stimmungen festgehalten wer den. Die Suite ist ein gut gelungenes Werk. Serge Prokofieff (geboren 1891) gehört zu den großen sowjetischen Komponisten. Er steht heute auf der Höhe seines Könnens und seiner Kraft. Er hat den persönlichen Konflikt durchgemacht, der -sich darin zeigte, daß ein Künstler heute nicht mehr um seiner selbst willen, sondern um seines Volkes willen da ist und zu schaffen hat, daß er sich ins Ganze einzuordnen habe und dem Ganzen mit seinem Können und mit seiner Kraft dienen müsse. Diese innere Einstellung ist nicht leicht, sie wandelt das gesamte Bewußtsein eines Künstlers. Das Fünft© Klavierkonzert (op. 55) ist 1932 komponiert worden. Es entstammt also einer Zeit, in der diese Probleme an den sowjeti schen Künstler noch nicht mit all ihren For derungen und Folgen herangetreten waren. Des Konzert besteht au.s fünf Sätzen und einer klar abgesetzten Coda, also einem Schlußtcil. In diesen Teilen verbirgt sich eine solche Fülle von Einfällen, daß sie alle beim ersten Hören gar nicht erfaßt werden können. Proko fieff ist bekannt als ein Meister, der seine Ein fälle in ein gutsitzendes Klanggewand kleidet — er scheut nicht vor Klängen zurück, die dem Ohre beim einmaligen Hören und beim Vor überrauschen zunächst fremd sein mögen. Pro kofieff nimmt an, daß seine Hörer alle musi kalisch gebildet .seien und daß sie sich in der Musikgeschichte über Wagner hinaus bis fast in unsere Gegenwart vorgewagt haben. Der erste Satz ist feurig und kraftvoll. Das Klavier ist fast ununterbrochen beschäftigt. Prokofieffs Klavierstil ist weitgriffig und spröde. Der zweite Satz ist einem langsamen Marsch ähnlich, zu dem das Klavier über mütige Kapriolen schlägt. Der dritte Satz heißt Toccata, womit eine gewisse Härte des Klan ges (Toccata heißt Schlagstück) angedeutet wird. Der vierte Satz (Larghetto) bringt eine ein fache Liedweise, die im Verlaufe dieses Satzes vom Klavier umspielt und verändert wird. Der Schlüßsatz (Vivo) beginnt wie ein russischer Tanz. Da.s rhythmische Element herrscht in ihm vor. Die Coda greift die volkstümlichen Töne auf und leitet zu einem wirkungsvollen und virtuosen Schluß über. Mit heftigen Schlägen schließt dieses eigenwillige, trotzdem aber sehr viel gespielte interessante Werk ab. Di© 3. Sinfonie von Robert Schu mann wird auch die ,.Rheinische“ genannt, weil er sie kurz nach seiner Übersiedlung von Dresden nach Düsseldorf im Jahre 1850 in dieser rheinischen Stadt geschaffen hatte. Dieses Opus 97 hält sich an das übliche Sin fonie-Schema schon rein äußerlich nicht, weil es die gewohnte Vierzahl der Sätze in eine Fünfzahl abändert. Schumann schreibt zwei langsame Sätze, den dritten (nicht schnell) und den vierten (feierlich), die au fei na nd er folgen und dadurch dieser Sinfonie aiuch einen anderen Charakter verleihen. Der erste Satz, lebhaft, mit den für Schumann bezeich nenden Synkopen, die an den tschechischen Furiant erinnern, ist aufgewühlt und stürmisch, trotz der eingeschobenen kurzen lyrischen Episoden. Das Scherzo an zweiter Stelle be ginnt mit einer schönen Baßmelodie und ent wickelt .sich ebenso zu einem leidenschaft lichen Stück Musik. Der dritte Satz wirkt wie ein Lied ohne Worte. Im folgenden Satz be ginnen die Posaunen mit einem cho-^alartigen, feierlichen Thema. Schumann arbeitet hier sphr polyphon. Den Schlußsatz legt er wieder sinfonisch an und leitet ihn in einen groß- ailigen, schwungvollen Schluß über. Die Sinfonie ist ein von Leben und Kraftgefüh'l, von Innigkeit und feierlicher Größe erfülltes Werk, das eine ganze Welt in sich schließt. Aus ihr Zerrissenheit und beginnende Geistes krankheit Robert Schumanns (1810—1856) her auslesen zu wollen, widerstrebt dem Gefühl eines jeden Menschen, der .sie gehört hat. Johannes Paul Thilman.