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ZUR EINFÜHRUNG Johann.Sebastian Bach war in Köthen „fürstlicher Kammermusikdirektor" geworden und als solcher frei vom Kirchenmusikeramt. Keine Orgel lockte, kein Chor wartete auf neue Kantaten. So wandte er sich der Instrumentalmusik zu. schrieb die sechs „Brandenburgischen Konzerte", die Sonaten und Partituren für Violine, allein, die Violinkonzerte, die zweistimmigen Inventionen, den ersten Teil des. „Wohltemperierten Klaviers" und vieles andere. Welch ein Reichtum! Zu seinen schönsten Schätzen zählen die Violinkonzerte in a-moll und. E-dur, in denen sich der Einfluß voi^ Corelli und Vivaldi, der damals „modernen" und auf diesem Gebiet führenden Italiener, bemerkbar macht. In den Eck sätzen lebendig vorwärtstreibende „Motorik“, in den langsamen Mittelsätzen Seelen voller, Gesang 4er Geige über einem Basso ostinato (gleichbleibender Baß). Sie gehören zu den Werken Bachs, bei denen man, so sagt Albert Schweitzer, von vornherein auf jede Analyse verzichten muß, um sie der Kategorie einzuverleiben, über die Forkel kurz und beredt .bemerkt: „Man kann von-ihrer Schönheit nie genug sagen.“ Als Anton Bruckner im August 1873 in Marienbad zur Kur weilte, faßte er den Entschluß, hinübernach Bayreuth zu fahren, wo er , den* von ihm so ver ehrten Richard Wagner wußte. Er ging nicht mit leeren Händen. Unbeirrt durch die abweisende Hal tung der Wiener Philharmoniker hatte er eine dri t te Sinfonie in Angriff genommen. Ihre ersten drei Sätze waren fertig, das Finale lag in der .Skizze vor. Sie sollte Wagner gewidmet werden. Würde der be rühmte Meister sie annehmen? „Recht schüchtern und pochenden Herzens“ nahte sich ihm Bruckner, und er hatte dabei Gefühle wie ein Schulbub, „dem der Lehrer das Heft korrigiert, und jedes .Schau, schau* habe ich für einen roten Strich gehalten" (an Baron Wolzogen). Fünf Stunden mußte er sich gedulden, bis der Richterspruch gefällt war, dann wurde er vorgelassen. „Zuerst hat er gar nichts g’redt, nur um den Hals ist er mir g’fall’n, uud ab küßt hat er mich ein übers andere Mal. Ich hab’ natürlich gleich weinen müssen, und das ist auch dann nicht besser geworden, wie er mir endlich gesagt hat: .Lieber Freund, mit der Dedikation hat es seine Richtigkeit. Sie bereiten mir mit dem Werke ein ungemein großes Vergnügen*.“ Fertiggestellt hat Bruckner das Werk „am 31. De zember 1873 nachts". Die Silvesterglocken läuteten über den Schlußstrich hinweg. Der Widmung wegen, aber noch aus einem anderen Grund heißt die dritte die „Wagner-Sinfonie": in der ersten Fassung nahmen Wagner-Zitate einen breiten Raum ein. Bezeichnend für das Verhältnis Bruckner—Wagner, daß sie Bruckner später gestrichen hat, so im ersten Satz die Erinnerungen an „Tristan“ und „Wal küre“ (wobei von Bruckner-Forschern bezweifelt wird, daß er damals die „Walküren“-Partitur schon gekannt hat). Er ist durchaus ein eigener und nicht der „Wagner der Sinfonie". Eher muß man ihn den Erneuerer der Sinfonie nennen. Man betrachte das erste Thema des ersten Satzes, um erkennen zu können, daß es eine spezifisch Brucknersche Art ist, mit der hier das alte Sonatensatz-Schema angewandt wird. Aus einem wogenden Meer .des Tonikadrei klangs heraus setzt die Trompete das Thema an, bestehend aus den absteigenden Tönen des d-moll- Dreiklangs und der aüfsteigenden melodischen Moll tonleiter. Der zweite Teil des Themas erscheint als sanft geschwungene Linie im Horn. Ein dritter Teil (man sieht, welch eigenartige Formzerdrehung Bruckner eintreten läßt) bildet mit einem wuchtigen Unisono aller Instrumente den Höhepunkt, der in einer harmonisch reizvollen Kadenz ausklingt. Dem zweiten Thema als dem Gesangsthema tritt in der typisch Brucknerschen Satzweitung das dritte au die Seite ein reiches Material, das in der Durch führung vielfach verarbeitet und in der Reprise wieder aufgenommen wird. Der zweite, langsame Satz wird von dreifachem Themenmaterial gespeist. Seine trostvolle Stimmung läßt sich darauf zurück führen, daß er in* Gedenken an die Mutter an ihrem Geburtstag entstanden ist. Der dritte Satz ist ein ganz nach Beethovenscliem Muster gearbeitetes Scherzo. Aber welch eigener Ausdruck! Eine flüchtig hingeworfene Geigenfigur wird von dem Pizzikato der Celli, und Bässe abgelöst. Wieder spielt der d-moll-Dreiklaug ohne Terz (wie zu Beginn des ersten Satzes) eine gtoße Rolle. Einmal taucht eine größere Gesangslinie auf, die aber schnell von dem eigent lichen Grundcharakter des Satzes, einer grotesken, gespenstigen, wenn auch nicht unheimlichen Milieu schilderung, hinweggefegt wird. Im Trio, einem A-dur von Schubertscher Süße, kommen pastorale Töne auf. Der letzte Satz greift auf den ersten zurück. Hauptthema in den Bläsern, heroisch, zyklopisch. Zweites Thema ein Doppelthema, in den Bläsern choralhaft ernst, in den Streichern tänzerisch bewegt. So ist das Leben. Aus dem Palais am Schottenring drang Ballmusik. Und in dem nahen „Sühuhaus" war der Dombaumeister Schmidt aufgebahrt. So hat Bruckner die Stelle später erläutert. Drittes Thema, gekennzeichnet durch energische Viertel- bewegung, mit synkopierten Xachschlägen der Bässe. Ganz am Schluß des Finales ertönt das erste Thema des ersten Satzes wieder, diesmal in Dur und ver größert, umrauscht vom Gewoge des vollen Or chesters, so daß also dieses Thema wie eine Klammer um das ganze Werk gelegt ist. Erst 1877, Bruckner hatte inzwischen bereits seine vierte und fünfte Sinfonie geschrieben, kam die dritte zur Uraufführung. Bruckner dirigierte selbst, da sich kein Dirigent gefunden hatte, der sich für das Werk einsetzen wollte. Es wurde ein völliger Mißerfolg. Das Publikum verließ in Scharen den Saal. Nur ein paar Getreue hielten aus. Aber ein Wunder geschieht. Der Verleger Th. Rättig nimmt die eben durchgefallene Sinfonie in seine Obhut. Die Ehre der Mitwelt war gerettet. Dr. Karl Laux