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Ein eigenthümlicher Unfall. Im Jahre 1881 ereignete sich auf einem west fälischen Blechwalzwerk ein Unfall, welcher ganz ver einzelt dastehen und von allgemeinem Interesse sein dürfte, so dafs mir die Mittheilung der näheren Um stände an dieser Stelle ganz geeignet erscheint. An einem kaltgelegten Dampfkessel war ein Sperr ventil schadhaft geworden und wurde der Schlosser .1. Th. beauftragt, das Ventil zu repariren und wieder Hanf vorfand, nicht über 5— aufzubringen. Th. hatte den Deckel des Ventils losgenom men und in ein Schmiede feuer gelegt, um die Ver packungsreste am Deckel abzubrennen und --diesen besser reinigen zu können. Da ich später in der Stopf büchse c noch unverkohlten läfst sich annehmen, dafs der Deckel 600° erhitzt worden ist. Als Th. den Deckel mittelst Zange aus dem Feuer genommen und auf die Erde gelegt hatte, flog unter heftigem Knall eine der beiden Stiftschrauben a und b aus ihrem Sitze heraus und zwar unglücklicherweise dem Th. ins Auge und Gehirn, so dafs dadurch sein Tod herbeigeführt wurde. Das betreffende Werk war nur gegen Haftpflicht fälle versichert, und da ich als Vertrauens-Ingenieur der betroffenen Versicherungsbank den Unfall als einen haftpflichtigen nicht zu erkennen vermochte, lehnte sie die Auszahlung der von der Wittwe des ver unglückten Th. geforderten Entschädigungssumme ab, wodurch es zur Klage kam. Klägerin machte geltend, es sei allgemeine Regel im Maschinenbau, Stiftschrauben um den 11/2 bis. zweifachen Durchmesser derselben einzuschrauben, ■während die herausgeschleuderte Schraube von 16 mm Stärke nur 16 mm tief im Deckel gesessen habe; unter der Schraube sei von , der Anfertigung des Ventils her Oel vorhanden gewesen, welches bei der Erhitzung des Deckels eine sehr hohe Spannnung angenommen und die Schraube aus ihrem Sitze ge trieben habe. In einem weiteren Gutachten wurde dann noch hinzugefügt, dafs der Beamte, welcher vor ca. 12 Jahren das Ventil übernommen und in Benutzung gegeben, allerdings hätte sehen müssen, dafs die Schraube nicht tief genug niedergeschraubt gewesen sei, aber ferner bemerkt, dafs man zu jener Zeit gegen heute in der Technik noch zurückgewesen sei. Um die Kraft, welche bei dem Unfälle gewirkt hatte, wenigstens annähernd kennen zu lernen, be lastete ich eine 16 mm-Schraube, die 16 mm tief in einem Gufsstücke safs und mit diesem zur Dunkel- rothgluth gebracht worden war, mittelst eines Hebels von 1 : 10 nach und nach mit 1900 kg, was bei dem Querschnitte der Schraube von 2 qcm einem Zuge von 950 kg pro Quadratcentimeter oder ca. 920 Atmo sphären gleichkam, wobei indessen die Schraube keines wegs herausgerissen wurde, wohl aber der Hebel sich seitlich verbog, so dafs eine weitere Belastung des selben nicht thunlich war. Wie eine so enorme Pressung nun unter der Schraube im Ventildeckel sich bilden konnte, hat mir bis jetzt Niemand erklären können. Nachdem Klägerin in erster Instanz verloren, aber Berufung gegen das Urtheil eingelegt hatte, kam die Sache in zweiter Instanz zu abermaliger Verhand lung, zu welcher gerichtsseitig ein Gutachten eines königlichen Maschinen-Bauführers und Gewerberaths- Assistenten eingeholt, von Beklagter mein Gegengut achten präsentirt und event. beantragt war, die Ansicht des Directors des Aachener Polytechnikums über den Fall zu verlangen. Der von der Klägerin aufgestellte neue Gutachter fand heraus, die Schraube habe noch weniger als 16 mm im Gewinde gesessen und letzteres sei so schlecht gewesen, dafs Oel oder Wasser neben dem selben von aufsen her unter die Schraube habe ge langen können; dann berechnet er, diese Flüssigkeit habe bei Erwärmung des Deckels auf 500° einen Druck von 653 Atmosphären erreicht, welche bei der mangelhaften Schraube ausgereicht hätte, dieselbe fortzuschleudern. So wurde denn dem Beamten, wel cher vor 12 Jahren das Ventil übernahm, die Schuld an dem Unfälle beigemessen, und letzterer war also ein haftpflichtiger; ein bei der Stellung des Gutachters übrigens vorauszusehendes Resultat. Ich erklärte dagegen, die Annahmen der sämmt- liehen gegnerischen Gutachter seien einestheils falsch und unhaltbar, auderntheils für die Klägerin sogar ungünstig. Sperrventile werden heute gerade so construirt wie vor 12 Jahren; an Explosionen denkt dabei keiner. Dafs eine Fabrik ein Ventil abliefert, an welchem eine Schraube um 25 mm höher steht als die andere, ist gar nicht anzunehmen; jedenfalls wäre dies aber auf dem betreffenden Werk sofort bemerkt und geändert worden. Von Constructionsregeln kann nur bei Schrauben die Rede sein, welche einem grofsen Zuge ausgesetzt sind, nicht aber bei solchen von so untergeordneter Bedeutung, wie die hier in Frage stehenden Stopfbüchsenschrauben, welche nach ihrer Beanspruchung nicht einmal halb so stark zu sein brauchen, wie sie es aus anderen Gründen sind. Das Gewinde der Schraube konnte selbstredend nicht mehr vollkommen sein, nachdem sie in dunkel rothglühendem Zustande aus ihrem Sitze heraus- geprefst war. - . Zugegeben aber, das Gewinde sei in der That schlecht und locker gewesen und die Schraube habe so lose und wenig tief im Gufs gesessen, dafs Wasser oder Oel ohne Druck von oben 1 unter die Schraube gerathen konnte: wie mochte sich denn wohl der Herr Gewerberaths-Assistent den Vorgang unter der selben während der allmählichen Erhitzung des Deckels denken?! Nach meinen Begriffen hätten die unter der Schraube entwickelten Dämpfe schon bei geringem Drucke entweichen müssen, anstatt ruhig am Platze zu bleiben, bis sie eine Spannung erreichten, bei welcher das Fortschiefsen der Schraube ermöglicht wurde. Wenn er die Dampfspannung bei 500° zu 653 Atm. ermittelte, so konnte ich ihm bei dieser Berechnung nicht folgen, da mir keine Formel dafür zu Gebote stand, auch die Herren Professor Zeuner und Director Grashof erklärten, dafs sich Spannungen von Dämpfen so hoher Temperatur auch nicht einmal mit rohester Annäherung bestimmen liefsen. Endlich konnte ich, nach dem von mir angestellten und oben besprochenen Versuche, auch nicht zugeben, dafs selbst die ge fundene Pressung von 653 Atm. zur Herausschleu derung der Schraube ausgereiebt haben würde. Die höhere Instanz entschied hierauf vor kurzem, dafs die gegen das Urtheil niederer Instanz eingelegte Berufung zurückgewiesen werde und die Kosten von der Berufungsklägerin zu tragen seien. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt: »Erfüllten die Schrauben ihren Zweck, was nach An gabe der Beklagten während eines Zeitraumes von etwa 12 Jahren der Fall gewesen ist, so mufs es an sich als gleichgültig erscheinen, wenn die eine Schraube nicht so tief, wie es dem Gewindegange entsprach, eingelassen war. Hätten die Schrauben wegen ihrer fehlerhaften Construction jenen Zweck nicht erfüllt und es wäre dadurch ein Unfall entstanden, so würde, wie auch der erste Richter hervorhebt, eine Haft pflicht der Beklagten unzweifelhaft begründet sein.