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50 Nr. 1. „STAHL UND EISEN.“ Januar 1884. finden, allerlei internationale Ausstellungen »zur Befriedigung tiefgefühlter Bedürfnisse«, »zur Feier säkularer Ereignisse« oder aus ähnlichen Gründen zu veranstalten, sondern aus dem Strome des wogenden Treibens, welches unser Decennium beherrscht, tauchen nachgerade an verschiedenen Stellen auch Elemente auf, welche sich die Organisation von Ausstellungen als ein in materieller Beziehung aussichtsvolles Speculations- object ersehen haben. Ob diese Seite der bezüg lichen Projecte dabei offenkundig hervortritt, genirt insofern wenig, als es in den meisten Fällen den Urhebern der Idee bei einigermafsen geschickter Mache leicht wird, der öffentlichen Meinung des harmlosen Publikums gegenüber, das in erster Linie die Ausstellungen als ein Befriedigungsmittel der immer mehr gesteigerten Genufssucht betrachtet, auch noch den Nimbus einer verdienstvollen Initiative davonzutragen. Es dürfte somit gewifs zeitgemäfs sein, vom Standpunkte des Industriellen aus einmal wieder ernsthaft zur Frage des Ausstellungswesens Stel lung zu nehmen, und um nach dieser Richtung dein Vorwurf einer nur oberflächlichen Erörterung auszuweichen, wird es sich empfehlen, dem Gegen stände eine sein Wesen wie seine Bedeutung eingehender würdigende Betrachtung zu widmen. Man wird dabei vorab die These aufstellen dürfen, dafs die Bedeutung des Ausstellungswesens bis lang in der Regel nach manchen Richtungen verkannt, d. h. einerseits mifsachtet, andererseits in ungerechtfertigter Weise überschätzt wird und dafs ferner für den -gebildeten Menschen im allgemeinen der Begriff des Ausstellungswesens rücksichtlich seines praktisch nutzbaren Werthes keineswegs überall als geklärt gilt. Wenn wir dem Ursprünge der in neuester Zeit sich so planlos überstürzenden gewerblichen Ausstellungen nachforschen, so unterliegt es keinem Zweifel, dafs die Vorbilder derselben in den alten Märkten und Messen des Mittelalters zu erblicken sind, welche auch damals, wenigstens in ihren hervorragenderen Veranstaltungen, auf den Centralplätzen des europäischen Handels den unabweislichen Zweck hatten, den Erzeugnissen der verschiedenen Länder einen Absatzmarkt zu gewinnen. Schon damals wie heute wurden sehr vielfach bei jenen Messen nicht die ganzen Waaren- lager des Producenten zum Verkauf, sondern nur eine bestimmte Anzahl von Mustern zur Auswahl ausgestellt. Wenn wir sehen, dafs diese alten Veranstaltungen sich vorwiegend stets nur auf bestimmte Specialzweige der Industrie be schränkten, so haben wir darin eben die aus geprägten Muster der in neuerer Zeit auftauchen den Fachausstellungen vor uns, welche letzteren, in richtiger Weise arrangirt, schon deshalb eine praktische Geltung beanspruchen dürfen, weil sie ausgesprochenermafsen auf ein sachverständiges Publikum berechnet sind. Ganz so, wie jene Fachausstellungen des Mittelalters zur Zerstreuung und Fesselung der Besucher der Messen gleichzeitig ein zahlreiches Aufgebot aller möglichen und unmöglichen Schaustellungen und Vergnügungsgelegenheiten hervorriefen, so ist es auch heute mit unseren Industrie-Aus stellungen , sei es, dafs dieselben lediglich einer Specialität, sei es, dafs dieselben dem gesammten Gewerbfleifse der Nationen zu dienen officiell berufen sind. Im classischen Alterthum finden wir bei den Griechen die olympischen Spiele, die den offen baren Zweck hatten, Leistungen und Erzeugnisse einem gröfseren Kreise von Menschen vor Augen zu bringen, als solches im gewöhnlichen Laufe der Dinge möglich war, und so ein thunlichst offenkundiges Urtheil über den Wettbewerb auf dem Gebiete der körperlichen Kraft und Gewandt heit zu gewinnen. Ganz so mag auch bei unseren ersten Industrie-Ausstellungen lediglich das ehrgeizige Motiv als schaffendes Moment gewirkt haben, die Leistungen des einzelnen Landes vor den anderen, bei der gleichen Gelegenheit vertretenen Ländern anerkannt zu sehen, in weit gröfserem Mal'se, als man damals daran dachte, die Industrie-Ausstellungen vor wiegend als ein Mittel , zur Gewinnung gröfserer Absatzmärkte zu betrachten. Allerdings ist die bezügliche Wechselwirkung auf diesem Gebiete eine so natürliche, dafs, wenn man wirklich nur beabsichtigt hätte, dem Gefühle ehrgeizigen Stolzes eine Genugthuung zu verschaffen, man gleich zeitig die Entwicklung des Ausstellungswesens in der Richtung einer Förderung des Absatzes nicht würde haben fern halten können. Diesem Gausalnexus wird es zu danken sein, dafs in unseren Tagen, wo nicht nur der deutschen Industrie, sondern der Industrie aller Länder das dringende Bedürfnifs näher tritt,, sich für die gewaltige Production auch einen immer gröfseren Gonsum zu schaffen, es nahe lag, jene wirth- schaftliche Seite des Ausstellungswesens zu über schätzen und der Aufforderung zur Betheiligung zu folgen, sobald von irgend einer Seite die Veranstaltung einer Industrie-Ausstellung beliebt wurde. Der Natur der Dinge entsprechend war es nicht zu verwundern, wenn der s. Z. vom Prinzen Albert, .dem Gemahl der Königin von England, gefafste Gedanke, in London eine allgemeine Weltausstellung zu arrangiren, in allen Cultur- ländern eine grofse sensationelle Bewegung her vorrief, welcher denn auch der Erfolg dieses im Jahre 1851 verwirklichten Unternehmens vollauf entsprach. Es begreift sich leicht, dafs bei jener Gelegenheit trotz sorgfältigster Disposition und muthiger Ausführung der Ausstellung sich, wie bei allen ersten Versuchen, mannigfache Lücken herausstellen mufsten, deren Ausfüllung im Rahmen einer solchen Weltausstellung nicht nur statthaft,